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Die erste feministische Lehrerin in Rumänien

Mihaela Miroiu aus Rumänien
Miroiu

Sie unterrichtet seit 42 Jahren. Sie ist bei Protesten mitgelaufen, hat bei der Gesetzgebung der Frauenrechte mitgeholfen und die neue Generation von Feministinnen inspiriert.

Mihaela Miroiu ist Rumänin und Professorin an der National School for Political Studies and Public Administration in Bukarest. Das ist jedoch bei weitem keine vollständige Beschreibung all ihrer Leistungen und Errungenschaften.

Sie ist eine starke Persönlichkeit, die direkt sagt, was sie denkt, hat viel Humor und eine lange persönliche Geschichte im Kampf für die Frauenrechte in der rumänischen Gesellschaft. Prof. Miroiu leistete Pionierarbeit in der Geschlechterforschung in der rumänischen Wissenschaft und ebnete den Weg für den Feminismus in Rumänien.

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Ein Neuanfang

Die Denkweise eines großen Teils der Gesellschaft hat sich geändert und das ist wahrscheinlich die größte Errungenschaft von Frau Prof. Mihaela Miroiu. Sie erinnert sich heute daran, wie man sie und andere Feministinnen in den 1990er Jahren als „radikal“, „verrückt“ oder „als eine Gefahr für die Gesellschaft“ bezeichnete. Mittlerweile hat sich ihre öffentliche Wahrnehmung verändert und sie merkt, dass die Intellektuellen des öffentlichen Lebens sie heute akzeptieren und auch zu erkennen geben, dass sie ihren Feminismus mögen. Das was sie vor zehn Jahren sagte, obwohl sich das Gesagte bis heute nicht verändert hat, klingt heute in den Ohren der Menschen anders. „Das hat nicht wirklich etwas mit mir zu tun. Die Gedanken der Frauen, ihre Ideen und ihre Herangehensweise an die Politik werden heute schlicht ernster genommen“, fügt sie hinzu. Sie kann nur darüber lachen, dass jüngere Feministinnen sie heute kritisieren, da sie ihre Ansichten als nicht zeitgemäß und als zu abweichend von ihren eigenen betrachten.

„Ich bin keine ihrer Schwestern. Ich gehöre der Generation ihrer Mütter an. Aber ich bin sehr stolz darauf, dass wir an einem Punkt angelangt sind, an dem die Meinungsvielfalt sehr großgeschrieben wird und ich sogar von anderen Feministinnen kritisiert werde“, schmunzelt sie.

In den letzten Jahren war die Professorin auf Protesten und auch auf Facebook aktiv und erwähnt, dass die Leute heute auf politischen Veranstaltungen gespannt darauf warten, was sie zu sagen hat.

„Menschen brauchen Vorbilder, die für ihre Meinungen und Argumente einstehen und mit denen ein Dialog möglich ist. Sie brauchen sie aber auch, um sie zu kritisieren und ihren Ansichten zu widersprechen.“, so Prof. Miroiu abschließend.

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Die Wurzeln des rumänischen Feminismus

Prof. Miroiu schloss ihr Philosophiestudium 1978 während des kommunistischen Regimes in Rumänien ab. „Damals durften wir keine akademische Laufbahn einschlagen oder in die Forschung gehen. Es gab nur Pflichtjobs an Gymnasien“, sagt sie. Frauen wurde davon abgeraten, zu promovieren. So wurde sie Gymnasiallehrerin für Philosophie und Sozialwissenschaften und arbeitete über ein Jahrzehnt an einer Schule. Dann brach das autoritäre Regime zusammen und eine neue Tür öffnete sich für ihre Karriere und auch für ihr Leben.

„1990 war der Beginn eines neuen Lebens für mich. Mein Kind war nicht mehr klein, mein Privatleben war geregelt, ich hatte eine Reform des Philosophielehrplans an Gymnasien erwirkt und dadurch ein wichtiges Projekt für mich abgeschlossen. Damit hatte ich ein Kapitel in meinem Leben abgeschlossen“, erinnert sich die Professorin. 1991 entdeckte sie ein Buch über feministische Philosophie. Das war der Beginn ihrer Auseinandersetzung mit dem Feminismus – heute bezeichnet sie diese Zeit als „Offenbarung“. Während des Übergangs vom kommunistischen Regime in eine Demokratie hatte sie die Möglichkeit, einen Doktortitel an der Fakultät für Philosophie in feministischer Philosophie zu machen. „Es war offensichtlich ein Schock für das akademische Umfeld, aber trotzdem war man beeindruckt. Das war der Anfang meiner Liebe für die Forschung“, erklärt die Wissenschaftlerin.

1994 wechselte sie dennoch von der Philosophie in die Politikwissenschaft. Das war ein wichtiger Schritt, da sie von der philosophischen Fakultät eine Feindseligkeit gegenüber den von ihr erforschten feministischen Themen verspürte. „Es war und ist eine sehr männlich geprägte Domäne, auch wenn 80 % der Studenten Frauen sind. Es ist paradox“, sagt sie.

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Vor der Einführung der liberalen Demokratie während des kommunistischen Regimes gab es keine Studiengänge für Politikwissenschaft, öffentliche Verwaltung, internationale Beziehungen oder Kommunikation. Diese Fächer wurden erst nach 1990 eingeführt. „Als mir angeboten wurde Politikwissenschaften zu lehren, stellte ich fest, dass die Leute sehr aufgeschlossen gegenüber der Idee einer Lehre wie in Westeuropa und den USA waren. Es gab kein konservatives Establishment, das mich seltsam anschaute, weil ich aus feministischer Sicht unterrichte. Ich habe mich in gewisser Weise willkommen gefühlt“, erinnert sie sich.

Das war der Moment, als sie die Gelegenheit bekam, die Denkweise über Frauen und das Lehren und Erklären des Frauenbildes in Rumänien zu ändern. Prof. Miroiu führte den ersten Kurs über Feministische Philosophie ein, der von 1994 bis 1998 an der Universität Bukarest gelehrt wurde.

Danach führte sie 1996 den Kurs Geschlechterpolitik für die Studenten der National School for Political Studies and Public Administration ein. Der Höhepunkt dieses Jahrzehnts wurde dann 1998 erreicht, als man von da an einen Master of Arts in Geschlechterstudien absolvieren konnte.

Zu den Leistungen von Prof. Miroiu gehört auch das erste Doktorandenprogramm in Politikwissenschaften und durch ihre akademischen Errungenschaften ebnete sie den Weg für

Studenten, die sich auch zwei Jahrzehnte später mit Frauenrechten und geschlechtsspezifischen Auswirkungen beschäftigten und jetzt an vorderster Front dieser Bewegungen stehen. Prof. Miroiu hat im Grunde den Grundstein für die nächste Generation von Feministinnen gelegt.

„Eigentlich war ich eher eine beschützende Mutter und inspirierende Figur, aber bei weitem nicht so aktiv wie sie. Natürlich nahm ich an den Märschen teil, die sie organisierten. Sicherlich haben meine ehemaligen Schüler in den letzten fünf Jahren eine viel wichtigere Rolle gespielt als ich.“

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Zwischen Macht und Machtlosigkeit

Die große Frage ist: Wie kam es so plötzlich zu dieser Veränderung? Ohne eine Frau an der Macht wäre es wahrscheinlich nicht so weit gekommen, und wahrscheinlich nicht, wenn diese Frau nicht Mihaela gewesen wäre. „Dafür habe ich meine Befugnisse als Dekanin der Fakultät genutzt. Es war einfacher, ein Programm aus einer Machtposition heraus einzuführen. Es ist sehr schwierig, genehmigt oder akzeptiert zu werden, wenn man keine Verhandlungsmacht hat“, erklärt sie.

„Mein Rektor und einige andere wichtige Leute aus dem Vorstand der Nationalen Schule für Politik und Verwaltung waren mit vielen anderen Dingen beschäftigt. Es war eine Zeit der „Alleskönner“ und

„Alleskönnerinnen“. Normalerweise fehlte aber die Zeit, sich um alles zu kümmern. Ich hatte die Chance, die wichtigsten Hochschulentscheidungen mitzugestalten, weil ich die Zeit hatte, wissenschaftlich zu denken.“

„Als der Kurs entstand, gab es auch Jungs. Wir hatten auch drei männliche Professoren. Wir haben die Schüler nie getrennt und einige der Kurse in diesem Masterstudiengang wurden auch in anderen Masterstudiengängen angeboten. Diese Kurse waren an eine größere Gruppe von Menschen gerichtet.“

Dieser progressive Weg war jedoch nicht immer so flexibel. Bei ihrem ersten Versuch, eine akademische Karriere einzuschlagen, erhielt sie ein Angebot von der Fakultät für Soziologie. Allerdings war der Einladung folgende Bedingung des Dekans beigefügt: „Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie hierherkommen, aber Sie müssen Ihren feministischen Ansatz loswerden.“ Das sei keine Geschlechterdiskriminierung im eigentlichen Sinne, sondern eine Diskriminierung ihres eigenen Ansatzes und ihrer theoretischen Ansichten. „Ich habe noch nie von einem Mann gehört, dem gesagt wurde: Okay, du kannst kommen, aber du musst deine kommunitaristische oder ökologische Perspektive loswerden“, sagt Prof. Miroiu.

Sie betont auch, dass es im akademischen Bereich eine gläserne Decke gibt. „In der Philosophie oder den Sozialwissenschaften ist die wichtigste Auszeichnung für einen Akademiker die Mitgliedschaft in der Rumänischen Akademie der Wissenschaften. Das ist die Anerkennung für einen bedeutungsvollen beruflichen Beitrag. Man wird Mitglied auf Lebenszeit und genießt sehr viele, mitunter auch finanzielle Vorteile. In der sozialwissenschaftlichen Abteilung ihrer Akademie sowie im Fachbereich Philosophie gibt es überhaupt keine Frauen. Es spielt keine Rolle, ob man viel beigetragen hat oder nicht – oder ob man weitaus besser ist als die Mitglieder dort oder nicht. Man kann sich auch nicht auf so eine Position bewerben, da man als potenzielles Mitglied vorgeschlagen werden muss.“

„In den letzten 10 bis 15 Jahren haben Frauen hervorragende Leistungen erbracht, sie stellen die Mehrheit der Studenten, sie sind die Mehrheit der Doktoranden und es ist beinahe unmöglich, ihre Fähigkeiten in Frage zu stellen. Aber es gibt sicher immer noch eine passive Präferenz für männliche Kandidaten für Stellen an Hochschulen.“

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Nur wenig Freiheit vor der Demokratie

Auch die Rechte von Frauen in Rumänien haben sich seit dem autoritären Regime und der Zeit nach seinem Zusammenbruch im Jahr 1989 vermehrt.

„Ich denke, dass wir im früheren kommunistischen Regime nicht im eigentlichen Sinne über Minderheiten-, Menschen- oder Frauenrechte sprechen konnten. Es ist also sehr schwer, von beruflicher Diskriminierung zu sprechen“, kommentiert Prof. Miroiu die Unterschiede in den Systemen.

Wirtschaftlich waren Frauen benachteiligt. Gehälter und Preise wurden vom Staat festgelegt. Frauen wurden in der sogenannten „Leichtindustrie“ untergebracht, zu welcher unter anderem die Lebensmittel-, Glas-, Textilindustrien gehörten. Im Gegensatz dazu sprach man bei der Schwerindustrie von Industrien wie der Metall- oder Chemieindustrie. In der ersteren arbeiteten Frauen, in der letzteren bekamen Männer einen Job. Es gab jedoch ein erhebliches Lohngefälle, da die Gehälter in der Leichtindustrie etwa um drei- bis viermal niedriger waren als in der Schwerindustrie. „Das war der Politik geschuldet. Wenn der Staat sagt, dass die Bedeutung der Arbeit von Frauen in der Leichtindustrie um ein Vielfaches kleiner ist als die von Männern, die in der Schwerindustrie arbeiten, dann ist das eine große Diskriminierung“, fügt sie hinzu. Neben der Arbeit in einer Fabrik mussten Frauen alle häuslichen Aufgaben übernehmen, da dies dem traditionellen Rollenbild entsprach – sie mussten putzen, kochen und den Haushalt führen.

Darüber hinaus war das ein morbides autoritäres Phänomen, dass Frauen körperlicher Gefahr ausgesetzt waren und nicht frei über ihren Körper bestimmen konnten. „Wir waren in einer eher schlechten Lage, weil es in Rumänien eine sogenannte ‚pronatalistische‘ Politik gab, die Frauen zu Zwangsschwangerschaften verpflichtete, keinen Zugang zu Verhütungsmitteln ermöglichte, das Recht auf Abtreibung untersagte und man mindestens fünf Kinder haben und mindestens 45 Jahre alt sein sollte. Die Polizei war in Krankenhäusern ständig auf der Suche nach „schuldigen Frauen“, also Frauen, die diese Vorgaben nicht erfüllten. Viele Frauen saßen im Gefängnis. 10.000 Frauen starben in Rumänien wegen illegaler Abtreibungen – das war nur die offizielle Zahl, in Wahrheit waren es mehr“, verrät die Wissenschaftlerin.

„Meiner Meinung nach können wir im Kommunismus nicht über Feminismus sprechen. Der Feminismus ist der Weg zur Autonomie der Frauen und der Kommunismus ist der Weg zur Autonomie von niemandem. Es ist unmöglich, einen anderen, abweichenden Standpunkt zu vertreten.“, sagt sie. Das zweite Dekret, das nach der rumänischen Revolution erlassen wurde, war das Gesetz gegen Abtreibung. „Das war ein Zeichen der Freiheit“, sagt die Professorin.

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