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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

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Starkes Stück!

Die Regierung Italiens muss ihr Verhalten überdenken. Sie spaltet Europa.
Paqué
© Thomas Imo/photothek.net

In der letzten Woche geschah in Europa etwas Ungewöhnliches. Nach zähen Verhandlungen einigten sich die Finanzminister der Eurozone auf ein Corona-Hilfspaket im Volumen von insgesamt 500 Milliarden Euro. Das sind 3,6 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts der EU, zweifellos also eine Menge Geld. Die Mittel werden über das EU-Kurzarbeiterprogramm, durch die Europäischen Investitionsbank sowie den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) finanziert. Italien hat diesem Paket zugestimmt. Allein aus ESM-Mitteln stehen dem Land für die Erneuerung seines Gesundheitswesens dem Vernehmen nach 39 Milliarden Euro als extrem langfristige Kredite zur Verfügung, wobei die Zinsen für Schuldner zum Günstigsten gehören, was in Europa zu haben ist – nicht zuletzt weil der ESM ja von allen Nationen der Eurozone mitgetragen wird, die zum Teil das beste Kreditrating aufweisen, was sich praktisch auf den ESM überträgt.

Bedingungen an die Kreditvergabe gibt es in Anbetracht der humanitären Katastrophe in Italien praktisch keine – außer die Zweckbindung der Verwendung für das Gesundheitswesen, wo die Krise große Defizite offenbarte und ohnehin riesige Investitionen anstehen. Jeder, der mit öffentlichen Finanzen vertraut ist, weiß natürlich, dass eine solche Zweckbindung auch anderweitig Entlastung bringt, weil – auf verschlungenen Wegen – selbstfinanzierte Ausgaben für den begünstigten Zweck unterbleiben und anderweitig verwendet werden können. Im Übrigen besteht Einigkeit, dass es ein zweites Hilfspaket geben wird – ein eher wirtschaftlich orientiertes in wahrscheinlich noch stattlicherer Größenordnung.

Conte stellt sich quer

Soweit so gut. Das Problem: Italiens Ministerpräsident Conte stellt sich jetzt quer. Er hat dabei auf den Beschluss, den sein Finanzminister mittrug, in einer Weise reagiert, die eine neue Qualität in die europäischen Beziehungen bringt. Die Regierung verweigert gewissermaßen die Annahme. Conte ließ verlauten, dass er kein Dokument unterschreiben werde, wenn dort nicht von der Einführung gemeinsamer Eurobonds die Rede sei. Offenbar steht er unter dem Druck zweier populistischer Fronten: auf der einen Seite durch seinen Regierungspartner, die linkspopulistische Cinque Stelle, die jeden Rückgriff auf den ESM als nationale Demütigung kategorisch ablehnt; und außerhalb der Regierung durch den Rechtspopulisten Matteo Salvini, der dies genauso sieht und schon einmal explizit der EU-Sparpolitik für eine Katastrophe in Italien die Schuld zuschob: den Einsturz der Genueser Morandi-Brücke im Jahr 2018, für deren Instandhaltung allerdings ein privater Autobahnbetreiber verantwortlich war.   

Es ist wichtig, die treibenden populistischen Kräfte für diese politische Willensbildung im Auge zu behalten. Sie entspricht nämlich überhaupt nicht jener Tradition pragmatisch gemäßigter Staatsmänner Italiens, wie sie bis zum Aufstieg von Silvio Berlusconi in den neunziger Jahren die italienische Politik in der Nachkriegstradition von Alcide de Gasperi und Luigi Einaudi beherrschte. Einer der letzten Politiker des Landes in dieser großen Tradition, der 81-jährige Romano Prodi, hat denn auch in einem Interview deutlich gemacht, dass die italienische Regierung einen schweren Fehler macht.

Italien ist finanziell handlungsfähig

Was nun? Die EU und ihre Mitgliedsländer haben klar ihre Bereitschaft signalisiert, in bisher nie gekanntem Ausmaß all jene Länder zu unterstützen, die von der Krise besonders hart getroffen sind – allen voran Italien. Strittig ist eigentlich nur der Mechanismus der Finanzierung. Italien und einige andere Länder wollen die Gelegenheit nutzen, über einen ersten Präzedenzfall die Grundsatzentscheidung für eine gemeinsame Schuldnerhaftung im Rahmen von Eurobonds festzuschreiben – und zwar durch die Verweigerung der Annahme von überaus günstigen Krediten im Volumen von 39 Mrd. Euro. Es fällt schwer, dies nicht als überaus fragwürdigen politischen Stil zu bezeichnen. Italien ist nämlich in den internationalen Kapitalmärkten kreditwürdig: Die Regierung hat gerade eine zehnjährige Anlage zu 1,6 Prozent Zins aufgelegt, die weit überzeichnet wurde; und noch im März, als die Corona-Krise längst auf Hochtouren lief, wurden Altanleihen von der Regierung getilgt. Kurzum: Italien ist finanziell handlungsfähig. Mag sein, dass der neue Kreditbedarf eine Zinsbewegung nach oben auslöst, aber noch bewegt sich Italien auf einem Niveau, das sehr weit von der Finanz- und Schuldenkrise 2012 entfernt ist. Im Übrigen würden doch gerade das jüngst beschlossene Hilfspaket sowie das noch kommende den Märkten klar signalisieren, dass sich Italien auf Europa verlassen kann. Schließlich steht noch als „lender of last resort“ – wie stets – die Europäische Zentralbank im Krisenfall zur Verfügung: Christine Lagarde würde sicherlich nicht zögern, in akuter Not ein „whatever it takes“ der geldpolitischen Absicherung auszusprechen, wie ihr Vorgänger Mario Draghi im Jahr 2012.

Höchstwahrscheinlich wird es aber dazu ohnehin nicht kommen, denn es geht volkswirtschaftlich um eine gänzlich andere Lage, nämlich um das Verhindern langfristiger Schäden einer gewaltigen Stockung der Produktion – und nicht um einen drastischen Vertrauensverlust in Banken und Staat. Der könnte eigentlich erst entstehen, wenn Italien bockig darauf besteht, jetzt und heute in der Krise die Tür zu Eurobonds aufzustoßen – und dabei den Konflikt weiter anfacht, drastisch verschärft und mit seinen Forderungen schließlich scheitert.

Das Land hat großzügige Hilfe und Solidarität verdient

Von den 19 Ländern der Eurozone sind nämlich mindestens acht gegen Eurobonds, darunter vier wohlhabende Nationen West- und Nordeuropas (Deutschland, Österreich, die Niederlande und Finnland) und vier ärmere Staaten Osteuropas: die Slowakei sowie Estland, Lettland und Litauen. Deren Pro-Kopf-Einkommen liegt bei etwa 60 Prozent Italiens – und damit bei etwa 40 Prozent des italienischen Nordens. Alle diese Länder – und gerade auch die ärmeren – haben im internationalen Vergleich niedrige Schuldenquoten. Warum sollten sie akzeptieren, sich auf Dauer an der Finanzierung der hohen Staatsschuld Italiens über Eurobonds zu beteiligen, wo sie doch bereit sind, großzügige Solidarität zu leisten – allerdings bitte über einen ergiebigen, aber wohldefinierten Fonds, an dem man überschaubare Anteile hält und der sich dann gemeinsam am Weltmarkt günstig refinanziert?

Es bleibt zu hoffen, dass die italienische Regierung zur Besinnung kommt. Ohne jede Frage hat das Land großzügige Hilfe und Solidarität verdient. Aber der Weg dahin darf nicht dazu führen, in einer emotionalisierten Notlage die vertraglichen Grundlagen der EU und der Eurozone beiseite zu wischen. Das Ziel sollte lauten: Jetzt einen Fonds schaffen, der wirkt, und nach der Krise in den kommenden Jahren über eine Reform des Vertragswerks nachdenken.