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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Wirtschaft
Warum eine Erhöhung des Mindestlohns jetzt unverantwortlich ist

Ein Gastbeitrag für die "Capital"

Die Corona-Krise belastet den Arbeitsmarkt. Dies tut sie viel stärker, als der Anstieg der Zahl der Arbeitslosen glauben macht. Der hält sich mit 510.000 von April 2020 bis zuletzt im Februar 2021 noch in Grenzen – dank großzügiger Sonderregeln für Konkurse und für Kurzarbeit, die allerdings kräftig zunahm: von fast null auf zuletzt 2,3 Millionen geprüfter Anzeigen. Das ist noch immer weit mehr als auf dem Tiefpunkt in der Weltfinanzkrise 2009, auch wenn der Gipfelpunkt vom Mai 2020 noch viel höher lag. In dieser Zahl schlummert ein gewaltiges Risiko: Niemand weiß so genau, welcher Anteil dieses Personenkreises schließlich in der Arbeitslosigkeit landet, sobald wieder nach Corona halbwegs normale Verhältnisse einkehren.

Jedenfalls gibt es Grund zu großer Sorge, vor allem für die vielen Minderqualifizierten in den besonders hart getroffenen Dienstleistungsbranchen wie dem Gastgewerbe und Tourismus. Selbst in einem optimistischen Szenario, in dem sich die Industrie mit ihren komplexen internationalen Wertschöpfungsketten komplett erholt, könnten viele lokale Dienstleister auf der Strecke bleiben oder zumindest dauerhaft ihr Angebot einschränken. Die Folge wäre, dass viele angelernte Hilfskräfte das Nachsehen hätten, darunter natürlich auch überdurchschnittlich viele Ausländer. Genau diese Gruppe erhält oft den Mindestlohn.

SPD und Linke schlagen nun vor, ausgerechnet diesen Mindestlohn 2022 von den 9,50 Euro derzeit und 10,45 Euro ab Juli 2022 auf mindestens 12 Euro zu erhöhen – eine Steigerung um 26 (!) Prozent gegenüber heute und 15 Prozent gegenüber den Planungen. Und dies unabhängig von der Entwicklung am Arbeitsmarkt, die wir noch nicht kennen. Dies wäre schon in normalen Zeiten gewagt. In der Erholungsphase nach der Corona-Krise ist es völlig unverantwortlich. Es würde die volle Re-Integration von Arbeitslosen und Kurzarbeitern in das Erwerbsleben massiv erschweren. Es wäre ein Bärendienst für all jene, deren Beschäftigung durch Corona vorübergehend verschwunden ist, aber keineswegs zwingend wiederentsteht. Es könnte sehr wohl passieren, dass dadurch eine neue Großgruppe an Langzeitarbeitslosen entsteht, die dann nur mehr sehr schwer in Beschäftigung zurückzuführen ist.

Eine weitere Wirkung käme hinzu. Seit Einführung des Mindestlohns 2015 haben die Gesetzgeber sich erkennbar bemüht, die Steigerung des Mindestlohns so zu gestalten, dass dieser nicht – als politisch gesetzter Markstein – die Tarifverhandlungen beeinflusst. Ein entsprechender Abstand zu den niedrigen Lohngruppen der Tarifvereinbarungen wurde weitgehend gewahrt, so dass Tarifautonomie und gesetzlicher Mindestlohn sich nicht zu stark in die Quere kamen. Mit einer derart drastischen Erhöhung des Mindestlohns, wie ihn SPD und Linke nun fordern, wäre dieser Zustand beendet, und zwar vor allem in jenen Dienstleistungsbranchen, deren Tariflöhne im unteren Qualifikationssegment an den Mindestlohn heranreichen. Dies könnte verheerende Folgen für die nächste Runde der Tarifverhandlungen haben: Mitten in der Erholungsphase nach Corona würde die deutsche Wirtschaft von einer Lohn- und Kostenwelle erfasst, die den fälligen Neustart gefährdet.

Es ist zu hoffen, dass dies alles nicht Wirklichkeit wird. Die beste Garantie dafür wäre, in der politischen Diskussion zur Vernunft zurückzukehren. Erst nach erkennbarer Erholung der deutschen Wirtschaft nach dem Jahr 2022 sollte eine Überprüfung des Mindestlohns auf der Tagesordnung stehen. Bis dahin gilt es für Deutschland, mit einem Neustart aus der Krise herauszuwachsen – Schritt für Schritt, mit einem stets wachen Auge auf die Entwicklung am Arbeitsmarkt.

Dieser Beitrag erschien erstmals am 10.03.2021 im Capital Magazin.