Populismus
Die Zerstörung Europas
Ab jetzt herrscht Klarheit! Mit dem Parteitag der AfD in Magdeburg legt der Rechtspopulismus in Deutschland endlich ein konkretes europapolitisches Programm vor. Damit ist erstmals relativ klar erkennbar, was er genau will - jenseits all der Allgemeinplätze, die in seiner Rhetorik auf vage Emotionen gegen die Europäische Union abzielen.
Zugegeben, diese Allgemeinplätze sind kräftig genug, um zu Recht entsetzte Empörung auszulösen. So als Björn Höcke jüngst in Magdeburg formulierte: "Diese EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann". Ein unglaublicher Satz! Die EU, der größte Zusammenschluss von Nationen der "alten Welt", der fast siebzig Jahre lang die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Integration des Kontinents in Frieden und Freiheit erfolgreich voranbrachte, der so attraktiv war und ist, dass inzwischen 27 Nationen dazu gehören und weitere Schlange stehen, um Mitglied zu werden, der als Hort der Menschenrechte und des Wohlstands jährlich Millionen Migranten anzieht, der in der Welt hochrespektiert ist, das politische Werk von Konrad Adenauer, Willy Brandt, Hans-Dietrich Genscher und Helmut Kohl, ausgerechnet dieser Zusammenschluss soll sterben müssen, damit das wahre Europa leben kann. Dies zu behaupten, ist lächerlich und menschenverachtend zugleich.
So sehr, dass vielleicht bisher von den demokratischen Verteidigern Europas der Fehler gemacht wurde, sich auf eine (absolut berechtigte) moralische Verurteilung der Position zu beschränken. Jetzt aber geht es um konkrete rechtspopulistische Forderungen. Drei verdienen Erwähnung.
Erstens: Im Leitantrag fordert die AfD die geordnete Auflösung der EU. Man muss sich das vorstellen: Jener Wirtschaftsraum, in den die Exportnation Deutschland mehr als die Hälfte ihrer Ausfuhren liefert, soll aufgelöst werden. Das ist ein absurder Gedanke. Er tritt deutsche Interessen mit Füßen. Deutschland hat neun Nachbarstaaten mit Landgrenzen, acht davon sind Mitglieder der EU: Dänemark, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Österreich, die Tschechische Republik und Polen; hinzu kommen nicht weit entfernte "mittelbare" EU-Nachbarn - direkt und leicht per See erreichbar wie Schweden, Finnland, Estland, Lettland und Litauen oder über ein Transitland wie Italien, die Slowakei, Slowenien oder Spanien. Warum um Himmels Willen sollte man diesen Verband zerlegen, wo er doch als Handelsraum extrem erfolgreich ist? Warum sollte man daran überhaupt einen Gedanken verschwenden, wo es in der Geschichte keinen erfolgreicheren gemeinsamen Markt ansonsten souveräner Nationen gibt als eben diese Europäische Union?
Zeitens: Die AfD fordert die Auflösung der Eurozone und in Deutschland die Wiedereinführung einer (neuen) Deutschen Mark - und dies nach über zwei Jahrzehnten des Euro, in dem die die Inflationsraten in Deutschland im Durchschnitt deutlich unter jenen lagen, die in den sechziger bis achtziger Jahren zur DM-Zeit vorherrschten - von den massiven damaligen Kursschwankungen gegenüber dem US-Dollar ganz zu schweigen. Glauben deutsche Rechtspopulisten allen Ernstes, dass sich das wirtschaftlich wichtigste, zentral gelegenste und stabilitätsorientierteste Land der Eurozone aus dem Währungsverbund verabschieden könnte, ohne ein dramatisches Erdbeben der Wechselkurse und Destabilisierung zu verursachen, das dem innereuropäischen Handel massiv schaden würde? Wie auch immer man die Geschichte der Euroschuldenkrise vor über zehn Jahren interpretieren mag, sie mündete nach schweren Erschütterungen in einer bemerkenswert langen Phase der Stabilität, die seit Mitte letzter Dekade anhält und selbst vormalige Krisenländer wie Griechenland und Spanien zurück in die fiskalische Solidität geführt hat. Wollen wir dies zerschlagen - durch Ankündigung des Austritts Deutschlands aus der Eurozone, einer radikalen Währungsreform und danach einer "autonomen" Geldpolitik, die möglicherweise nur damit beschäftigt wäre, einer allfälligen Aufwertung der "neuen" Deutschen Mark entgegenzuwirken, um nicht die Wettbewerbsunfähigkeit der deutschen Exportwirtschaft zu riskieren - mal ganz abgesehen von wütenden protektionistischen Protestaktionen unserer Nachbarländer, die sich gegen die neue Egozentrik Deutschlands mit allen Mitteln wehren würden?
Drittens: Die AfD fordert das Ende der Freizügigkeit in der Europäischen Union. Also: Grenzkontrollen und Grenzbarrieren gegen die Wanderung von Arbeitskräften - faktisch vor allem von Ost, wo die Löhne deutlich niedriger sind, nach West, wo sie deutlich höher sind. Was für eine Schädigung deutscher Interessen! Jeder weiß, dass hierzulande aufgrund der demografischen Entwicklung Arbeitskräfte schon heute sehr knapp sind und in den nächsten Jahren noch viel knapper werden. Wir sind in Deutschland in der Zukunft mehr denn je auf die Zuwanderung von Menschen innerhalb der EU angewiesen. Hinzu kommt die Migrations- und Asylpolitik gegenüber dem Rest der Welt: Es wäre politisch in groteskem Maße naiv zu unterstellen, dass wir zu einer gemeinsamen Migrationspolitik gegenüber dem EU-Ausland finden können, wenn wir gleichzeitig innerhalb der EU hohe Hürden gegenüber der Freizügigkeit errichten. Ohne Zweifel würden alle Bemühungen zusammenbrechen, eine gemeinsame Linie zu finden. Das Chaos an den Binnen- und an den Außengrenzen der EU wäre vorprogrammiert. Jede Nation würde für sich versuchen, eigene egoistische Ziele in der Migrationspolitik zu verfolgen - und es wäre bei der Sensibilität des Themas völlig absurd zu glauben, dass dies keine schwerwiegenden negativen Rückwirkungen auf viele andere Politikbereiche hätte.
Fazit: Der europapolitische Weg des Rechtspopulismus führt überall in die Sackgasse - ob beim Handel, bei der Währung oder bei der Migration. Jedenfalls wirtschaftlich würde er in einer Katastrophe münden. Dies muss endlich unmissverständlich ausgesprochen werden. Nur so wird die Öffentlichkeit Schritt für Schritt verstehen, um wie viel es hier geht. Die programmatischen Forderungen der rechtspopulistischen AfD auf ihrem Magdeburger Parteitag geben allen Anlass dazu, zur Sache zu kommen. Die Zeiten des bloßen Moralisierens müssen der Vergangenheit angehören. Jetzt kann endlich präzise argumentiert werden. Liberal gesinnte Demokraten sollten genau dies tun: deutlich, hart und klar. Und mit Leidenschaft.