Türkei
Wer ist dieser İmamoğlu?

Istanbuls Bürgermeister Ekrem İmamoğlu spricht zu seinen Anhängern vor dem Istanbuler Gerichtsgebäude, in Istanbul, Türkei, Freitag, 31. Januar 2025.
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Emrah GurelEine Wahl zu gewinnen ist ein Erfolg – sie zweimal zu gewinnen, ist ein politisches Statement
Besonders dann, wenn es sich um eine Wahl in einer Megametropole wie Istanbul handelt – jener Stadt, die nicht nur geographisch, sondern auch politisch das Herz der Türkei ist. Ekrem İmamoğlu gelang genau dies im Jahr 2019. Zunächst erlangte er in einem Randbezirk Istanbuls Bekanntheit, dann veränderte er mit seiner Kandidatur für das Amt des Bürgermeisters das politische Klima des gesamten Landes. Heute ist İmamoğlu weit mehr als nur Stadtoberhaupt – er ist zur Symbolfigur der Hoffnung für die gesamte türkische Opposition geworden.
Von der Schwarzmeerküste zum Bosporus – der Beginn einer politischen Laufbahn
Geboren 1970 in Akçaabat, einer Kleinstadt in der Provinz Trabzon, gleicht İmamoğlus Lebensweg dem vieler türkischer Familien: bescheiden, aber hoffnungsvoll. Die Kindheit in der Schwarzmeerregion prägte ihn – die raue Natur lehrte ihn Durchhaltevermögen, die Menschen Herzlichkeit und Offenheit. Seine erste große Leidenschaft war der Fußball – sein Traum: Torwart bei Trabzonspor zu werden. Doch der elterliche Betrieb brachte ihn früh mit unternehmerischem Denken in Berührung. Er studierte Betriebswirtschaft, zunächst in Nordzypern, später an der Universität Istanbul. Es folgten berufliche Erfahrungen im Bauwesen – doch seine wahre Passion galt der Politik.
Nach eigenen Angaben traf İmamoğlu seinen späteren politischen Widersacher Erdoğan bereits in den 1990er Jahren. Damals, als Erdoğan Bürgermeister von Istanbul war, soll er in einem kleinen Kiosk gegessen haben, den İmamoğlu eine Zeit lang betrieb. Auch im Privatleben ging İmamoğlu früh große Schritte: Mit nur 25 Jahren heiratete er seine Frau Dilek. Heute ist das Paar seit über 30 Jahren verheiratet und hat zwei Söhne.
İmamoğlus politisches Interesse zeigte sich früh – allerdings schlug er zunächst keinen sozialdemokratischen Weg ein, sondern engagierte sich in der konservativ-liberalen Mutterlandpartei (ANAP), in der sein Vater eine führende Rolle spielte. Erst 2008 trat er in die sozialdemokratische CHP ein – ein Schritt, der den Startschuss für seine steile politische Karriere bedeutete.
Als İmamoğlu 2014 als Kandidat der CHP für das Bürgermeisteramt in Beylikdüzü antrat, war er politisch noch weitgehend unbekannt. Doch mit einem ruhigen, sachlichen und empathischen Wahlkampfstil gewann er rasch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Und vollbrachte ein kleines Wunder, das zunächst kaum jemand bemerkte: Mit einem Vorsprung von knapp 12 % schlug er den AKP-Kandidaten – in einem Bezirk, der zuvor zehn Jahre lang von der Regierungspartei regiert worden war. Während seiner Amtszeit setzte İmamoğlu Maßstäbe: transparente Verwaltung, soziale Hilfen, nachhaltige Stadtentwicklung. Beylikdüzü im Westen Istanbuls wurde zum Experimentierfeld seines Politikstils: bürgernah, lösungsorientiert, überparteilich.

Ekrem İmamoğlu, der neue Bürgermeister der Stadt Istanbul, spricht zu seinen Anhängern während einer Kundgebung in Istanbul, Sonntag, 21. April 2019.
© picture alliance/AP Photo | Emrah Gurel2019: Zwei Wahlen, eine Botschaft
Für die Kommunalwahlen 2019 erarbeitete die CHP mit externen Beratern ein detailliertes Kandidatenprofil: männlich, zwischen 45 und 55 Jahre alt, mit Verwaltungserfahrung, aus einer konservativen Familie, idealerweise aus der Schwarzmeerregion – ein politisches Profil mit Symbolkraft. Nur einer erfüllte all diese Kriterien: Ekrem İmamoğlu. Doch außerhalb seines Bezirks war er weitgehend unbekannt.
Im Wahlkampf erwies sich schnell, dass İmamoğlu kein Leichtgewicht war: Er war täglich auf den Straßen unterwegs, betete in Moscheen, sprach mit Bürgern, besuchte selbst AKP-Hochburgen – und hörte zu. Sein Gegner: Ex-Ministerpräsident und Parlamentspräsident Binali Yıldırım, unterstützt vom gesamten Staatsapparat.
Die Wahlnacht verlief chaotisch – Datenflüsse wurden unterbrochen, das Ergebnis ließ lange auf sich warten. Die Auszählung dauerte 17 Tage. Doch am Ende siegte İmamoğlu – mit knapp 13.000 Stimmen Vorsprung. Die Wahl wurde jedoch durch die Wahlkommission mit kontroverser Begründung annulliert – ein Schritt, den viele als undemokratisch empfanden. İmamoğlu reagierte mit einer leidenschaftlichen Rede: Krawatte gelöst, Ärmel hochgekrempelt – und die klare Ansage, dass er sich nicht beugen werde. Spätestens seit diesem Moment wurde er für viele zum politischen Helden der Opposition.
Drei Wochen später wurde erneut gewählt – diesmal gewann İmamoğlu mit einem historischen Vorsprung von fast 800.000 Stimmen. Dieser Sieg war mehr als nur ein Wahlerfolg – für viele ein klares Signal gegen Willkür und Machtmissbrauch.
In einem Interview zwischen den beiden Wahlen wurde ihm die Frage gestellt:
„Will you be the next president of Turkey?“
İmamoğlu: "God knows…“
Istanbuls neuer Bürgermeister: Dienstleistung trifft auf politischen Gegenwind
Schon seit seinem ersten Amtstag sah sich İmamoğlu mit enormen Herausforderungen konfrontiert: Wirtschaftskrise, Pandemie – und massive Blockaden durch die Zentralregierung. Viele seiner Projekte wurden von Ankara blockiert, regierungsnahe Medien führten eine regelrechte Kampagne gegen ihn.
Dennoch setzte er klare Zeichen: neue U-Bahnlinien, ökologische Initiativen, soziale Hilfsprogramme. İmamoğlu zeigte, dass soziale Gerechtigkeit auch auf kommunaler Ebene machbar ist. Dabei unterschied er sich klar vom klassischen Oppositionsstil: keine konfrontative Rhetorik, sondern Hoffnung, Lösungen, Einigkeit.
Sein modernes, dynamisches Profil spricht ein breites Wählerspektrum an: säkular, konservativ, nationalistisch – eine Seltenheit im gespaltenen politischen Klima der Türkei.
Neben politischen Hindernissen kämpfte İmamoğlu auch mit juristischen: Personalentscheidungen wurden blockiert, Budgets gekürzt, Ermittlungen eingeleitet. Besonders der Prozess wegen angeblicher „Beleidigung der Wahlkommission“ sorgte für Empörung.
In dieser Zeit profilierte sich İmamoğlu als standhafter Demokrat – nicht als Opfer, sondern als Gestalter. Seine Popularität wuchs weiter.
Zweite Amtszeit – und der Blick auf 2028
Vor den Kommunalwahlen 2024 schien die Opposition am Boden: Präsident Erdoğan hatte überraschend die Präsidentschaftswahl gewonnen, das oppositionelle Bündnis war zerfallen. Doch İmamoğlu zeigte Führungsstärke – noch am Abend der Niederlage sprach er zu den Bürgern und machte Mut:
„Niemand soll sich Sorgen machen – alles beginnt von Neuem. Vergesst nicht: Das Einzige, was sich nie ändert, ist der Wandel selbst. Wandel auf allen Ebenen, in jedem Bereich, in jedem Umfeld. Wir werden nicht länger dieselben Dinge tun und andere Ergebnisse erwarten. Wir werden handeln.“
In weniger als einem Jahr mobilisierte er die Opposition – und gewann die Kommunalwahl 2024 erneut, mit noch größerem Vorsprung als zuvor.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt war klar: İmamoğlu denkt über das Bürgermeisteramt hinaus. Sein Sieg war nicht nur Bestätigung, sondern ein klares Signal: Ekrem İmamoğlu ist ein Kandidat für höhere Aufgaben.
Ob er diese höhere Aufgabe eines Tages tatsächlich übernehmen wird, ist angesichts der Entwicklungen der letzten Wochen mehr als ungewiss. Doch der Blick auf Erdoğans Werdegang zeigt: Den Weg politischer Alphatiere wie Erdoğan oder İmamoğlu kann man vielleicht zeitweilig aufhalten – aber nicht auf Dauer blockieren.

Luftaufnahme von einer Massenkundgebung zur Unterstützung des inhaftierten Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu am 29. März 2025 in Istanbul, Türkei.
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