Argentinien
Argentinien im Ausnahmezustand
Der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Professor Paqué war drei Tage in Argentinien. Als Volkswirt hat er die Lage beobachtet und mit den Menschen gesprochen - zusammen mit dem FNF-Team in Buenos Aires unter Leitung von Dr. Hans-Dieter Holtzmann. Hier sein ganz persönlicher Bericht.
Mein letzter Besuch in Buenos Aires liegt rund 1 1/2 Jahre zurück, wenige Monate vor der Wahl von Milei zum Präsidenten. Damals sprach ich mit Studierenden mehrerer Universitäten - junge Menschen mit guter Ausbildung und globaler Orientierung. Ihre Botschaft: Wenn sich in unserem Land nicht grundlegend etwas ändert, dann gehen wir nach Europa oder in die USA.
Diesmal saß ich wieder mit Studierenden zusammen. Gleicher Typus: gut ausgebildet und global orientiert. Die Botschaft war aber eine ganz andere: Wir bleiben im Land und hoffen, dass die drastischen Finanz- und Wirtschaftsreformen wirken. Immerhin ist die Hyperinflation schon weg, aber es bleibt noch viel zu tun. Wenn das alles klappt, suchen wir unsere berufliche Zukunft in Argentinien, das wir lieben; wenn nicht, müssen wir doch gehen. Aber das wollen wir eigentlich nicht.
Was für ein Unterschied! Es gibt Hoffnung. Und nicht nur bei den Studierenden, sondern auch in den Unternehmen. Tatsächlich, so berichten Ingenieure aus international tätigen Firmen und die deutsche Auslandshandelskammer in Buenos Aires, sind Außenhandel und Kapitalverkehr schon einfacher geworden, also weniger bürokratiebeladen und genehmigungspflichtig. Zwar steht die Regierung erst am Anfang der Liberalisierung, aber es bewegt sich etwas. Es keimt auch hier Hoffnung.
Alles deutet darauf hin, dass Milei tatsächlich schnellstmöglich die peronistischen Fesseln ablegt, aber unter fachkundigen inländischen Beobachtern bleibt natürlich eine gewisse abwartende Skepsis. Zu oft ist das Land schon nach mutigen Versuchen der Liberalisierung wieder in alte Muster verfallen, zuletzt nach den Reformen von Präsident Carlos Menem und Finanzminister Domingo Cavallo in den neunziger und frühen 2000er Jahren. Aber auch für die Kenner der Finanz- und Wirtschaftspolitik gilt: Es keimt Hoffnung. Zu augenfällig sind die Erfolge bei der Bekämpfung von Hyperinflation und massiven Staatsdefiziten, die früher durch Gelddrucken finanziert wurden. Es bleibt vor allem noch die große Aufgabe der Stabilisierung des Wechselkurses und der Abschaffung von Kapitalverkehrskontrollen, aber immerhin: auch da beginnender Fortschritt.
Ein Jahr Wirtschaftspolitik von Javier Milei
Javier Milei trat im Dezember 2023 das Amt des argentinischen Präsidenten an und kämpft seitdem gegen Hyperinflation, hohe Armut und wirtschaftliche Missstände. Ein Jahr später: erste Erfolge, aber viele Herausforderungen.
Klar ist dabei allen, dass nach der scharfen Rezession die Rückkehr zu Wachstum mit neuen Arbeitsplätzen essenziell ist - und es dafür weiterer Liberalisierungen bedarf, mit Privatisierung von Staatsbetrieben und steuerlichen Anreizen für inländische und ausländische Investoren. Auch da gibt es erste Erfolge, aber noch nicht mehr: Immerhin hat eine Art Amnestie für Steuerflüchtlinge dazu geführt, dass bereits erstes argentinisches "Fluchtkapital" ins Land zurückgekehrt ist.
Kurzum: Argentinien ist und bleibt in einer Art Ausnahmezustand, der noch lange Monate oder gar einige Jahre andauern wird. Bisher ist die Unterstützung für Milei in der Bevölkerung weiterhin stabil - laut Umfragen stehen noch immer 56 Prozent hinter ihm, trotz der sozialen Härten mit drastischen Senkungen der Realeinkommen und dem Anstieg der Armutsquote. Die Situation ähnelt Polen nach Ende des planwirtschaftlichen Sozialismus in den frühen neunziger Jahren, als Leszek Balcerowicz die offene Anpassungsinflation zuließ und das Land schließlich erfolgreich in die Marktwirtschaft führte.
Man mag Javier Milei mit seinen martialischen Sprüchen, seiner Neigung zu rechtspopulistischen Freunden und seiner Liebe zu libertären und anarcho-kapitalistischen Lehrbüchern nicht mögen. Und dass er fortwährend außenpolitisches Porzellan zerschlägt, ist auch nicht klug. Gleichwohl: Die überscharfe Kritik an ihm seitens der deutschen politischen Linken ist überzogen, vor allem was seine demokratische Legitimation betrifft. Die ist ohne Zweifel gegeben, auch wenn er in der Notlage Gesetzespakete schnüren musste, die aber bisher - perfekt demokratisch - die nötige Mehrheit im Parlament gefunden haben.
Klüger ist es, ihn vor allem an der Konsequenz seines finanz- und wirtschaftspolitischen Reformkurses zu messen und ggf. zu kritisieren. Der - und nicht seine Sprüche - werden über die Zukunft des Landes entscheiden. Bisher überwiegt in Argentinien die Hoffnung, Massendemonstrationen haben sich in engen Grenzen gehalten. In jedem Fall werden wir als Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit die Lage weiter genau beobachten und analysieren.