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Kenia
Ausschreitungen in Kenia: Die Generation Z ist wütend

Umstrittene Steuerpläne lösen eine Krise in der ostafrikanischen Demokratie aus
Kenianische Polizisten gehen in Nairobi gegen Demonstranten vor, die gegen die Steuererhöhungen im geplanten "Finanzgesetz 2024" protestieren

Kenianische Polizisten gehen in Nairobi gegen Demonstranten vor, die gegen die Steuererhöhungen im geplanten "Finanzgesetz 2024" protestieren

© picture alliance / Anadolu | Gerald Anderson

Vierzehn Menschen tot, das Parlament in Brand gesteckt und die Zukunft des Landes völlig offen. Das ist die bisherige Bilanz der Proteste in Kenia. Dabei galt das Land lange als Leuchtturm für Stabilität und Demokratie in Ostafrika.

Am 13. Juni hatte die Regierung von Präsident William Ruto ein neues Steuergesetz vorgestellt und damit landesweit Tumulte ausgelöst. Das Paket, das keine drei Wochen später in Kraft treten sollte, enthielt ein ganzes Bündel von Steuererhöhungen – unter anderem auf Brot, Speiseöl, Bank- und Mobilfunkgebühren sowie Autos. Besonders pikant: Hubschrauber und Privatflugzeuge, die Lieblingsspielzeuge der politischen Elite, sollten von der Steuer befreit werden. Der Aufschrei der Bevölkerung war spontan und deutlich. Besonders bei der Generation Z, den vielen jungen Kenianerinnen und Kenianern, die ohnehin um Jobs und Zukunftschancen bangen, kochte die Wut über. Da half es auch nichts, dass die Regierung nach fünf Tagen einen Teil der Steuerpläne wieder zurücknahm. Der Protest richtete sich längst gegen die Regierung insgesamt, die als korrupt und rücksichtslos gegenüber den Nöten des eigenen Volks wahrgenommen wird. „Ruto must go“ wurde zur Parole der Demonstranten. Immer mehr Gruppen schlossen sich den Protesten an – die Mittelschicht, Büroangestellte, Ärzte und Anwälte, aber auch die Armen, die in den Slums von Nairobi leben.

Dienstag war der vorläufige traurige Höhepunkt der Proteste. Für den Tag der finalen Abstimmung im Parlament hatten die Demonstranten zu Massenprotesten aufgerufen. Das Land sollte für einen Tag stillstehen. Nicht nur in Nairobi, sondern in 35 der 47 kenianischen Bezirke gingen die Menschen auf die Straße, beschimpften die Regierung und plünderten Immobilien von Abgeordneten der Regierungspartei. Auch in Eldoret, der Heimatstadt des Präsidenten, stürmten hunderte Jugendliche das Anwesen eines seiner Gefolgsmänner.

In Nairobi übernahmen die Demonstranten die Kontrolle über das zentrale Geschäftsviertel der Stadt. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein. Die meisten Todesfälle ereigneten sich im Umfeld des Parlamentsgebäudes, als die Demonstranten die Polizei überrannten und das Gebäude besetzen. Polizisten in Zivil und Scharfschützen, die die Polizei auf den Dächern postiert hatte, schossen mit scharfer Munition gezielt auf die Demonstranten. Die Krankenwagen brachten immer mehr Verwundete und Tote in die umliegenden Krankenhäuser.

Im Parlament kam es zu chaotischen Szenen. Die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter wurden durch einen Tunnel in den Keller eines Nebengebäudes in Sicherheit gebracht. Fast zwei Stunden mussten sie dort ausharren, bis die Polizei das Gebäude wieder unter Kontrolle hatte. Anschließend wurden sie mit Krankenwagen und Hubschraubern in Sicherheit gebracht. Zurück blieben zerstörtes Mobiliar, kaputte Scheiben und ausgebrannte Räume.

Die internationale Gemeinschaft, aber auch die einflussreichen Kirchen des Landes reagierten alarmiert. Noch am selben Abend forderten sie in öffentlichen Erklärungen ein Ende der Gewalt und zeigten zugleich ihr Verständnis für die Proteste der Jugendlichen.

Später am Abend wandte sich Präsident Ruto an die Nation. Nach ein paar versöhnlichen Sätzen und einem formalen Bekenntnis zur Demonstrationsfreiheit folgte die unverhohlene Drohung: Die Ereignisse des Tages seien „Verrat“ und die verantwortlichen Rädelsführer würden verfolgt werden. Von einer Entschuldigung an die Opfer und ihre Familien keine Spur.

Wie geht es weiter für Kenia?

Inzwischen hat Ruto das Gesetz zurückgezogen, doch zurückbleibt ein verstörtes Land: Stolz auf die eigene junge Generation, die der Regierung mutig und kreativ die Stirn bietet. Schockiert von der Brutalität der Polizei und besorgt darüber, was die kommenden Tage bringen werden. Denn auch wenn Ruto inzwischen weniger aggressive Töne angeschlagen hat, ist nicht sicher, dass er Polizei und Militär zurückziehen wird. Ebenso wenig ist die Reaktion der jungen Demonstrantinnen und Demonstranten vorhersehbar.

So wächst die Sorge um die Zukunft des Landes und auch um seine traditionelle Bindung an die USA und Europa. Immer deutlicher wird in Kenia Kritik am Internationalen Währungsfonds und den strengen Auflagen geäußert, mit denen die Organisation das hoch verschuldete Kenia zur Steigerung seiner Staatseinnahmen drängt. Neben der wuchernden Korruption sehen viele darin die eigentliche Ursache für die Steuererhöhungen. So sind auch die großen Partner und Geldgeber aus dem Westen gefragt. Wenn sie Kenia als Stabilitätsanker in Ostafrika bewahren wollen, müssen sie kurzfristig die Regierung Ruto vom Pfad der Gewalt abbringen und mittelfristig einen Weg finden, die Schuldenlast des Landes zu reduzieren, ohne seine Menschen zu überfordern.