Umfrage
Wirtschaftslage: Und wie geht es mir dabei?
Gern wird das Bonmot des Börsengurus André Kostolany zitiert: "Die Börse reagiert gerade mal zu zehn Prozent auf Fakten. Alles andere ist Psychologie." Ähnliches gilt für die allgemeine wirtschaftliche Lage. Neben dem faktischen Füllstand ihrer eigenen Geldbörse sind die Meinungen, Empfindungen und Erwartungen der Menschen ein entscheidender Faktor, wenn es um die Bewertung der wirtschaftlichen Entwicklung und die eigene zukünftige Situation geht. Werfen wir also einen Blick auf die Stimmungslage in Deutschland am Ende des ersten Halbjahres 2024.
Die aktuelle Lage: Nicht gut, aber stabil – und gefährdet
Betrachtet man die Umfragen im ersten Halbjahr 2024, so kann man erkennen: Die Menschen beurteilen die aktuelle Wirtschaftslage in Deutschland nicht so negativ, wie man angesichts der Diskussionen in den Medien vermuten könnte. Wohl gemerkt: Sie beurteilen sie auch nicht in großer Zahl als positiv, dieser Wert pendelt zum Beispiel beim „Politbarometer“ zwischen 10 und 15 Prozent. Die negative Einschätzung, dass die Wirtschaftslage schlecht sei, wird im Vergleich zum Jahresbeginn aktuell allerdings deutlich seltener genannt, während die Einschätzung, die Lage sei „teils/teils“ in den letzten Monaten stabil über 50 Prozent der Nennungen liegt.
Gleichbleibend hoch in der „Politbarometer“-Befragung ist der Wert derer, die der Auffassung sind, mit der Wirtschaft gehe es derzeit abwärts; eine stabile Mehrheit von um die 60 Prozent sehen das so. Nur eine geringe Quote zwischen 4 und 9 Prozent äußert im Halbjahresverlauf die Auffassung, mit der Wirtschaft gehe es aufwärts. Um die 30 Prozent sehen die Wirtschaft unverändert.
Angenommen, man darf die Mittelpositionen dieser beiden Fragen verknüpfen, lässt sich eine leichte Skepsis in der Bevölkerung bei der Frage nach der allgemeinen Wirtschaftslage erkennen: Die Wirtschaft läuft so einigermaßen.
Die eigene Lage: Gut, aber gefährdet
Interessant wird es, wenn man die Befragten dort abholt, wo sie sind. Eine durchweg deutliche Mehrheit sieht ihre eigene aktuelle wirtschaftliche Lage als gut an, ein weiteres knappes Drittel sieht sie als „teils/teils“. Nur ein knappes Zehntel der Befragten sieht sich selbst in einer schlechten wirtschaftlichen Situation. Ähnlich sind die aktuellen Zahlen bei CIVEY, wo knapp über 60 Prozent ihre eigene wirtschaftliche Lage als sehr gut oder eher gut ansehen, 24,3 Prozent als eher schlecht oder sehr schlecht.
Interessant dabei: Die addierten Zahlen derer, die in der CIVEY-Umfrage im Osten des Landes ihre persönliche wirtschaftliche Situation als „sehr gut“ oder „eher gut“ bezeichnen, übersteigt die Zahl dieser Aussagen im Westen des Landes. Zwar sprechen im Osten leicht weniger Menschen von einer sehr guten eigenen wirtschaftlichen Lage, dafür sehen aber deutlich mehr Menschen dort als im Westen des Landes ihre Lage als eher gut an.
Genau diese Diskrepanz zwischen dem Wahrnehmen der eigenen und der allgemeinen Situation gibt Anlass, eingehender darüber nachzudenken, wie die jenseits der konkreten Demoskopie zu beobachtende Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Situation, konkret: mit der Wirtschaftspolitik im Land begründet ist.
Das Stichwort heißt wohl: Zukunftsangst. Eine Umfrage bei CIVEY von Ende Juni 2024 stützt diese These: Hier sagen um die 45 Prozent, dass sie sich „einige Sorgen“ um ihre finanzielle Zukunft machten, ein knappes Viertel der Befragten macht sich sogar „große Sorgen“; ein weiteres knappes Viertel macht sich „keine Sorgen“. Auffällig dabei: vor allem die jüngsten Befragten machen sich überproportional oft große Sorgen und sehr deutlich unterproportional keine Sorgen. Und auch in den mittleren Jahrgängen, also bei den Personen zwischen 40 und 64 Jahren, werden überdurchschnittlich oft solche Befürchtungen geäußert.
Auch hier ist der Vergleich zwischen den Befragten im Osten und im Westen interessant, aber eben deshalb, weil die Unterschiede nicht so groß sind, wie man nach der allgemeinen Diskussionslage erwarten könnte: Annähernd eine identische Prozentzahl im Osten (26,7), wie im Westen (26,8) machen sich große Sorgen. Unterschiede gibt es bei der Zahl derer, die sich „einige Sorgen“ machen, nämlich im Osten knapp 49 Prozent und im Westen knapp 41 Prozent; und dementsprechend unterschiedlich hoch ist die Zahl derer, die sich im Osten (22,9) und im Westen (29,6) keine Sorgen um ihre finanzielle Zukunft machen.
Dies kann allerdings eine Tatsache nicht verdecken: Auch wenn eine hohe Zahl der Menschen zufrieden ist mit der eigenen wirtschaftlichen Situation, so herrscht doch die Befürchtung vor, dass sich dies schnell ändern könnte, weil man mit einer negativen Entwicklung der Wirtschaftslage rechnet.
Vertrauen ins politische System – fehlendes Vertrauen in die Politik
Dies hat zum einen mit einem fehlenden Grundvertrauen in die Arbeit der Bundesregierung zu tun: Beim „DeutschlandTrend“ von Infratest dimap ist aktuell lediglich ein knappes Fünftel der Befragten mit der Bundesregierung zufrieden, 37 Prozent sind „weniger zufrieden“, 41 Prozent sind „gar nicht zufrieden“. Mit speziell der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung äußern sich bei CIVEY im Juni insgesamt sogar nur knapp 17 Prozent zufrieden und knapp 7 Prozent „unentschieden“, während knapp 76 Prozent Unzufriedenheit äußern.
Mit einer Kritik am wirtschaftlichen System an sich scheint das nicht einherzugehen: Auf die Frage bei CIVEY, ob „die soziale Marktwirtschaft ihrer Meinung nach das bestmögliche Wirtschaftssystem für Deutschland“ sei, sagen 48 Prozent „Ja, auf jeden Fall“, weitere 18,5 Prozent sagen „Eher Ja“. Es scheint also eher um konkrete Ausformungen zu gehen, wenn es Kritik an der Wirtschaftspolitik gibt.
Dies hat auch sozusagen mit einer immanenten Skepsis zu tun: CIVEY fragt Ende Juni, ob die Erfolge des wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland nach Meinung der Befragten gerecht verteilt würden. Nur 11,8 Prozent der Befragten antworteten mit „Ja, auf jeden Fall“ oder „Eher Ja“, weitere 10,6 Prozent sind unentschieden. Eine überwältigende Mehrheit von 77,6 Prozent sagen „Eher nein“ oder gar, und dies mit absoluter Mehrheit, „Nein, auf keinen Fall“ (59,4). Speziell in regionaler Hinsicht gibt es hier Unterschiede: Während im Westen 13,3 Prozent die Frage bejahen, tun dies im Osten des Landes nur 6,6 Prozent, während dort 86,1 Prozent insgesamt mit Nein antworten.
Wie geht Aufschwung?
Umso bemerkenswerter ist dies Antwortverhalten, da man ja schon an der Fragestellung Kritik üben könnte im Hinblick darauf, dass man im Moment kaum von einem „wirtschaftlichen Aufschwung“ in Deutschland sprechen kann und die Wachstumsprognosen eher gedämpft sind. Was sich hier ausdrückt, ist offensichtlich die Erwartung, dass für den Fall oder für die Zeit, wo es wirtschaftlich wieder aufwärts gehen wird, mit Ungerechtigkeiten gerechnet wird. Oder besser gesagt: dass man selbst wahrscheinlich von den Früchten eines Aufschwungs wenig oder nichts abbekommen wird. Auch hier äußert sich das, was man mit dem Wort Zukunftsangst beschreiben könnte oder mit der Angst vor Statusverlust oder Wohlstandsverlust.
Würde es die Menschen überzeugen, wenn - wie manche in der Politik fordern – die finanzpolitische Zurückhaltung über Bord geworfen würde, um die Wirtschaft anzufeuern? Im „Politbarometer“ der Forschungsgruppe Wahlen spricht sich im Mai eine klare Mehrheit (59 Prozent) gegen eine Lockerung der Schuldenbremse aus, beim „DeutschlandTrend“ von Infratest dimap sind es 54 Prozent, bei CIVEY 55 Prozent.
Die Forderung, ein höheres Wirtschaftswachstum u.a. durch eine Senkung der Sozialausgaben, aber ohne Lockerung der Schuldenbremse zu erreichen, befürworten im April bei CIVEY 47 Prozent der Befragten; 44 Prozent sind gegenteiliger Auffassung. Die mehrheitliche Zustimmung zieht sich dabei durch alle Altersgruppen, mit Ausnahme der 30- bis 39-Jährigen. Regional gibt es allerdings Unterschiede: Die Befragten im Osten sind mehrheitlich (51 Prozent) gegen die Forderung.
Bei einer aktuellen CIVEY-Umfrage, welche Maßnahmen gegen Armut in Deutschland ergriffen werden sollten, liegen drei Forderungen deutlich vorn: eine geringere Steuerlast für Geringverdiener, eine Entschärfung der Wohnungsnot in den Städten, und eine Ankurbelung des Wirtschaftswachstums. Knapp dahinter kommt die Forderung nach einem besseren Arbeitsmarktzugang für Arbeitslose.
All diese, hier nur beispielhaft erwähnten politischen Forderungen, wie sie sich in Meinungsumfragen äußern, können im Ansatz die Unzufriedenheit und die Skepsis der Menschen mit der aktuellen Wirtschaftspolitik der Bundesregierung erklären. Und sie zeigen, dass die Menschen, im Gegensatz zu vielen, die öffentliche Meinung prägenden Stimmen, die Probleme kennen, weil sie sie selbst erleben.
Aufschwung geht nur mit Gestaltung
Fast ist es wie bei der Geschichte mit der Henne und dem Ei, wenn man fragt: Was kommt zuerst - der wirtschaftliche Aufschwung oder die positive wirtschaftliche Grundstimmung in der Bevölkerung? In den Umfragen wird deutlich, dass der dringend notwendige Aufschwung nicht von einer positiven Stimmungslage getragen, quasi von selbst kommen wird. Da hilft auch kein „Sommermärchen“. Die Politik muss also alles daransetzen, das Vertrauen der Menschen in die Politik, insbesondere die Wirtschaftspolitik, zurückzugewinnen. Das wird nur über das schnelle, konsequente und handlungsstarke Ergreifen der richtigen Maßnahmen gehen. Noch sehen die meisten Menschen sich in einer guten Lage. Allerdings glauben sie derzeit nicht, dass das unbedingt so bleiben wird.