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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Rüstung
Verteidigung ohne Verschwendung!

NATO-Europa braucht endlich einen gemeinsamen Markt für Rüstungsgüter. Der wird nur entstehen, wenn sich zwischen den Mitgliedsländern die Bereitschaft zur innereuropäischen Arbeitsteilung entwickelt, auch zwischen Waffengattungen.
Zwei deutsche Soldaten stehen auf einem Schützenpanzer Puma vor der Militärparade.
© picture alliance/dpa | Alexander Welscher

Es war ein historischer Tag. Am 26. Februar 2024, fast genau zwei Jahre nach dem Beginn des Krieges von Putins Russland gegen die Ukraine, beschloss die ungarische Regierung unter Viktor Orbán, dem Beitritt Schwedens zur NATO zuzustimmen. Damit steht fest: Die NATO wird in Kürze - nach dem Beitritt von Schweden und nach dem bereits jüngst vollzogenen Beitritt Finnlands - ihre bisher größte geografische Ausdehnung erreichen. Und nicht nur das: Sie wird auch über ihr bisher größtes eigenes Potenzial verfügen, Waffen und Waffensysteme selbst zu produzieren, zumal beide hinzugekommenen Nordländer traditionell große Stärken in der militärisch nutzbaren Informationstechnologie sowie in modernster industrieller Ingenieurskunst aufweisen.

Also: eine riesige Chance, die militärische Verteidigung des Bündnisses und deren abschreckende Wirkung zu verbessern, vor allem eben gegenüber Putins Russland. Dies gilt umso mehr, als fast überall in Europa seit 2022 die Zeit der Kürzungen im Verteidigungshaushalt der Vergangenheit angehört. Fast überall sind Erhöhungen der Ausgaben für das Militär geplant. In Deutschland wird endlich das Zwei-Prozent-Ziel als Anteil des Bruttoinlandsprodukts politisch ernst genommen und sogar über eine Erhöhung darüber hinaus nachgedacht, ggf. anhand eines verfassungsrechtlich abgesicherten Sonderfonds.

Herausforderungen bei der Verteidigungsausstattung: Produktionskapazitäten und Fragmentierung der Märkte

Übersehen wird dabei allzu leicht, dass zusätzliche Mittel für Verteidigung nur dann Wirkung zeigen, wenn die entsprechenden Produktionskapazitäten zur Verfügung stehen - und zwar sowohl die nötigen gut ausgebildeten Arbeitskräfte und Soldaten, als auch Rüstungsfirmen mit ihrem Kapitalbestand. Daran hapert es, wie man aktuell an den Engpässen in der Munitionsproduktion für die Ukraine exemplarisch sehen kann. Es bedarf großer Infektionen, um dies zu ändern - und zwar vor allem von der privaten Wirtschaft.

Ein gewaltiges Hindernis ist dabei die Fragmentierung der Märkte. Sie ist viel stärker als in jenen Branchen, die für die zivile Versorgung produzieren. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die nationale Sicherheit ist ein derart hohes Gut, dass zumindest die größeren europäischen NATO-Nationen wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien darauf achten, nicht zu stark von ausländischen Lieferungen von Rüstungsgütern abzuhängen. Dies hat noch immer tiefe historische Gründe, eine Art latentes ererbtes Misstrauen. Hinzu kommt natürlich die allfällige Lobbyarbeit der Rüstungsfirmen in den jeweiligen Hauptstädten.

Die Notwendigkeit der Spezialisierung und Marktintegration

All dies sorgt dafür, dass NATO-Europa in der Summe mehr Mittel für Rüstung bereitstellt als Russland, aber nicht annähernd jene Vorteile der Massenproduktion realisiert, wie dies in einem voll integrierten Markt durch die Spezialisierung möglich wäre. Entsprechend hoch sind die Herstellungskosten, gerade auch in jenen Bereichen der Hochtechnologie, die enorme Investitionen in Forschung & Entwicklung voraussetzen, die sich erst bei hohen Stückzahlen der Produktion wirklich lohnen. Große Länder wie die USA und Russland haben da einen inhärenten Vorteil. Sie vermeiden jene Verschwendung, die in kleineren Ländern dadurch entsteht, dass nationale Regierungen geneigt sind, ihre eigenen Produzenten zu bevorzugen - und damit die Vorteile der spezialisierten Arbeitsteilung gar nicht erst entstehen zu lassen.

Das muss schnellstmöglich ein Ende haben. Nur so kann Europa in seiner Rüstungsindustrie auch qualitativ an die Weltspitze rücken. Dazu braucht es allerdings auch eine politische Bereitschaft zur Spezialisierung. Und die entsteht nur, wenn allen klar ist, dass es anders nicht geht. Putins aggressiver Imperialismus sowie die Angst vor einem Sieg von Donald Trump bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl im November 2024 mögen helfen, die politischen Akteure in den europäischen NATO-Ländern auf den richtigen Pfad zu führen. Es ist höchste Zeit, jedenfalls intensiv darüber nachzudenken und gegenseitiges Misstrauen abzubauen. Nur so kann die quantitative Aufrüstung auch die dringend nötige qualitative Dimension gewinnen.