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Spionagegesetz in der Türkei
Eine neue Bedrohung für die Zivilgesellschaft und das Recht auf freie Meinungsäußerung

Türkeiflagge

Flagge der Türkei

© picture alliance / Hans Ringhofer / picturedesk.com | Hans Ringhofer

Veysel Ok ist Rechtsanwalt in der Türkei. Mit seiner Organisation Media and Law Studies Association leistet er Schriftstellern und Journalisten rechtlichen Beistand. Am 2. September 2024 erhielt Veysel Ok von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und der Vereinigung Liberaler Juristen e.V. die Max-Stadler-Medaille für seine Verdienste um den Rechtsstaat.

Der Justizausschuss des Türkischen Parlaments hat einen Gesetzesentwurf gebilligt, der „Spionage“, landläufig auch „Einflussnahme von außen“, unter deutlich schärfere Strafen stellen würde. Wenn der Vorschlag, der voraussichtlich nächste Woche der Großen Nationalversammlung vorgelegt wird, Gesetz wird, stellt er eine neue Bedrohung für die Presse und die Zivilgesellschaft in der Türkei dar.

Der Vorschlag kam erstmals im März auf die Tagesordnung und war in der vergangenen Woche in verschiedenen Gesetzesänderungen versteckt. Er sieht Strafen gegen diejenigen vor, die gegen die Sicherheit oder die innen- und außenpolitischen Interessen des türkischen Staates handeln, indem  sie den Interessen eines ausländischen Staates oder einer ausländischen Organisation dienen.

Die Regierung behauptet, der Zweck des Gesetzes sei der Schutz der nationalen Sicherheit und eine weitere Bestimmung sei erforderlich gewesen, um diejenigen zu verfolgen, die Straftaten zu Spionagezwecken begehen.

In der Türkei, wo das Recht auf freie Meinungsäußerung bereits stark unter Druck steht, scheint es jedoch, dass dieses Gesetz als neues Instrument zur Unterdrückung kritischer Stimmen aus der Zivilgesellschaft eingesetzt werden könnte.

Der Gesetzesentwurf zielt darauf ab, Personen und Organisationen zu bestrafen, angeblich die im Interesse ausländischer Staaten handeln. Das Konzept der „ausländischen Interessen“ ist jedoch vage und lässt alle möglichen Interpretationen zu.

Kann beispielsweise ein Journalist, der die Regierung kritisiert, beschuldigt werden, auf Anweisung eines ausländischen Staates zu handeln, weil er sich auf einen internationalen Menschenrechtsbericht beruft? Können Menschenrechtsverteidiger und Organisationen der Zivilgesellschaft als „ausländische Agenten“ bezeichnet werden, nur weil sie internationale Gelder erhalten?

Presse und Journalisten im Visier des Gesetzes

Das Gesetz öffnet in der vorliegenden Form den Weg zu einer weiteren Verschärfung der Regierungspolitik, die bereits intolerant gegenüber Kritik ist, und birgt das Potenzial, unabhängige Interessensvertretung und unabhängigen Journalismus in der Türkei unmöglich zu machen.

Die Risiken für Journalisten sind groß: Das Gesetz könnte dazu verwendet werden, Journalisten, die mit internationalen Medien zusammenarbeiten, ins Visier zu nehmen. Schon 2019 veröffentlichte die regierungsnahe Stiftung für politische, wirtschaftliche und soziale Forschung (SETA) einen Bericht mit dem Titel „Extensions of International Media Organizations in Turkey“, in dem Journalisten, die für ausländische Organisationen arbeiten, angeprangert wurden.[1]

Sollte das Gesetz vom Parlament verabschiedet werden, wird es sich nicht nur auf zivil- und strafrechtliche Sanktionen beschränken, sondern könnte auch ein Instrument sein, mit dem Journalisten und Aktivisten bedroht werden.

Die Bezeichnung "ausländischer Agent" könnte die Sicherheit von Journalisten gefährden und sie Angriffen verschiedener Gruppen aussetzen. In Anbetracht der Tatsache, dass Regierungskritiker in der Türkei häufig mit Online-Verleumdungskampagnen konfrontiert sind, würde dieses Gesetz auch Journalisten auf digitalen Plattformen in große Gefahr bringen. Jeder Journalist, der beschuldigt wird, "im Einklang mit ausländischen Interessen" zu handeln, könnte in der Öffentlichkeit diskreditiert und in den sozialen Medien ins Visier genommen werden.

Darüber hinaus kann jede regierungskritische Nachricht mit dem Vorwurf belegt werden, sie diene den Interessen ausländischer Mächte, indem behauptet wird, dass sie „der Sicherheit oder den Interessen des Staates zuwiderläuft“. Dieses Gesetz zeigt, dass die Türkei bei der Pressefreiheit noch weiter zurückfallen könnte, wo sie im internationalen Vergleich bereits zu den Schlusslichtern gehört.

Gesetz birgt Risiken für Aktivisten, Rechtsverteidiger und NGOs

Zu denjenigen, die am stärksten von dem Spionagegesetz betroffen sind, gehören unabhängige Organisationen der Zivilgesellschaft, die mit internationalen Geldern arbeiten.

Menschenrechtsorganisationen und Aktivisten, die für demokratische Rechte und Freiheiten in der Türkei kämpfen, sowie Verfechter von Umwelt-, Frauen- und LGBTI-Rechten könnten jederzeit zur Zielscheibe dieses Gesetzes werden. Ihre Aktivitäten könnten behindert, ihre Mitglieder strafrechtlich verfolgt werden, und sogar die Organisationen selbst sind von der Schließung bedroht, wenn sie beschuldigt werden, "im Einklang mit ausländischen Interessen" zu handeln.

Dieses Gesetz scheint Teil einer umfassenderen Strategie zu sein, die darauf ausgelegt ist, die Zivilgesellschaft zu schwächen. Da der zivile Raum in der Türkei bereits stark eingeengt ist, wird dieses Gesetz Rechtsverteidiger und Aktivisten weiter in ihren Rechten einschränken und Bürger, die ihre Rechte einfordern, isolieren.

„Ausländische Agenten“ in autoritären Ländern

Moskau hat 2012 ein Gesetz über „ausländische Agenten“ verabschiedet, das in der Folgezeit zum Ende der Zivilgesellschaft und unabhängiger Medien in Russland geführt hat. Mit einem ähnlichen Gesetz, das nun in dieser Woche beschlossen werden soll, könnte sich die Türkei noch weiter von demokratischen Staaten entfernen und sich autoritären Ländern wie Russland annähern.

Es scheint also, dass das Gesetz den ohnehin schon schrumpfenden demokratischen Raum in der Türkei weiter einengen und eine Zeit einleiten wird, in der kritische Stimmen komplett zum Schweigen gebracht werden.

Was also sollten wir als Rechtsverteidiger, zivilgesellschaftliche Organisationen, Journalisten und demokratische Gruppen angesichts dieser Entwicklung tun?

Wir müssen lautstark darauf hinweisen, dass dieses Gesetz, das auf Einschüchterung abzielt, sowohl gegen die türkische Verfassung als auch gegen internationale Konventionen verstößt. Wir müssen lautstark darauf hinweisen, dass wir nicht zulassen werden, dass unser Recht auf freie Meinungsäußerung und das Eintreten für Rechte kriminalisiert wird.

Was die internationalen Organisationen betrifft, so sollten sie die Türkei an ihre internationalen Verpflichtungen erinnern und ihren Arbeitsbereich schützen.

Natürlich werden Journalisten und Menschenrechtsorganisationen in der Türkei trotz der Repressionen ihre Arbeit fortsetzen. Daran habe ich keinen Zweifel.

In dieser chaotischen Zeit werden die starke und gemeinsame Haltung der Zivilgesellschaft und die Solidarität der international-en Organisationen mit uns der größte Widerstand gegen das Klima der Angst sein, das dieses Gesetz zu schaffen versucht.

[1] Im Bericht von SETA wurde ein Profil von Journalisten in der Türkei erstellt, die für führende internationale Medien arbeiten. Weiterhin wurden diese Medienorganisationen beschuldigt, gegenüber der türkischen Regierung voreingenommen zu sein.