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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Steuern
Bitte konkreter!

Olaf Scholz will die Progression unseres Steuersystems massiv verstärken. Was genau er vorhat, bleibt vorerst leider offen.
Karl-Hein Paqué

Es war zu erwarten: Der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten für die Bundestagswahl, Olaf Scholz, fordert höhere Steuern für „Besserverdienende“, wie er sie nennt. Wen genau er damit meint, lässt er im Ungewissen. Das ist umso bedauerlicher, als er als Bundesfinanzminister mühelos einen Blick in die Einkommensteuerstatistik seines eigenen Hauses und der OECD werfen könnte.

Täte er dies, könnte er konkreter werden. Vor allem würde er drei fundamentale Fakten entdecken, die massiv gegen seine Forderung sprechen.

Tatsache 1: Schon heute liefern die wohlhabenderen Einkommensbezieher den bei weitem größten Anteil des Aufkommens der Einkommensteuer. So stammten 2019 von den einkommensstärksten 10 Prozent aller Steuerpflichtigen 55 Prozent, also mehr als die Hälfte des gesamten Aufkommens der Einkommensteuer; die oberen 20 Prozent lieferten sogar 71 Prozent, also fast drei Viertel des Aufkommens, die obere Hälfte der Steuerpflichtigen sage und schreibe 94 Prozent. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass die Wohlhabenden unserer Gesellschaft – wie man sie auch immer definiert – zu wenig zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen. 

Vermögensbesteuerung


Tatsache 2: Der Spitzensteuersatz von 42 Prozent greift im deutschen Einkommenssteuertarif immer tiefer in die Taschen jenes Mittelstands der qualifizierten Arbeitnehmer und Kleinunternehmer, die nur moderat mehr als Beschäftigte im gesamtwirtschaftlichen deutschen Durchschnitt verdienen. So wird heute jeder Euro ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 57.052 Euro mit dem Spitzensatz von 42 Prozent versteuert, während der Durchschnittslohn bei 36.828 Euro liegt, also bei 65 Prozent davon. Im Jahr 2000 lag der Durchschnittslohn noch bei 43 Prozent, im Jahr 1980 bei 23 Prozent jenes Einkommens, ab dem der Spitzensteuersatz galt.

Spitzensteuersatz


Tatsache 3: Im internationalen Vergleich ist die Belastung der Arbeitseinkommen durch Steuern und Sozialabgaben in Deutschland extrem hoch. Für alleinstehende Durchschnittsverdiener erreicht sie in der OECD mit 49,4 Prozent Platz 1, für verheiratete Durchschnittsverdiener mit zwei Kindern mit 44,8 Prozent Platz 2 – nur knapp hinter Italien, also jenem Land, das im OECD-Vergleich die schlechteste wirtschaftliche Wachstumsbilanz der letzten beiden Jahrzehnte aufweist. Der OECD-Durchschnitt liegt dabei übrigens jeweils um mehr als 10 Prozent niedriger als das Belastungsniveau in Deutschland.

Spitzensteuersatz neu


Allein diese drei Fakten machen deutlich: Unsere progressive Einkommensbesteuerung leidet gerade nicht darunter, dass ihr sogenannte „Besserverdienende“ durch die Lappen gehen. Im Gegenteil, diese leisten bereits heute sehr viel zur Finanzierung des Gemeinwesens (Tatsache 1); sie werden dabei immer stärker mit hohen Spitzensteuersätzen belastet (Tatsache 2); und ihre Steuer- und Sozialabgabenlast erreicht im internationalen Vergleich einen Maximalwert (Tatsache 3).

Fazit: Wer in dieser Lage nach noch höherer Belastung ruft, der verschließt die Augen vor der Realität. Dies hat natürlich nichts mit dem Wunsch nach Gerechtigkeit zu tun, wohl aber mit der Suche nach einer populistischen Forderung. Denn klar ist: Viele Menschen in unserem Lande kennen diese Zahlen nicht, anders als der Bundesfinanzminister. Es wäre deshalb im anstehenden Bundestagswahlkampf eine Leistung der Fairness, würden die Befürworter einer noch progressiveren Besteuerung diese Zahlen präzise nennen und gleichzeitig vorrechnen, was genau sie mit dem weiteren Drehen an der Steuerschraube bewirken wollen. Dann erst lässt sich die Diskussion auf einem vernünftigen steuerpolitischen Niveau führen.

Also, lieber Herr Scholz: Werden Sie bitte konkret!