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Menschenrechte
Massai-Stimmen im Kampf gegen Frühehen und geschlechtsspezifische Gewalt in Tansania

FGM

People march to protest the violence against women around the world.

© Shutterstock

In einem beispiellosen Schritt haben traditionelle Beschneiderinnen ihre Werkzeuge abgelegt und sich mit Frauen und einflussreichen männlichen Ältesten zusammengetan, um gefährliche traditionelle Praktiken zu beenden. Sie setzen stattdessen auf eine nachhaltige sozioökonomische Förderung von Frauen und Mädchen - eine Entscheidung, die deren Ansehen und Schicksal in ihrer Gemeinschaft verändert.

Im Bezirk Siha an den Hängen des Kilimandscharo im Nordwesen Tansanias, dem höchsten Berg Afrikas, mussten sich Frauen und Mädchen mit lebensgefährlichen und traumatischen traditionellen Ritualen unterziehen, die als Übergangsriten in das Erwachsenenalter angesehen werden: Fast allen Frauen, vor allem jungen Mädchen, werden von Beschneiderinnen, oft ältere Frauen, mit groben Messern und Rasierklingen Teile ihrer Genitalien abgetrennt – aus kulturellen, nicht aus medizinischen Gründen. Diese schmerzhafte und grausame Praxis wird als weibliche Genitalverstümmelung ("female genital mutiation" FGM) bezeichnet. Dabei werden die Schamlippen abgeschnitten und zusammengenäht; auch Teile der Klitoris können entfernt werden, so dass eine kleine Öffnung für Urin und Menstruationsblut bleibt. Die weibliche Genitalverstümmelung, die bei den Massai weit verbreitet ist, wird auch bei den Stämmen der Arusha und Meru praktiziert. Frauen, die sich dieser Prozedur nicht unterziehen, werden von der Gemeinschaft oft abgelehnt und als Ausgestoßene oder minderwertig angesehen. Dies hat auch finanzielle Folgen für die Familie, da eine Beschneidung oft den Wert des Brautpreises eines Mädchens steigert.

Die Menschen in den beiden Gemeinden Donyomurwa und Karansi im Bezirk Siha haben mit einer schweren Dürre zu kämpfen, die ihre Lebensgrundlage als Viehzüchter bedroht. Ihr Vieh - Rinder, Schafe und Ziegen - stirbt wegen des Mangels an Weideland und Wasser. Um zu überleben und ihre Bestände wieder aufzufüllen, beschneiden viele Familien ihre Töchter und verheiraten sie früh, um einen höheren Brautpreis zu erzielen, der in Form von Vieh bezahlt wird.

Für die Ältesten des Clans, die Laigwananis, kann die weibliche Beschneidung in jedem Alter erfolgen - selbst ein zwei Wochen altes Baby ist nicht tabu.

Es gibt Dutzende von erschütternden Geschichten, die bei den Treffen der Kilimanjaro Women Information Exchange and Community Organization (KWIECO) geteilt werden. Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF) unterstützt diese lokale Nichtregierungsorganisation bei ihrer Arbeit für Gerechtigkeit, wirtschaftliche Stärkung, Menschenrechte und Gleichstellung der Geschlechter in Tansania. Das Ziel dieser Treffen, bei denen Frauen und Mädchen mutig ihre Geschichten teilen, ist es, die Traditionen der Massai zu verstehen und einen gemeinschaftsbasierten Ansatz gegen frühe Eheschließungen, Teenagerschwangerschaften und geschlechtsspezifische Gewalt zu entwickeln.

Um ein Beispiel zu nennen: Daima Laizer ist die letztgeborene Tochter aus einem polygamen Haushalt mit drei Frauen und 19 Kindern aus dem Dorf Palestina Sanya in Siha. Sie war bereits verlobt, bevor sie mit acht Jahren in die Schule kam - viel später als Kinder in anderen Teilen der Welt und Afrikas, die mit sechs Jahren eingeschult werden. Zu sehen, wie ihre Altersgenossen beschnitten, zu frühen Ehen gezwungen werden und ihnen die Chance auf Bildung verwehrt wird, erschreckt sie. Wie viele Väter in ihrer Gemeinde, stellte auch Daimas Vater den Brautpreis über ihr Recht auf Bildung.

Ihr Vater schickte sie nicht in die Schule. Doch dank ihrer jugendlichen Unerschrockenheit und einer unnachgiebigen Lehrerin, die mit ihren Eltern sprach, gelang es ihr, die Schule bis zur vierten und letzten Klasse der High School zu durchlaufen. Obwohl ihr Vater bereits von mehreren möglichen Bewerbern einen symbolischen Brautpreis für sie angenommen hatte, widersetzte sich Daima und zog zu ihren Nachbarn, die ihr ein sicheres Zuhause boten. Sie möchte Lehrerin werden - wie die Frau, der sie ihren Zugang zur Bildung zu verdanken hat. Auch wenn sie sich nicht mehr daran erinnern kann, wann sie beschnitten wurde, weil sie zu jung war, trägt sie die Narben noch immer.

Es sind Geschichten wie die von Daima, die die transformative Kraft von Bildung illustrieren. Mit Entschlossenheit und Widerstandskraft ist es ihr gelungen, Widrigkeiten zu überwinden. In der Massai-Gemeinschaft erheben sich zunehmend Stimmen wie die von Daima, die für eine starke Bewegung gegen geschlechtsspezifische Gewalt stehen und dauerhafte Veränderungen bewirken wollen.

Neue Ansichten

Frauen wie Esther Joseph, Sabina Laizer, Susana Lekoko und Theresia Kaango führen den Kampf gegen FGM an. Sie leiten eine Gruppe von 80 Frauen, allesamt ehemalige traditionelle Beschneiderinnen, sogenannte engamuratani, die von der weiblichen Genitalverstümmelung lebten - sie wurden mit einem Betrag bezahlt, der dem Wert einer Ziege entsprach. Ohne eine alternative Einkommensquelle war es schwierig, diese Praxis aufzugeben.

„Wir praktizierten die weibliche Beschneidung, weil sie Teil unserer Kultur und eine wirtschaftliche Tätigkeit für uns Frauen war. Das FNF-Projekt hat unsere Überzeugungen über FGM und unsere Lebensauffassung verändert und unseren wirtschaftlichen Status verbessert, indem es uns alternative Einkommensmöglichkeiten aufgezeigt hat“, sagt Susana Lekoko.

Die Frauen haben sich zu mächtigen Fürsprecherinnen für Menschenrechte entwickelt. Bei ihrem Engagement geht es nicht nur um Zahlen oder Statistiken, sondern um tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen.

Mit ihrem neu gewonnenen Selbstvertrauen sind diese Frauen an die Spitze einer Interessenvertretung getreten, die sich mit unerschütterlicher Entschlossenheit für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte einsetzt. Ihre Führungsrolle geht über Worte hinaus und manifestiert sich in gemeinsamen Unternehmungen, Förderung von Unternehmertum und einem gemeinsamen Engagement für die Gleichstellung der Geschlechter und den Schutz von Frauen und Kindern.

Im Rahmen des von der FNF unterstützten Projekts wurden über 120 Frauen geschult und befähigt, 24 gemeinschaftliche Mikrofinanzgruppen zu gründen. Diese Frauen haben durch die Bündelung ihrer Ressourcen und interne Kreditvergabe 72.782.800 TSh (25.753,80 €) angesammelt. Mehr als die Hälfte dieses Betrags besteht aus freiwilligen Zahlungen. Dieses finanzielle Rückgrat hat ihre Familien aus der Armut befreit und sie in die Lage versetzt, sich unternehmerisch zu betätigen und Vermögenswerte wie Ziegen, Hühner und Schafe zu erwerben.

„Dank der revolvierenden Kredite fühle ich mich gestärkt. Ich kann Kredite aufnehmen, investieren und mit den Gewinnen Bücher und Stifte kaufen und die Schulgebühren für meine sechs Kinder bezahlen“, sagt Evaline Peter. Zusammen mit anderen Frauen im Dorf ist Evaline aktiv an der Identifizierung und Rettung von endito oder alaiyen beteiligt - unbeschnittene Jugendliche, die Gefahr laufen, zwangsverheiratet zu werden.

Dieser wirtschaftliche Wandel geht über bloße Zahlen hinaus. Sie ist zu einem Katalysator für Veränderungen in ihren Gemeinden geworden. Diese Frauen sind zu Verfechterinnen der Menschenrechte geworden, insbesondere in Bereichen wie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Ihre Stimmen, die einst gedämpft waren, sind nun in den Dörfern laut zu vernehmen und fordern Gleichheit und Gerechtigkeit für alle.

Sichtbare Erfolge

Die Auswirkungen der Stärkung und Förderung von Frauen sind sichtbar und führen zu einer Abnahme von Gewalt und Armut.

Eine inspirierende Geschichte stammt von der Frauengruppe Jamii Salama in Donyomurwa Ward. Mit strategischen Investitionen und visionärer Planung betreiben sie nicht nur Landwirtschaft, sondern bauen sich eine Zukunft auf. Bei ihrer Entscheidung, 800.000 TSh (283 €) in die Anschaffung eines Bullen zu investieren, geht es nicht nur um Gewinne, sondern um Nachhaltigkeit und Wachstum. Ihr visionärer Ansatz sieht vor, den Bullen für einen geschätzten Wert von 2.000.000 TSh (707,69 €) zu verkaufen. Die Weitsicht endet hier nicht. Die Gruppe hat das Wachstumspotenzial erkannt und plant, einen Teil des Erlöses aus dem Verkauf des Bullen in den Anbau von Mais und Bohnen auf zwei Hektar Land zu reinvestieren. Diese strategische Diversifizierung wird nicht nur weitere Einnahmen bringen, sondern auch zur lokalen landwirtschaftlichen Entwicklung beitragen.

Die Geschichte dieser Frauen ist nicht nur eine Erfolgsgeschichte, sondern auch ein Hoffnungsschimmer für eine bessere und gerechtere Zukunft. Durch ihren Mut, ihre Entschlossenheit und ihren unerschütterlichen Geist verändern sie nicht nur ihr Leben, sondern auch die Welt um sie herum – Schritt für Schritt.

Auch junge Menschen werden miteinbezogen. Das Projekt hat 150 junge Menschen involviert, die sich als Katalysatoren des Wandels erwiesen haben. Im Rahmen des Projektes von FNF und KWIECO erreichten sie 750 Personen und setzten sich für die Rechte von Kindern, den Zugang zu Bildung und Entscheidungsprozesse in der Familie ein. Ihre Botschaft stieß auf große Resonanz und regte Gespräche über Bildung und männliches Engagement in den Gemeinden an, was den Weg für eine integrativere und besser informierte Gesellschaft ebnete.

Über die wirtschaftlichen Vorteile hinaus sind diese Frauen, Jugendlichen und männlichen Erwachsenen zu Fürsprechern für die Gleichstellung der Geschlechter geworden und haben sich mit Themen wie sexuellem Missbrauch, weiblicher Genitalverstümmelung (FGM) und Bildungshindernissen auseinandergesetzt. Ihr Engagement hat dazu geführt, dass 670 Gleichaltrige eine Ausbildung erhalten haben, was einen Dominoeffekt in Bezug auf die Stärkung des Selbstbewusstseins und die Bewusstseinsbildung zur Folge hatte.

Lokale Regierungsvertreter spielen weiterhin eine zentrale Rolle bei der Aufklärung der Bürger über die gesetzlichen Strafen für Gewalt gegen Frauen, was zu einem spürbaren Rückgang von Fällen wie Zwangs- und Frühverheiratung führt. Erfolgsgeschichten wie die des Dorfes Munge zeigen greifbare Ergebnisse: Die Zahl der Fälle von sexueller Belästigung ist zurückgegangen - ein Beweis für die Kraft von Initiativen, die von der Gemeinschaft ausgehen.

42 Clan-Führer haben 1 272 Personen angesprochen und sich gegen schädliche Praktiken wie Genitalverstümmelung und sexuellen Missbrauch sowie für die Gleichstellung der Geschlechter und wirtschaftliche Rechte eingesetzt. Ihre Zusammenarbeit mit den lokalen Behördenleitern stärkt weiterhin die gemeinschaftsweiten Bemühungen und fördert eine Kultur der Inklusion und Verantwortlichkeit.

„Wir arbeiten daran, die Gemeinden im Bezirk Donyomurwa für die Rechte der Kinder, insbesondere der Mädchen, zu sensibilisieren und die Eltern davon abzuhalten, ihre Töchter früh zu verheiraten. Wir haben viele minderjährige Mädchen aus solchen Ehen gerettet und arbeiten mit den Behörden zusammen, um Beweise zu sammeln und das Alter der Zwangsverheirateten zu überprüfen“, sagt Michael Lazarus Loitayo, ein männlicher Fürsprecher gegen FGM und frühe Heirat.

Lehrer, die mit Wissen und Ressourcen ausgestattet sind, machen Fortschritte bei der Schaffung eines sichereren Schulumfelds und der Verringerung von Vorfällen sexueller Gewalt. Ihre Forderung nach weiteren Investitionen in geschlechter- und menschenrechtsorientierte Bildung unterstreicht die entscheidende Rolle der Bildung bei der Förderung des gesellschaftlichen Wandels.

Die Strafverfolgungsbehörden, einschließlich des Gender Desk der Polizei, Sozialdienste und Beamte für Kommunalentwicklung, haben ihre Bemühungen ebenfalls verstärkt und die Wirksamkeit des Projekts in Bezug auf präventive und reaktionsfähige Dienste anerkannt. Sie betonen die Zusammenarbeit mit der Gemeinschaft und unterstreichen weiterhin die Leitprinzipien des Kinderschutzes, um einen umfassenden Ansatz zur Prävention und Unterstützung von Gewalt gegen Kinder zu gewährleisten.

Bei diesem Empowerment geht es nicht nur um persönlichen Erfolg, sondern darum, den Weg für eine Zukunft zu ebnen, in der Rechte gewahrt, Stimmen gehört werden und Gemeinschaften gedeihen. Es ist ein Zeugnis für die Widerstandsfähigkeit des menschlichen Geistes und die dauerhafte Kraft der Einheit im Angesicht von Widrigkeiten.