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Wirtschaftspartnerschaftsabkommen
Auf dem Weg zur EU-Afrika Freihandelszone?

Kenia zwischen wirtschaftlichem Vorreiter und sozialen Unruhen
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, besuchte  Nairobi in Kenia, wo sie den kenianischen Präsidenten William Ruto traf.

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen zusammen mit dem kenianischen Präsidenten William Ruto im Dezember 2023.

© picture alliance / Hans Lucas | Union Europeenne

„Ruto must go!” In ganz Kenia fordert insbesondere die Jugend den Rücktritt ihres Präsidenten. Der Grund: die grassierende Korruption im Land, hohe Schulden und ein Steuergesetz, das die politischen Eliten überproportional bevorzugt und gerade junge Leute stärker zur Kasse bittet. Die nachkommende Generation fürchtet um ihre Zukunft. Fast unbemerkt ist jedoch mit Anfang dieser Woche das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) zwischen Kenia und der Europäischen Union in Kraft getreten. Kann mehr internationaler Handel das Land aus der Krise führen?

Aufbauend auf dem WPA zwischen der EU und den Staaten der Ostafrikanischen Gemeinschaft, soll das neue EU-Kenia WPA den Handel zwischen den beiden Blöcken weiter liberalisieren. Dabei ermöglicht die EU seit Montag zollfreien Zugang für alle kenianischen Waren, außer militärischen Gütern.  Über die nächsten 25 Jahre wird Kenia sukzessive rund 80% seiner Märkte für Europa öffnen. Das Ziel ist es, den steilen Aufwärtstrend im gegenseitigen Handel weiter zu befeuern: Der gesamte Handel zwischen der EU und Kenia stieg zwischen 2018 und 2022 um mehr als ein Viertel auf rund 3,3 Milliarden Euro. Doch während die EU als Kenias zweitgrößter Handelspartner einen der wichtigsten Exportmärkte des Landes darstellt, ist das Abkommen für die EU eher von entwicklungspolitischer Bedeutung.

Das EU-Kenia-WPA ist das erste EU Handelsabkommen mit einem afrikanischen Land und hat damit Signalwirkung. Es enthält ein robustes und umfassendes Kapitel über Handel und nachhaltige Entwicklung (Trade and Sustainable Development, TSD). Darin werden verbindliche Bestimmungen zu Arbeitsstandards, Klimawandel und Biodiversität sowie zur Geschlechtergleichstellung festgesetzt. Im Gegensatz zu anderen TSD Kapiteln der EU sind diese Verpflichtungen bindend und können durch den Entzug von Zollpräferenzen sanktioniert werden. Dies könnte einen echten transformativen Effekt für Kenia mit sich bringen, die umwelt- und menschenrechtliche Situation auch tatsächlich zu verbessern, um weiterhin von billigeren Exporten zu profitieren.

Kenia als Drehscheibe für den afrikanischen Handel?

Als eine der am schnellst wachsenden Wirtschaften des Kontinents träumt Kenia jedoch auch davon, Drehscheibe für den afrikanischen Handel zu werden. Langfristig soll davon auch die Jugend profitieren. Nicht nur das WPA, auch die afrikanische Freihandelszone soll insbesondere Arbeitsplätze für Jugendliche durch mehr transkontinentalen e-Commerce und einen besseren Zugang zu qualitativen Gig-Economy Jobs  aus Europa schaffen.

Zuerst muss das Land jedoch seine Vormachtstellung in der Region untermauern, wobei das EU-Kenia-WPA helfen kann. Das erklärte Ziel des Abkommens ist eine weitere wirtschaftliche Vertiefung der Region durch den Beitritt weiterer Staaten der Ostafrikanischen Gemeinschaft. Allerdings dürfte sich hier der Tatendrang eher in Grenzen halten. Alle anderen Mitglieder der Gemeinschaft –Burundi, Ruanda, Somalia, Südsudan, Uganda, Tansania und die Demokratische Republik Kongo—können derzeit bereits auf ähnlich weitreichende Zollvorteile über das EU-Präferenzsystem für Entwicklungsländer zurückgreifen.

Darüber hinaus wird eine weitere große Herausforderung darin bestehen, wie Waren aus der EU behandelt werden, sobald sie über Kenias Grenzen hinaus gehandelt werden. Da Ostafrika, ähnlich der EU, bereits einen gemeinsamen Markt etabliert hat, können importierte Waren vom zollfreien Verkehr in der Region profitieren. Dies bedeutet, dass ein Produkt aus der EU durch Kenia bis nach Burundi gelangen könnte, ohne erneut Zöllen zu unterliegen. Da einige gemeinsame Zölle der Ostafrikanischen Gemeinschaft höher sind als die des neuen EU-Kenia WPA, könnten manche EU-Produkte billiger sein als lokal produzierte Güter. Einerseits würde das zwar den Zugang zu benötigten Waren erheblich vergünstigen, könnte aber auch der wirtschaftspolitischen Agenda einiger Staaten der Region entgegenstehen.

Klar ist, dass Kenia mit dem Abkommen versucht, sich näher an europäische Märkte anzugliedern und sich als Vorreiter auf dem afrikanischen Kontinent zu platzieren. Dies ist in Zeiten einer verschärften geopolitischen Lage im besonderen Interesse der EU. Ob Kenia allerdings weiterhin den Weg einer der aufstrebenden Wirtschaften beschreitet, wird sich wohl in den kommenden Wochen auf den Straßen und in den Regierungsgebäuden Nairobis entscheiden. Ruto sollte nun die Proteste zu besänftigen und die Chance nutzen, Kenia durch das Abkommen zu öffnen.