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Türkei
Die türkische Wirtschaft: Unausgeglichene Erholung und ungewisse Zukunft

Inflation Türkei
picture alliance / EPA | SEDAT SUNA

Polarisierung der ökonomischen Wahrnehmung nimmt ab

Die Anbindung der Wählerinnen und Wähler an politische Parteien hat in der Türkei direkte Auswirkungen auf ihre Wahrnehmung der eigenen wirtschaftlichen Lage sowie auf alle weiteren Themen im Land. Unsere Daten zeigen, wie die Einschätzung der Wählerinnen und Wähler der regierenden Volksallianz, bestehend aus AKP und MHP, und der Wähler der Opposition mit Blick auf ihre wirtschaftliche Lage auseinander gehen. Unter den Unterstützern von Oppositionsparteien war während des gesamten Jahres 2021 der Anteil der Stimmen, die die Wirtschaft als schlecht bewerteten, viel höher als bei den Wählerinnen und Wählern der regierenden Volksallianz. Auf der anderen Seite ist jedoch auch eine Zunahme der negativen Wahrnehmung innerhalb der AKP- und MHP-Wählerschaft in den letzten drei Monaten des Jahres 2021 zu erkennen. Auch wenn die Gesellschaft in der Türkei stark polarisiert ist, führt die negative Entwicklung in der Wirtschaft zu einer Annäherung verschiedener sozialer Gruppen. Teile der Gesellschaft, die ideologisch getrennt sind, finden sich im Kampf um den Lebensunterhalt Seite an Seite wieder.

Negative Erwartungen

In unseren monatlichen Umfragen erheben wir auch Daten zu wirtschaftlichen Erwartungen der Bevölkerung. Wie auch im ersten Jahr der Pandemie war 2021 die Unsicherheit einer der wichtigsten Faktoren. Wir konnten außerdem beobachten, dass sich die Wirtschaftserwartungen mit zunehmender Verbreitung von Impfstoffen und einer Normalisierung des sozialen Lebens langsam verbesserten. Zugleich fiel der Anteil der Befragten mit schlechten bzw. sehr schlechten Erwartungen fürs nächste Jahr lediglich im Februar 2021 auf unter 45 Prozent, und im Dezember sahen sogar 54 Prozent der Gesellschaft der Wirtschaftsentwicklung für 2022 negativ entgegen. Um genau zu verstehen, was diese Daten aussagen, ist es sinnvoll, sie mit einer weniger schwierigen Zeit zu vergleichen. In einer Umfrage vor dem Referendum im April 2017 lag die Rate derjenigen, die dieselbe Frage mit „schlechter/viel schlechter“ beantworteten, bei nur 32 Prozent.

Betrachtet man die Aufschlüsselung der Erwartungen an die Wirtschaft nach Parteizugehörigkeit, so ergibt sich ein ähnliches Ergebnis wie bei der Einschätzung der aktuellen Wirtschaftslage: Geht es der der türkischen Wirtschaft gut, ist die Erwartung für ihre weitere Entwicklung eher an die Parteizugehörigkeit gekoppelt. Die Wählerinnen und Wähler der AKP und der MHP, die mit einer positiveren Erwartung in das Jahr 2021 gestartet waren, nähern sich gegen Ende des Jahres der negativeren Einschätzung von Wählerinnen und Wählern der Oppositionsparteien an.

Bei näherer Betrachtung nach Altersgruppen zeigt sich interessanterweise, dass sich die Altersgruppen von 18-24 Jahre und 65+ Jahre am ähnlichsten sind. Der positive Trend ihrer Erwartungen zu Beginn 2021 kehrt sich zum Jahresende um. 70 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den beiden Altersgruppen glauben an einen Abwärtstrend der Wirtschaft im nächsten Jahr. Die Altersgruppen der 35- bis 44-Jährigen und 45- bis 55-Jährigen hingegen haben positivere Erwartungen. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass diese Altersgruppen den Löwenanteil der Wirtschaft stemmen.

Anstieg der Lebensmittelpreise wird sich fortsetzen

Während für den Anstieg der Lebensmittelpreise durchaus unterschiedliche Faktoren verantwortlich gemacht werden, führt ein großer Teil der Gesellschaft ihn auf die Wirtschaftspolitik der Regierung zurück. Nur 15 Prozent der Gesellschaft machen die Handelsketten für den Anstieg der Lebensmittelpreise verantwortlich. Selbst bei Wählerinnen und Wählern der Regierungsparteien liegt dieser Wert nur bei 27 Prozent (AKP) bzw. 17 Prozent (MHP).

Dagegen glauben 75 Prozent aller Umfrageteilnehmenden im Dezember 2021, dass die Lebensmittelpreise in den nächsten drei Monaten weiter steigen werden. Die Türkei reiht sich mit dem Anstieg der Lebensmittelpreise in einen weltweiten Trend ein, ragt aber negativ aus diesem hervor. Der Hauptgrund dafür dürfte in der Preisbildung in den Lieferketten liegen und darin, dass die Regierungspolitik den Anstieg der landwirtschaftlichen Produktionskosten nicht adressiert.

Große Herausforderung

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich 2021 von einem Jahr der Erholung zu einem Jahr der Turbulenzen entwickelt hat und sich dieser Trend im Jahr 2022 fortsetzen wird. Sowohl innenpolitische Entscheidungen als auch globale Treiber werden voraussichtlich zu einer ungünstigen Entwicklung für die Türkei beitragen. Da die Inflation die Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer  untergräbt, wird es im neuen Jahr eine große Herausforderung werden, einen durchschnittlichen Haushalt über Wasser zu halten.

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