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Migration
Bald italienische Verhältnisse? Migrationsdebatte in Spanien verschärft sich.

Wahlplakat Vox Spanien Migrationsdebatte

Das infame Wahlplakat der rechtspopulistischen Partei VOX („Stimme“) in der Autonomen Region Madrid für die Regionalwahlen Anfang Mai erinnerte nicht nur die spanische Tageszeitung „El País“ im Duktus an Nazi-Propaganda. Während der normale Spanier kaum über die Runden komme, werfe die Regierung das Geld für junge Geflüchtete raus, so die Botschaft der Rechtspopulisten. Bei den meisten Spanierinnen und Spaniern verfing sie bisher jedoch nicht. Im Gegensatz zur AfD in Deutschland gelang es der neuen Rechten auf der iberischen Halbinsel nicht, mit dem Thema Migration auf Stimmenfang zu gehen. Auch deshalb nicht, weil es in dem traditionellen Erstankunftsland in der politischen Mitte einen Konsens gibt, dass Grenzschutz und seine robuste Durchsetzung Kernaufgabe eines souveränen Staates seien.

Doch nach einer diplomatischen Krise zwischen Spanien und Marokko, in deren Folge am 17. Mai an einem einzigen Tag 8000 Geflüchtete aus Marokko die spanische Exklave Ceuta erreichten, droht sich die innenpolitische Debatte zu verschieben. So beleidigte der Fraktionsvorsitzende von VOX, Carlos Verdejo, die erste muslimische Fraktionsvorsitzende im Parlament der autonomen Stadt Ceuta, Fátima Hamed von der Bewegung für Würde und Bürgerschaft, mit den Worten: „Im Gegensatz zu uns werden Sie niemals eine Abgeordnete in Madrid haben, wenn überhaupt, dann in Marokko.“ Nach tumultartigen Szenen beendete der Vorsitzende des Parlaments, Juan Vivas von der konservativen Partido Popular, daraufhin nach nicht einmal 30 Minuten die Plenardebatte. Ein Fraktionskollege nannte Verdejo aufgebracht einen Faschisten.

Und so drohen die aktuelle Krise und das außenpolitische Gezerre mit Migrantinnen und Migranten als Verhandlungsmasse langsam, aber sicher doch zu einem Aufreger-Thema in der spanischen Debatte zu werden. Zumal der Migrationsdruck auf Spanien sich in den kommenden Jahren in jedem Fall erhöhen wird: Der Klimawandel ist schon heute für die fortschreitende Desertifikation und damit auch zunehmende Verteilungskonflikte auf dem afrikanischen Kontinent mitverantwortlich, auch in der ohnehin konfliktbelasteten Sahel-Zone. Experten zeigen sich zudem erstaunt über meteorologische Phänomene wie den ungewöhnlich ruhigen Atlantik vor den Kanarischen Inseln in diesem Frühjahr. Normalerweise machen eine aufgewühlte See und starke Winde es zu dieser Jahreszeit nahezu unmöglich, dass Migrantinnen und Migranten versuchen, über die Kanaren in die EU einzureisen. Zudem wächst die Bevölkerung in westafrikanischen Staaten wie Nigeria rasant.

In Italien ist zu beobachten, wo diese Entwicklung hinführen könnte: Rechtspopulistische Parteien benutzen das Aufreger-Thema Migration, um Mitte-Links-Regierungen vor sich herzutreiben und den Diskurs in ihrem Sinne zu verschieben. Vor diesem Hintergrund hat das Land eine neue Afrika-Strategie entwickelt, die klar die Bekämpfung von Fluchtursachen in den Vordergrund stellt. Denn Spaniens politische Klasse weiß genau: Wenn es nicht gelingt, die irreguläre Einwanderung zu kontrollieren, ist nicht nur eine faktenorientierte migrationspolitische Debatte und damit die Frage nach der legalen, wirtschaftlich notwendigen Einwanderung nach Spanien und Europa bedroht, sondern auch die politische Mitte und der soziale Frieden.