Vietnam
Videoüberwachung und Todesstrafen: Vietnams Kampf gegen die Korruption
Vietnams Staatspräsident und Parteivorsitzender Nguyen Phu Trong hat erkannt: Korruption ist ein großes Übel. Deshalb lässt er sie seit Jahren mit drastischen Mitteln wie Videoüberwachung und drakonischen Strafen bekämpfen. Rückgang von Korruption steigert Wettbewerbsfähigkeit und geht einher mit Wirtschaftswachstum. Allerdings sind aus liberaler Sicht nicht alle Anti-Korruptions-Maßnahmen tragbar.
Vietnams Präsident Trong hat in den vergangenen fünf Jahren eine zuvor nie dagewesene Kampagne gegen Korruption geführt. Sie trug den Namen "Brennofen-Kampagne“, um deutlich zu machen, dass es heiß wird für korrupte Beamte und Politiker. Bislang wurden 38 hohe Beamte und Minister vor Gericht gestellt. Unter den Angeklagten waren 23 Generäle und sogar ein ehemaliges Politbüromitglied. Wegen Bestechlichkeit, Betrug oder Erpressung wurden Gefängnisstrafen zwischen 5 und 30 Jahren verhängt. Freisprüche gab es keine. Ein ehemaliger Minister, der sich laut Gericht mit drei Millionen USD bestechen ließ, wurde zum Tode verurteilt. Für die harte Kampagne gibt es nicht nur Lob für den Präsidenten: er führe Säuberungskampagnen gegen politische Gegner durch, unter anderem gegen Mitstreiter eines ehemaligen Premierministers, sagen Kritiker.
Ungeachtet seiner Motivation: die Entschlossenheit des Präsidenten hat Schockwirkung für korrupte Beamte, und zwar egal welchen Lagers. Behörden auf allen Ebenen haben sich der Anti-Korruptionsbewegung angeschlossen. Vietnam entwickelte zur Bekämpfung unehrlicher Beamter und Politiker auf nationaler und auf Provinz-Ebene viele Maßnahmen, welche Bürokratie und Verwaltung transparenter werden lassen sollten. Aus liberaler Sicht sind nicht alle Maßnahmen tragbar.
Videos in Büros - Einbruch in die Privatsphäre am Arbeitsplatz
Vietnam ist berühmt für seine "Briefumschlagskultur". Dies bedeutet, dass die Bürger freiwillig oder unfreiwillig zahlen, um von Regierung und Verwaltung eine wie auch immer geartete Unterstützung für das zu erhalten, was ihnen eigentlich durch die Zahlung ihrer Steuern und durch die Gesetze umsonst zusteht. Auf Standesämtern werden versiegelte Umschläge mit Bargeld gegen die Ausstellung eines Familienstandnachweises eingetauscht. Für Patienten in staatlichen Krankenhäusern ist es selbstverständlich, Geld zu geben, um erforderliche Injektionen von Krankenschwestern zu erhalten oder schneller behandelt zu werden. Vor zwei Jahren gaben 61% der Bürger an, Bestechungsgelder im öffentlichen Sektor gezahlt zu haben.
Nun wurden in vielen Büros Videokameras installiert, die Beamte bei der Arbeit filmen - ein probates Mittel, zu verhindern, dass sie „Umschläge“ entgegennehmen. Die Video-Idee stammt aus der Provinz Quang Ngai und wurde bald anderenorts aufgegriffen. In einer Provinz wurden Büros zudem mit eigens dafür installierten Fenstern im wahrsten Sinne des Wortes gläsern gemacht. Es bleibt aus liberaler Sicht ein schaler Beigeschmack wegen dem eklatanten Einbruch in die Privatsphäre von Menschen am Arbeitsplatz.
Banknoten mit hohem Wert abschaffen?
Im Jahr 2016 schlug die Anti-Korruptionspolizei vor, den Druck von Banknoten mit hohem Wert, also Scheine, die 500.000 vietnamesische Dong (ca. 25 USD) oder 200.000 VND (ca. 10 USD) wert sind, einzustellen. Die Hoffnung war, dass der obligatorische Briefumschlag mit dem Bestechungsgeld durch viele kleine Scheine zu dick wird, um ihn unter dem Tisch zu halten. Der Vorschlag, wertvolle Banknoten abzuschaffen, wurde aber nicht umgesetzt. Denn Korruption findet mittlerweile auch digitale Wege. Die Etablierung eines Geldwäschegesetzes wie in Deutschland wäre ein gangbarer Weg, die Korruption zu stoppen. Banken könnten ungewöhnliche Überweisungen oder Bareinzahlungen auf Konten von Beamten überprüfen und Beweise erhalten. Aber auch hier könnte die Privatsphäre leiden. Die Frage ist, ob die Bürger bereit sind, eine gläserne Gesellschaft vorzuziehen. Alles in allem sind Verdächtigungen, Rückverfolgung und Kontrolle keine langfristige Lösung, vor allem, wenn man ein liberales Menschenbild hat.
Nein zur "Briefumschlagskultur" in Krankenhäusern
Korruption ist in Vietnam bis heute noch überall anzutreffen. So hat die oben bereits beschriebene Bestechung in Krankenhäusern bereits eine lange, unrühmliche Tradition. Manchmal machten Patienten dies freiwillig mit, manchmal beruhte die Praxis auf Zwang. Um Gleichberechtigung aller Patienten ungeachtet ihres Vermögens sicherzustellen, erließen die Regierungen bereits vor sieben Jahren ein Dekret, das Bestrafung aller Ärzte, Krankenschwestern und Beamten in Krankenhäusern vorsieht, die von Patienten Geld für Vorzugsbehandlung erhielten. Nun zeigt sich Wandel – allerdings nicht durch das Dekret, sondern durch Wettbewerb. Seit es immer mehr private Krankenhäuser gibt, mussten die in staatlichen Krankenhäusern arbeitenden Beamten angesichts der Konkurrenz ihre Leistungen erheblich verbessern und aufhören, Bestechungsgeld zu verlangen.
Unehrliche Beamte werden hart bestraft
Leider gibt es weiterhin regelmäßig Korruptionsfälle mit Schadenssummen von mehreren Millionen USD. Doch mittlerweile gibt es - nach dem Vorbild Chinas – auch in Vietnam harte Strafen für Korruption. Immer mehr hochrangige, korrupte Beamte werden mit der Todesstrafe oder mit lebenslänglicher Haft bestraft. Die beiden Höchststrafen können nach Gesetzesänderungen nun viel leichter verhängt werden. Zudem ist nun detailliert ausformuliert, ab welchen Beträgen die drakonischen Strafen fällig werden. Der Kampf gegen die Korruption setzt ein deutliches Zeichen: unehrliche Beamte werden bestraft. Dabei bleibt wichtig, es nicht bei symbolischen Maßnahmen gegen Sündenböcke und politische Rivalen zu belassen.
Auch wenn der öffentliche Sektor nach wie vor stark von Korruption betroffen ist: insgesamt sind positive Auswirkungen der Kampagne erkennbar. Im jährlich weltweit erstellten Korruptionswahrnehmungsindex (CPI) von „Transparency International“ hat sich Vietnam seit 2015 um 6 Plätze verbessert. Auf der Makroebene geht laut internationaler Studien ein wachsendes BIP auch mit dem Rückgang der Korruption einher. Das ist auch in Vietnam der Fall. Zudem steigert Korruptionsbekämpfung die Wettbewerbsfähigkeit. Diese wird in Vietnam in Provinzen und Distrikten durch Punktesysteme gemessen, und zwar durch den „Province Competitiveness Index“ (PCI) und den „District and Department Competitiveness Index“ (DDCI).
Punktesysteme bewerten Qualität und Effizienz der Verwaltung
Die Ranglisten spiegeln die Wahrnehmung der Unternehmen hinsichtlich der Effektivität ihrer zuständigen Behörden wider. Transparenz und „inoffizielle“ Kosten sind zwei von zehn Kriterien für die Punktvergabe. Wenn Unternehmen viele Bestechungsgelder und unangemessene Gebühren zahlen und zu lange auf Antworten von Behörden warten, wird die Verwaltung in diesen Provinzen, Distrikten und Abteilungen abgewertet. Es folgt ein im Vergleich zu anderen Teilen des Landes niedriger Rang in der „Hitliste“, die viel Beachtung findet. Die Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit arbeitet mit mehreren Provinzen mit dem Ziel, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Zwei Partner-Provinzen der Stiftung - Quang Ninh und Bac Ninh – waren im vergangenen Jahr unter den fünf besten der 68 Provinzen Vietnams. Einhaltung der Vorschriften, die Verschlankung von Verwaltungsprozessen, eine Good-Governance-Struktur sowie eine One-Stop-Registration für Unternehmen ziehen Investoren an und schaffen Wohlstand.
Der Kampf gegen die Korruption ist in Vietnam eine hartes Stück Arbeit, das von der gesamten Gesellschaft Beharrlichkeit und Einsicht einfordert. Für das jahrelang durch Korruption erstickende Land könnte es eine bemerkenswerte Revolution sein, wenn Regierung, Verwaltung und Bürger bei der Beseitigung von Unehrlichkeit an einem Strang zu ziehen. Sowohl Theorie als auch die Erfahrung belegen den starken Zusammenhang zwischen Korruption und Wirtschaftswachstum: Die Beseitigung der Korruption ist einer der entscheidenden Schritte für die wirtschaftliche Entwicklung und den Wohlstand der Vietnamesen. Ein entwickeltes Vietnam wird weniger anfällig sein für Korruption.
Bui Ha Linh ist Referentin im Vietnam-Büro der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit in Hanoi.