EN

International Relations
EU-Taiwan Beziehungen: Ringen um strategische Klarheit und gegenseitiges Vertrauen

Taiwa-EU
© Shutterstock

Angesichts der schlechter werdenden Beziehungen mit Peking und des Krieges in der Ukraine, der als Warnung vor einer möglichen weiteren Krise im Indo-Pazifik wirkt, rückt Taiwan stärker in den Fokus Brüssels. Die Beziehungen zwischen der EU und Taiwan scheinen enger zu werden, denn immer mehr europäische Stakeholder reisen derzeit nach Taiwan, vor allem auf parlamentarischer Ebene und angeführt von den Mittel- und Osteuropäischen Ländern (MOEL). Die jüngsten Äußerungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron allerdings haben den fehlenden Zusammenhang zwischen Rhetorik und politischem Handeln Europas in Bezug auf Taiwan offenbart. Dies führte zu gemischten Reaktionen der taiwanesischen Öffentlichkeit, wenn nicht gar zu Verwirrung oder Kritik.

Europäische Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker unter Beschuss

Macron, der Anfang des Monats zusammen mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, Peking besuchte, äußerte nach seinem Treffen mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping seine Besorgnis darüber, dass "die Europäer als Mitläufer dem amerikanischen Rhythmus und einer chinesischen Überreaktion (gegenüber Taiwan) anpassen müssten." Dieser Kommentar hat in Europa und weltweit heftige Reaktionen ausgelöst, nicht zuletzt weil Macrons Konzept der "strategischen Autonomie" der EU von den chinesischen Staatsmedien verzerrt aufgegriffen wird.

Kurz nach Macrons Äußerung betonte der Parlamentspräsident Taiwans, You Si-kun, in einer Rede, dass wirtschaftliche Gewinne wichtig seien, aber "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", wie im Motto der Französischen Revolution, außer Frage stehen. Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass das Verhalten europäischer PolitikerInnen in der taiwanesischen Öffentlichkeit für Unverständnis sorgt. Im April 2023 lehnten zwei Spitzendiplomaten der Europäischen Union (EU) die Idee eines bilateralen Investitionsabkommens (sog. BIA) mit Taiwan ab, eine Angelegenheit, die Taipeh als "ganz oben auf unserer Agenda" bezeichnete. Der Exekutivdirektor für Asien-Pazifik im Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD), Gunnar Wiegand, erläuterte, dass diese Idee ein politisches Zeichen sei, aber aus Sicht der EU-Investoren keine Notwendigkeit, da Taiwan über eine stabile Rechtsstaatlichkeit verfüge. Adeline Hinderer, Referatsleiterin Handel-Fernost der Europäischen Kommission, erklärte, dass sich die Investitionspolitik (der EU) geändert habe und das BIA derzeit nicht auf dem Plan stehe.

Die Zurückhaltung der EU, ein Abkommen mit Taiwan zu unterzeichnen, wurde umgehend von Taiwans staatlicher Medienagentur kritisiert, die die EU als "fordernd aber ablehnend" beschrieb. Sie nahm die Argumente der EU-Diplomaten so wahr, dass sie ausschließlich auf die Interessen und Bedürfnisse der Wirtschaft fokussierten und die Auswirkungen der geopolitischen Spannungen auf wirtschaftspolitische Entscheidungen ignorierten. Im selben Artikel wurde auch davor gewarnt, dass diese Haltung den Aufruf Brüssels an die taiwanesische Halbleiterindustrie zur Ausweitung der Investitionen in Europa gefährden könnte. Weiterhin forderte Taiwans Botschafter bei der EU, Remus Chen, Brüssel auf, "die Zusammenarbeit mit Taiwan auf konkrete und kreative Weise zu vertiefen."

Die Kosten der Inkonsistenz

Der uneindeutige Standpunkt Europas lässt einige Taiwaner daran zweifeln, ob die EU ein glaubwürdiger und vertrauenswürdiger Partner für Taiwan ist: Laut einem kürzlich von der DW durchgeführten Straßeninterview haben einige Taiwanerinnen und Taiwaner "noch nie allzu großes Vertrauen" in westeuropäische Länder wie Frankreich oder Deutschland gesetzt und glauben auch nicht an die Ernsthaftigkeit ihrer Absicht, die Stabilität in der Taiwanstraße zu wahren. Einige Experten aus Taiwan äußerten sich kritisch zu Taipehs Versuchen, die Beziehungen zwischen der EU und Taiwan durch wirtschaftliche Anreize, wie z.B. ein TSMC-Werk in Deutschland, zu vertiefen. Laut diesen Experten fühlen sich die Taiwanerinnen und Taiwaner vor allem unsicher, ob Taiwan dadurch mehr aufgeben als erhalten würde. Sie bauen auch nicht auf einzelne "wichtige Akteure innerhalb der EU, wie Deutschland, das engere Beziehungen zu Peking hat". Dies zeigt, dass Teile der taiwanesischen Gesellschaft den Eindruck haben, dass das Engagement der EU für Taiwan hauptsächlich rhetorischer Natur sei. Außerdem wird die Unklarheit oder vermeintliche Inkonsistenz zwischen verbaler Unterstützung und konkretem Handeln oft als ein Signal der Schwäche verstanden, was die Glaubwürdigkeit Brüssels als strategischem Partner weiter beeinträchtigt.

Das Vertrauen der taiwanesischen Bevölkerung zu gewinnen, mag für Brüssel vielleicht nicht im Vordergrund stehen, aber die Folgen des Misstrauens gegenüber demokratischen Partnern sollten nicht unterschätzt werden. Falls die taiwanesische Bevölkerung ihren demokratischen Verbündeten misstrauen sollte, wäre dies ein Geschenk an Peking: Wissenschaftlerinnen und Stakeholderinnen haben auf die besorgniserregende antiamerikanische Stimmung in Taiwan hingewiesen, die im vergangenen Jahr deutlich zugenommen hat, sowie auf deren Auswirkungen auf die Entschlossenheit, sich Chinas Übergriffen zu widersetzen, oder sogar auf Wahlergebnisse. Laut einer Umfrage des Forschungsinstituts Academia Sinica halten fast 57% der Befragten die USA nicht für vertrauenswürdig, wobei viele noch weniger auf die Glaubwürdigkeit Chinas setzen. Das bedeutet, dass die Taiwaner zwar die USA gegenüber China bevorzugen, aber aufgrund des Prinzips der "strategischen Ambiguität" der US-Politik gegenüber Taiwan Vorbehalte gegenüber ihrem demokratischen Partner haben, so Prof. Dr. Chien-huei Wu, dessen Institut die Umfrage durchgeführt hat.

In Bezug auf Europa haben Beobachter bemerkt, dass taiwanesische Medien und öffentliche Debatten eine ähnliche Skepsis, z.B. gegenüber Deutschland als wichtigem EU-Akteur, zum Ausdruck bringen. Der Diskurs wird oft mit starken Meinungen geführt, aber nicht unbedingt mit einem genauen Verständnis des lokalen deutschen Kontextes. Die Skepsis der Taiwaner ist vergleichbar mit Vorbehalten gegenüber den USA, da Berlin aufgrund strategischer Überlegungen ebenfalls Schwierigkeiten hat, eine völlig offene Haltung gegenüber Taiwan einzunehmen. Dieses Prinzip der "strategischen Ambiguität" wirft einen Schatten auf die öffentliche Wahrnehmung der deutschen Taiwan- und Chinapolitik in der taiwanesischen Bevölkerung. Deutschland unterhält diplomatische Beziehungen nur mit der Volksrepublik China, aber keine offizielle Botschaft in Taipeh. Dies gilt für die Mehrheit der demokratischen Länder, sodass der offizielle Weg der Demokratien zum Austausch mit Taiwan beschränkt ist. Die Umfrage von Academia Sinica zeigt jedoch auch, dass Besuche hochrangiger US-Beamter in Taiwan und US-Waffenverkäufe von der taiwanesischen Öffentlichkeit stark befürwortet werden – ein Hinweis darauf, dass praktische politische Maßnahmen gut aufgenommen werden. Für EU-Länder wie Deutschland oder Frankreich könnte dies die Aufnahme von Handels- und Investitionsdialogen (TID) mit Taiwan auf Ministerebene bedeuten. Außerdem könnten  die EU-Mitgliedstaaten damit beginnen, sich aktiv an Initiativen wie dem Global Cooperation and Training Framework (GCTF) beteiligen, um die Zusammenarbeit mit Taiwan in kritischen Fragen von beiderseitigem Interesse auszubauen.

Das empfindliche Verhältnis navigieren: Abseits von Rhetorik und Ambiguität

Um Missverständnisse und unnötige gegenseitige Enttäuschungen zu vermeiden, müssen die taiwanesischen und europäischen Akteure den schmalen Grat zwischen strategischer Ambiguität und mangelnder Klarheit bei der Interaktion beachten. Vor diesem Hintergrund wäre eine einheitliche und kohärente Haltung der europäischen Entscheidungsträger gegenüber Taiwan dringender als je zuvor. Europäische Länder, die wichtige Wirtschaftspartner Chinas sind, sollten auch deutlich machen, dass im Falle einer Invasion Taiwans durch Peking harte Sanktionen folgen würden – ein Vorschlag, den sowohl der ehemalige NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen als auch die Vorsitzende im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages Marie-Agnes Strack-Zimmermann bereits unterbreitet haben.

Gleichzeitig sollten Taipeh und die taiwanesische Bevölkerung verstehen, dass eine offensivere Haltung gegenüber Peking nicht als direkte Unterstützung gegenüber Taipeh interpretiert werden sollte. Dies bedeutet, dass Taiwan die Beschränkungen und Grenzen seines Gegenübers verstehen sollte. Gleichzeitig sollte die andere Seite nicht davor zurückschrecken, ihren Handlungsspielraum auszureizen, wenn es die Situation erlaubt. Schließlich sollten beide Seiten wachsam bleiben gegenüber gefährlichen Narrativen, die das Ziel haben, Misstrauen gegenüber Europa auszulösen, und die verstärkt werden durch Informationskampagnen von Akteuren, die mit der Volksrepublik China in Verbindung stehen.

 

* Yu-Fen Lai ist Programmreferentin "Digital Transformation" am Global Innovation Hub Taipei