Schuldenbremse
Das Missverständnis
Die Grundidee der Schuldenbremse ist einfach. Sie soll künftige Generationen davor schützen, dass der Staat die Last der Steuern auf jene künftigen Generationen verschiebt, die noch keine politische Stimme haben. Dies ist immer richtig. Es ist aber in einer Zeit der Alterung und Schrumpfung der Gesellschaft, wie wir sie durchleben, geradezu moralisch geboten.
In der Praxis stärkt die Schuldenbremse die Machtposition der Finanzministerien in der Bundes- und in den Landesregierungen. Sie hilft, allfällige Maximalforderungen der Ressortministerinnen und -minister abzuwehren. Nichts ist besser dafür als eine "harte" Budgetrestriktion, die verfassungsrechtlich abgesichert ist, aber natürlich für - nicht selbst verschuldete - Notfälle Sonderregelungen erlaubt.
Soweit die Grundidee. Funktioniert sie? Es gibt zwei Nationen, die Schweiz und Deutschland, die über einen hinreichend langen Zeitraum eine hinreichend harte Schuldenbremse anwenden, um diese Frage mit einem vorsichtigen "Ja" beantworten zu können. In der Schweiz, wo der verfassungsbedingte Haushaltsausgleich auf Bundesebene seit zwei Jahrzehnten zur Anwendung kommt, ging die öffentliche Verschuldung als Anteil des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in dieser Zeit fast kontinuierlich zurück. In Deutschland, wo die Schuldenbremse in etwas weicherer Form (dem Bund ist eine Nettokreditaufnahme von 0,35 Prozent des BIP erlaubt) seit dem Jahr 2011 gilt, beobachten wir bis 2019, dem letzten Jahr vor der Covid19-Pandemie, das Gleiche wie in der Schweiz, wenn auch die Abnahme im Trend etwas schwächer ausfiel als im südlichen Nachbarland. Also: Die Schuldenbremsen funktionieren. Allerdings war vor allem das letzte Jahrzehnt eine "Schönwetterlage", was die Steuereinnahmen betrifft. Sie sprudelten bei stabilem Wachstumstrend. Die Konsolidierung fiel also relativ leicht.
Bemerkenswert ist dabei, dass es beiden Nationen in dieser Zeit gelang, ihre bevorzugte Position an den internationalen Finanzmärkten zu festigen und auszubauen - trotz Weltfinanz- und Euroschuldenkrisen im Zeitraum 2008 bis 2011. Deutschland und die Schweiz sehen sich aktuell einem langfristigen Kapitalmarktzins bei Staatsobligationen mit zehnjähriger Laufzeit von 2,3 Prozent (Deutschland) und sogar nur 0,7 Prozent (Schweiz) gegenüber. Dies sind im internationalen Vergleich extrem niedrige Kreditkosten. Die entsprechenden Sätze liegen für Frankreich bei 2,9, für Italien bei 3,7, im Vereinigten Königreich bei 4,2 und selbst in den USA bei 4,1 Prozent. Deutschland und die Schweiz sparen also massiv an Kreditkosten.
Wie massiv, lässt sich an ein paar Zahlenspielen ersehen. Müsste Deutschland seinen Schuldenberg in Höhe von etwa 2 Billionen Euro komplett neu am Kapitalmarkt finanzieren, läge rein rechnerisch die Last bei amerikanischem Zinsniveau um 36 Mrd. Euro und bei französischem Zinsniveau um 12 Mrd. Euro höher, wobei zu bedenken ist, dass Frankreich wahrscheinlich massiv von der Existenz des benachbarten großen Stabilitätsankers Deutschland profitiert, dessen Stärke wiederum auch durch die Schuldenbremse selbst bedingt ist. Würde diese aufgeweicht, käme nicht nur die Bonität Deutschlands "ins Rutschen", sondern auch die französische. Die günstigen Finanzierungsbedingungen in der Eurozone hängen eben maßgeblich von der Stabilität der "Ankernation" ab, und diese ist nun mal Deutschland. Es könnte also durchaus sein, dass hohe zweistellige Milliardenbeträge an zusätzlicher Zinsbelastung anfielen, sobald die Finanzmärkte den Schock einer Aufweichung der Schuldenbremse einpreisen, und dies würde wohl sehr schnell geschehen.
Eine Bremse, kein Verbot
Die deutsche Schuldenbremse ist wieder Gegenstand hitziger Diskussionen. Befürworter preisen ihre Rolle als Hüterin der Generationengerechtigkeit und Stabilität der öffentlichen Finanzen, während Kritiker Investitionen blockiert sehen. Doch was genau verbirgt sich hinter dieser Regelung? Eingeführt als Reaktion auf die Finanzkrise, begrenzt sie die Aufnahme neuer Schulden von Bund und Ländern. Aber wie funktioniert sie konkret? Welche Ausnahmen gibt es, und warum wurde sie überhaupt eingeführt?
All dies bleibt bei Reformvorschlägen zur Aufweichung der Schuldenbremse bis hin zu deren kompletter Aufgabe unberücksichtigt. Es ist eben naiv zu glauben, dass die durch eine Reform nominal gewonnenen Fiskalspielräume - Euro für Euro - in der Realität für zusätzliche Investitionen tatsächlich zur Verfügung stehen. Die gesamte Finanzmarktlage wird sich verändern, und zwar wohl eindeutig in Richtung auf höhere Kosten des Schuldendienstes.
Wohlbemerkt: Dies muss nicht heißen, dass jedwede kleinere Veränderung im Regelwerk der Schuldenbremse ausgeschlossen sein sollte, wohl aber jene großen Schritte in Richtung ihrer Aufweichung, wie sie insbesondere im linken Spektrum unserer Parteienlandschaft - von SPD über Grüne bis Die Linke - empfohlen werden. Auch ein sicherheitspolitischer Notstand ist denkbar. Sollte eine weitere dramatische Wendung des Krieges in der Ukraine erfolgen, müsste wohl eine drastische Aufstockung des Verteidigungshaushalts über eine Ausweitung des Sonderfonds nach Art. 87a Abs. 1a des Grundgesetzes finanziert werden. Es ist natürlich zu hoffen, dass dieser Fall nicht eintritt. Selbst wenn es aber dazu käme, bliebe gleichwohl die finanzpolitische Disziplin mit Schuldenbremse für den Kernhaushalt des Bundes von überragender Bedeutung - zum Erhalt der exzellenten Bonität des Schuldners Deutschland.
Dieser Beitrag ist die Kurzfassung eines Impulsreferats, das Karl-Heinz Paqué bei einer Tagung an der Technischen Universität Berlin am 14. März 2024 gehalten hat. Thema der Tagung war die Finanzierung von staatlichen Investitionen - mit und ohne Schuldenbremse.