Pakistan
Naturkatastrophen und Klimawandel
Wenn man in Deutschland ein Handtuch kauft, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass es 'Made in Pakistan' ist, egal ob man es beim Discounter, Kleidergeschäft oder vom schwedischen Einrichtungshaus kauft. Deutschland ist einer der größten Abnehmer von pakistanischem Baumwollgarn.[1] Produktion und Verkauf des Handtuchs stehen in einer wechselseitigen Beziehung zu Klimawandel und Naturkatastrophen, die wiederum einen direkten Einfluss auf die Situation von Frauen und marginalisierten Gruppen in Pakistan haben.
die Flutschäden belaufen sich auf 14 Milliarden US-Dollar, die Kosten für den Wiederaufbau auf 16 Milliarden US-Dollar – eine Summe, die Pakistan nicht bewältigen kann.
Der Rohstoff für die Herstellung von Handtüchern, Baumwolle, ist eines der wichtigsten Exportprodukte Pakistans. Deshalb wird der Anbau weiter betrieben, obwohl er sehr wasserintensiv ist und dadurch die ohnehin geringen Grundwasservorräte vermindert. Baumwolle wird hauptsächlich von Frauen geerntet. Im Sommer 2022 wurde diese Lebensgrundlage durch eine Flut von noch nie dagewesenem Ausmaß zerstört. In Pakistans Süden und Westen fiel über Wochen heftiger Regen, etwa ein Drittel des Landes wurde überflutet. Geschätzte 8 Millionen Menschen mussten flüchten.[2] Die ohnehin schon vollen Flüchtlingscamps (Pakistan gehört zu den Ländern mit der höchsten Anzahl an Binnenflüchtlingen weltweit) wurden noch voller. Ernten wurde zerstört, Nahrung und andere Güter der Grundversorgung wurden knapp und das Ausmass der Zerstörung sind noch immer schwer abschätzbar. Die Weltbank schätzte im Oktober 2022 die Schäden auf 14 Mrd USD, die Kosten für den Wiederaufbau auf 16 Mrd USD – eine Summe, die für Pakistan nicht zu bewältigen ist.
Wirtschaftliche, politische und Klima-Katastrophen
Doch die Flut ist kein Einzelfall. In den letzten Jahren kam es in allen Teilen des Landes zu einer Häufung von Naturkatastrophen, u.A. Gletscherschmelzen, Erdrutsche und extreme Wetterlagen. Dazu kommt Menschengemachte Luftverschmutzung.[3] Pakistan gehört weltweit zu den Ländern, die am meisten von menschengemachten und Naturkatastrophen gefährdet sind.[4] Diese Naturkatastrophen haben einen direkten Einfluss auf die wirtschaftliche und politische Lage im Land. Der Unmut unter weiten Teilen der Bevölkerung ist groß, weil keine Regierung es schafft, die Wirtschaft zu stabilisieren, Lebensstandards zu sichern, Wiederaufbau voranzutreiben und gleichzeitig einen Strukturwandel umzusetzen. Deshalb befindet sich das Land schon seit Jahren in einer Poly-Krise: die Herausforderungen sind alle miteinander verknüpft und jede für sich allein genommen stellt schon eine komplexe Gemengelage dar. Pakistan in der Krise (Birgit Lamm 2023) Katastropenhilfe für die Flutopfer in Pakistan (Birgit Lamm 2022)
Auswirkungen auf Frauen, Kinder und Randgruppen
Vor allem Frauen, Kinder und marginalisierte Gruppen sind von dieser Polykrise stark betroffen. Durch Naturkatastrophen wie der Flut von 2022 verlieren Frauen ihr ohnehin schon mageres Einkommen, weil die Infrastruktur zerstört wird und sie fliehen müssen. Es ist bekannt, dass die Bedingungen in provisorischen Unterkünften für Binnenvertriebene sehr schlecht sind, besonders für Frauen, Kinder und marginalisierte Menschen.
- Männerorientierte Hilfe: Sowohl die Hilfsinfrastruktur als auch Unterstützungsangebote, die hauptsächlich von internationalen Organisationen finanziert werden, sind primär auf die Bedürfnisse von Männern und gesunden Menschen ohne Beeinträchtigungen ausgelegt und sie berücksichtigen lokale Gegebenheiten wenig.
- Nur das Allernötigste: Die angebotene Unterstützung konzentriert sich hauptsächlich auf die Versorgung mit Nahrung und Wasser, Gesundheit und Hygiene sind oft sekundär.
- Kein sauberes Wasser: Sie trauen sich nicht zu trinken, weil es nicht genug geschlossene und sichere Toiletten gibt.
- Keine Privatsphäre: Offene Zelte bieten keine Privatsphäre, es gibt keine sicheren Rückzugsräume. Aus Angst vor Belästigung, Gewalt und Verletzung der Privatssphäre schlafen v.a. Frauen und Mädchen deshalb wenig.
- Sterblichkeitsrate erhöht: UNPA schätzt, dass im Sommer 2022 während der Flut 650 000 schwangere Frauen ohne medizinische Unterstützung waren. Dadurch erhöht sich die Sterberate - sowohl für Neugeborene also auch für Mütter.[5]
Auch die Verteilung von Hilfe zieht lokale Gegebenheiten nicht in Betracht und ist deshalb nicht für alle zugänglich. Für die Ausgabe von Unterstützungsleistungen sind meist Personalausweise nötig, die viele Frauen nicht haben, weil sie weniger mobil sind als Männer und dadurch staatliche Stellen nicht besuchen können. Frauen und viele Analphabeten können oft nicht die geforderten Dokumente vorzeigen, die für die Beantragung von Ausweisen nötig sind. Der Zugang zu Ressourcen ist Frauen und Kindern somit oft verwehrt. Es bleibt ihnen keine Wahl als sich in Abhängigkeitsverhältnisse zu männlichen Familienmitgliedern oder anderen Mittelspersonen zu begeben.
Schlechter Schlaf, mangelnde Hygiene, Nahrungsmittelknappheit und beschränkter Zugang zu Ressourcen schwächen den Gesundheitszustand und vermindern die Lebensqualität von Frauen und Kinder. Aufgrund von patriarchalen sozialen Strukturen ist die gesundheitliche Ausgangslage von vielen Frauen und Kindern sowieso meist schlechter als die von Männern. Naturkatastrophen verschärfen diese schlechten Bedingungen.
Mentalen Gesundheit
Eine weitere negative Auswirkung von Naturkatastrophen auf Betroffene, für Vertriebene genauso wie Dagebliebene, ist die Verschlechterung ihrer mentalen Gesundheit. Seit Jahren häufen sich die Anzeichen, dass die Selbstmordraten in Gebieten, die von Naturkatastrophen und Klimawandel betroffen sind, stark steigt, besonders unter Frauen und Jugendlichen. Es wird vermutet, dass das schiere Ausmaß der Zerstörung, der Verlust des Zuhauses und die Hoffnungslosigkeit der Situation die mentale Gesundheit aller Betroffenen negativ beeinträchtigt. Die Selbstmorde sind nicht nur eine Tragödie an sich, sondern wirken sich auch auf Familienstrukturen und das soziale System aus. Die Hinterbliebenen haben nicht nur mit Verlust ihres Lebensunterhalts durch Naturkatastrophen zu kämpfen, sondern trauern auch um ihre Angehörigen.
Zunahme häuslicher und sexueller Gewalt
Studien haben außerdem gezeigt, dass häusliche und sexualisierte Gewalt ansteigen, wenn sich ökonomische Bedingungen verschlechtern oder in Folge von Naturkatastrophen. Die Opfer sind disproportional häufig Frauen und Kinder. Mehrere Studien haben gezeigt, dass Kinderheirat, Kinderarbeit und Sexhandel in diesen Kontexten ansteigen. Aufgrund der schlechten ökonomischen Lage und ohne ein staatliches Sicherheitsnetz sehen sich manche Familien dazu gezwungen, ihre Töchter im Kinder- oder Jugendalter zu verheiraten oder arbeiten zu schicken, wo sie oft (sexualisierter) Gewalt ausgesetzt sind. Diese Entscheidungen werden von Eltern oft in der Hoffnung getroffen, dass eine Heirat oder Anstellung die Überlebensgrundlage der Kinder sichert.[6]
Naturkatastrophen steigern Armut
Naturkatastrophen steigern Armut und verringern derzeitige Lebensstandards im Hier und Jetzt. Sie wirken sich negativ auf die heranwachsende Generation und deren Zukunft aus. Zum einen haben Kinder weniger Zugang zu Bildung, entweder weil Naturkatastrophen die Bildungsinfrastruktur zerstören, oder weil Kinder, die Binnenflüchtlinge sind, in Aufnahmelagern keine oder nur unzureichende Schulbildung erhalten. Dadurch wird die schon vorher existierende Bildungskrise noch einmal verschlimmert. Zumanderen verwehren die schlechte medizinische und hygienische Versorgung und Mangelernährung die normale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Es kommt zu Erkrankungen, gesundheitlichen Problemen und höherer Sterblichkeit. Für die Zukunft bedeutet das, dass gut ausgebildete Menschen fehlen, während die Zahl der Ungelernten, Kranken und Traumatisierten steigt. Weil Wirtschaft und Arbeitsmarkt immer höher qualifizierte Arbeitskräfte benötigen, vergrößert sich die Schere zwischen qualifizierten und nicht qualifizierten Arbeitskräften. Die Ungleichheit wächst. Vor allem Frauen, Kinder und Menschen mit Behinderungen sind davon betroffen. Dadurch erhöhen sich soziale Probleme und Polarisierung. Die immer häufiger werdenden Naturkatastrophen erschweren die Lage und es bleibt wenig Kapazität, präventive Maßnahmen auszubauen, um für den Klimawandel gewappnet zu sein.[7]
Marode Staatsfinanzen lassen keinen Raum für Sozialausgaben
Anfang 2023 steht Pakistan vor dem Staatsbankrott. Eine Kombination aus Missmanagement, Korruption, jahrelanger Vernachlässigung des Sozial-, Gesundheits- und Bildungssystems, Konflikten und Naturkatastrophen haben die Wirtschaft geschwächt. Die aktuelle Regierungspolitik setzt dem praktisch nichts entgegen: Die für 2023/24 vorgelegte Haushaltsplanung sieht keine nennenswerten Ausgaben für Soziales vor. Rund 50% des Regierungshaushaltes gehen in den Schuldendienst, 12,4% in den Verteidigungshaushalt. ( Um mehr zu lesen Budget 2023 Critique and Analysis by Dr Aneel Salman) Ausgaben für das Gesundheitswesen und Bildung wurden nominell um weniger als 10% erhöht. Bei der (optimistischen) Prognose einer Inflation von 21% seitens des Finanzministeriums bedeutet dies einen erheblichen Realverlust im Sozialbereich.[8] Eine Einigung über weitere Zahlungen des IWF konnten bisher nicht erzielt werden. Maßnahmen zur Reduzierung von sozialen Ungleichheiten sind damit stark beschränkt.[9] Marginalisierte Gruppen sind somit weiterhin hauptsächlich auf die Unterstützung von internationalen Nichtregierungsorganisationen angewiesen und ein staatliches Sozialsystem wird nicht aufgebaut.
Obwohl ein Mensch in Pakistan laut Weltbank 2019 nur 0,9 Tonnen CO2 Emissionen produzierte, tragen die Menschen dort ... die Hauptlast von Naturkatastrophen ...allen voran Frauen, Kinder
Die Handtuch 'Connection'
Multinationale Firmen, häufig über lokale Sub-Unternehmer, nutzen die mangelnde Gesetzeslage (z.B. schwache Arbeitsschutzgesetze) und fehlende Überwachung von Produktionsbedingungen, um Waren billig zu produzieren und dann mit großen Gewinnspannen in Ländern wie Deutschland zu verkaufen. Durch die Nutzung von Sub-Unternehmern ist es multinationalen Firmen möglich, Fragen von z.B. der EU zu Produktionsbedingungen und Umweltzerstörung zu umgehen. Somit steht der Kauf eines Handtuchs in Deutschland in einer Wechselwirkung mit der Situation von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen in Pakistan.
Obwohl ein Mensch in Pakistan laut Weltbank 2019 nur 0,9 Tonnen CO2 Emissionen produzierte, was weniger als 1% der globalen CO2 Emissionen darstellt (zum Vergleich in Deutschland waren es 7,9 Tonnen pro Kopf),[10] tragen die Menschen dort, und in anderen hoch Risikoländern, die Hauptlast von Naturkatastrophen, die den Klimawandel begleiten, und allen voran Frauen, Kinder und marginalisierte Gruppen.
[1] Observatory of Economic Complexity. https://oec.world/en/profile/bilateral-product/retail-cotton-yarn/reporter/pak
[2] World Bank Group. Country Climate and Development Report. Nov 2022, Washington DC https://openknowledge.worldbank.org/server/api/core/bitstreams/2d1af64a-8d35-5946-a047-17dc143797ad/content
[3] Air Quality Life Index https://aqli.epic.uchicago.edu/country-spotlight/pakistan/
[4] World Bank. Climate Risk Report Pakistan. https://climateknowledgeportal.worldbank.org/sites/default/files/2021-05/15078-WB_Pakistan%20Country%20Profile-WEB.pdf; INFORM Risk Index. Country Profile Pakistan. https://drmkc.jrc.ec.europa.eu/inform-index/INFORM-Risk
[5] The UN Population Fund. https://pakistan.unfpa.org/en/news/women-and-girls-bearing-brunt-pakistan-monsoon-floods
[6] United Nations. The impact of COVID 19 on women. https://www.un.org/sexualviolenceinconflict/wp-content/uploads/2020/06/report/policy-brief-the-impact-of-covid-19-on-women/policy-brief-the-impact-of-covid-19-on-women-en-1.pdf; Currently. https://currentlyhq.com/personal/reetika-subramanian-climate-brides-project/
[7] Zuberi, M., Raab, C., Spies, M. (2022) Landnutzungswandel im Baumwollgürtel Pakistans. Gen-Baumwolle, Agrardiversifizierung und ökologische Herausforderungen im Süden des Punjab, Geographische Rundschau 75/4, 20-25.
[8] Business Recorder. https://www.brecorder.com/news/40246925
[9] Human Rights Watch. https://www.hrw.org/news/2023/02/06/pakistan-imf-bailout-should-advance-economic-rights
[10] World Bank. IBRD – iDA. Co2 emissions. https://data.worldbank.org/indicator/EN.ATM.CO2E.PC?end=2019&locations=PK&start=2019&view=map