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Schuldenbremse
Eine Bremse, kein Verbot

Wie funktioniert die Schuldenbremse im deutschen Grundgesetz?
Bundesministerium der Finanzen

Bundesministerium der Finanzen

© picture alliance / Schoening | Schoening

Aktuell ist sie wieder in aller Munde: die deutsche Schuldenbremse. Ihre Verteidiger betonen den Segen einer Selbstbindung für die Politik, damit diese nicht einfach ohne Begrenzung immer mehr neue Schulden aufnehmen kann. Dies sei mit Blick auf die Generationengerechtigkeit, das Wirtschaftswachstum und die Stabilität der öffentlichen Finanzen unerlässlich. Der Angriff auf die Schuldenbremse wird mit konträren Argumenten geführt: Sie behindere Investitionen, sei aus der Zeit gefallen und müsse mindestens reformiert, wenn nicht gleich ganz abgeschafft werden. Wie so häufig in öffentlichen Debatten lohnt es sich, die Hintergründe der Debatte auszuleuchten: Wann trat die Schuldenbremse noch mal in Kraft? Was waren die Gründe für ihre Einführung? Wie haben sich die öffentlichen Finanzen seitdem entwickelt? Und welche Zielkonflikte gibt es beim Ausbalancieren von öffentlichen Ausgaben, Steuererhebung und der Aufnahme neuer Schulden?

Was genau schreibt die Schuldenbremse eigentlich vor?

Die Schuldenbremse ist in den Artikeln 109 und 115 des Grundgesetzes verankert und sieht vor, dass die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ausgeglichen sein sollten. Das heißt, im Regelfall müssen die Einnahmen (z. B. aus Steuern) die Ausgaben (z. B. für Gehälter) decken.

Aber, keine Regel ohne Ausnahme:

Für den Bundeshaushalt ist eine dauerhafte Ausnahme vorgesehen: In Artikel 115 wird ausgeführt, dass der Bund jedes Jahr Nettokredite in Höhe von 0,35 Prozent des BIP (Bruttoinlandsprodukt) aufnehmen darf. Nettokredite übrigens, da jedes Jahr Milliarden alter Schulden durch die Ausgabe neuer Schulden abgelöst werden. Bei der Schuldenbremse geht es dagegen nur um komplett neue Kredite. Und sie ist in der Tat eine Bremse: Die Aufnahme neuer Schulden ist ja im Umfang von 0,35 Prozent des BIP weiterhin erlaubt. In 2022 waren das immerhin rund 13,5 Milliarden Euro und damit grob gesprochen um die 15 Elbphilharmonien (nach Endpreis inklusiver rund 10facher Kostensteigerung). Diese dauerhafte Erlaubnis, neue Schulden aufzunehmen wird übrigens auch noch der Konjunkturlage angepasst – bei schlechter Konjunktur kommt noch ein Zuschlag hinzu.

Es gibt zudem eine weitere Ausnahme für Notfälle:

Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen darf der Bund Schulden aufnehmen, um auf die Situation zu reagieren. Die Notlage muss sich der Kontrolle des Staates entziehen und die öffentliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen. Und die Mehrheit des Bundestages muss dem zustimmen. Einfach gesprochen: Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die folgende Explosion der Energiepreise könnte so eine Situation darstellen. Schlechte Ergebnisse im Pisa-Test dagegen eher nicht – diese beruhen ja auch auf vielen politischen Entscheidungen in den letzten Jahren.

Warum wurde die Schuldenbremse eingeführt?

Die Schuldenbremse entstand auch unter dem Eindruck der Finanzkrise und wurde als Ergebnis einer Föderalismuskommission eingeführt. Der Bundestag stimmte im Mai 2009 mit der nötigen Zweidrittelmehrheit zu, der Bundesrat folgte im Juni 2009. Die Änderung des Grundgesetzes trat am 01. August 2009 in Kraft. Ab 2016 galt die Schuldenbremse voll für den Bundeshaushalt ab 2020 für die Länderhaushalte.

Auch wenn es heute kaum zu glauben sein mag: Es gab eine große Mehrheit für die Einführung der Schuldenbremse in Politik und Gesellschaft. Führt man sich die damalige Lage vor Augen, ist das auch nicht überraschend. Vor allem in den 1980er Jahren war die Staatsverschuldung in Deutschland stark angestiegen, um dann im Zuge der Wiedervereinigung einen weiteren Sprung nach oben zu machen. Die negative Begleiterscheinung dieser Entwicklung waren immer höhere Zinsausgaben. Geld, das aus den laufenden Steuereinnahmen nur für die Altschulden gezahlt wurde und für andere Ausgaben fehlte. Welch dramatische Folgen eine Überschuldung für Staaten haben kann, wurde zudem seit Anfang 2009 im Zuge der europäischen Staatsschuldenkrise immer deutlicher.

Was galt vor Einführung der Schuldenbremse?

Es gab auch schon vor Einführung der Schuldenbremse eine Regelung zur Begrenzung der Staatsverschuldung, die sogenannte Goldene Regel. Diese besagte, dass Nettokredite höchstens bis zur Höhe der Investitionen aufgenommen werden durften.

Die ökonomische Logik dieser Regelung wirkt auf den ersten Blick bestechend: Schulden verschaffen die Möglichkeit, zunächst höhere Ausgaben zu stemmen. Sie verursachen dann jedoch laufend Zinskosten und müssen auch zurückgezahlt werden. Mit anderen Worten: Die kurzfristig möglich gewordenen Ausgaben verursachen langfristige Kosten. Es kann deshalb durchaus sinnvoll sein, Investitionen mit Schulden zu finanzieren. Und zwar immer dann, wenn diese einen Ertrag bringen, der höher ist als die Kosten der Schuldenaufnahme. Das ist common sense und wird von Unternehmen tagtäglich praktiziert.

Im Bereich der öffentlichen Finanzen gibt es hierbei jedoch zwei Probleme:

  1. Die Unterscheidung zwischen Investitionen und Konsumausgaben ist oft kaum möglich. Ist der Bau der Elbphilharmonie beispielsweise eine Investition? Dafür könnte sprechen, dass so die Attraktivität der Stadt erhöht wird. Der Bau könnte Touristen anziehen und auch bei Unternehmensansiedlung als weicher Standortfaktor ins Gewicht fallen. Andererseits könnte man auch argumentieren, dass der Bau von Konzertsälen eher in die Kategorie der Konsumausgaben fällt. Er ermöglicht den Genuss eines hochwertigen Konsumgutes, aber auch nicht mehr.
  2. Vielleicht noch schwerwiegender: Die Trennung kann dazu verleiten, die laufenden Einnahmen immer stärker für Konsumausgaben zu nutzen. Investitionen können ja dank der Goldenen Regel über Schulden finanziert werden. Dann würde die Goldene Regel keine zusätzlichen Investitionen anstoßen, sondern doch dazu führen, dass letztendlich die Konsumausgaben steigen.

Was lässt sich für die aktuelle Debatte lernen?

  1. Es gab gute Gründe für die Einführung der Schuldenbremse.
  2. Sie wurde mit einer großen Zustimmung eingeführt.
  3. Zu hohe Staatsschulden können Probleme verursachen.
  4. Für die Finanzierung zusätzlicher öffentlicher Investitionen können Schulden sinnvoll sein.
  5. Schulden gibt es nicht umsonst.
  6. Es bleibt herausfordernd zu gewährleisten, dass öffentliche Schulden nur für zusätzliche und produktive Investitionen genutzt werden.

Das Ökonomenpanel von ifo-Institut und FAZ kommt vor diesem Hintergrund vielleicht nicht überraschend zu einem ausgewogenen Ergebnis:

Nur 6 Prozent der Befragten wollen die Schuldenbremse abschaffen. 44 Prozent sind für eine Reform der Regel, während 48 Prozent sie beibehalten wollen.