EN

Impfstrategie
Lateinamerikanische Impf-Pioniere auf dem Prüfstand

Mexiko, Chile und Costa Rica im (Wahl-)Kampf gegen COVID19
Mexiko Kampagne Schutz
Ein Mitglied der Stadtverwaltung von Mexiko City klärt über den richtigen Schutz vor Corona auf. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Guillermo Diaz

Mexiko, Chile und Costa Rica begannen am 24. Dez. 2020 taggleich mit den ersten COVID19-Impfungen. Über die richtige Impfstrategie zur Reduzierung jüngst wieder steigender Todesfälle und Neuinfektionen wird intensiv diskutiert – eine besondere Rolle spielen hierbei demografische Aspekte aber auch Wahlkampf-Strategien und Öffentlichkeitskampagnen. Unsere Experten für Lateinamerika analysieren die Strategien der verschiedenen Länder.

Mexiko: Impfplan mit viel Unsicherheit behaftet

In Mexiko beginnt das neue Jahr mit überfüllten Krankenhäusern. Das Land weist eine der höchsten COVID19-Todesraten der Welt auf, die nur noch von größeren Ländern wie den USA, Brasilien und Indien übertroffen wird. Der ersehnte Impfstoff ist für die 125 Mio. Mexikaner kostenlos. Gegenwärtig zugelassen sind 48 Mio. Dosen von Pfizer-BioNTech und AstraZeneca – Impfstoffe weiterer Hersteller sind angefordert.

Begonnen wurde mit der Impfung des medizinischen Personals in öffentlichen Krankenhäusern. Im Januar wurde die Impfung auf über 80-jährige ausgeweitet; rund 81.300 Impfungen sind die Bilanz seit Impfstart. Die letzte Gruppe der unter 40-jährigen soll zwischen Juni 2021 und März 2022 immunisiert werden. Unter Analysten wird diskutiert, ob der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter – der aktivsten und exponiertesten Gruppe – Vorrang gegeben werden sollte bei der Impfung, um somit die gefährdeteren Älteren besser zu schützen.

Impfkampagne im Superwahljahr

Die größte Impfkampagne aller Zeiten in Mexiko erfolgt parallel zum Superwahljahr:  In 2021 werden von 94,8 Mio. Wahlberechtigten insgesamt 500 Abgeordnete des Kongresses, 15 Gouverneure, 30 Landesparlamente und 1.900 Stadt-/Gemeinderäte sowie Bürgermeister gewählt.

Kritik an der Impfstrategie der aktuellen Regierungspartei MORENA äußert die Opposition. Der Vorsitzende der Oppositionspartei PAN (Partido Acción Nacional), Marko Cortés, warnt vor der Monopolisierung des Impfstoffes, weil private Ärzte und Krankenhäuser bisher keine Zuteilungen erhalten haben. Seit 2019 ist der Einkauf von Medikamenten zentralisiert. Die Verteilung erfolgt lediglich durch ein staatliches Unternehmen – mit verehrenden Folgen: Medikamentenknappheit u.a. für HIV- und Krebspatienten sind bereits an der Tagesordnung.

Chile: Effizienter Impf-Pionier am Ende der Welt

Mit dem schlichten Slogan “Yo me vacuno” (Ich lasse mich impfen) und einem tagesaktuellen Impf-Tracker wirbt die chilenische Regierung online für ihren nationalen COVID19-Impfplan. Durch eine Kombination aus Information zu „Impf-Mythen und Wahrheiten“ und emotionaler Ansprache mit Videobotschaften von Testimonials soll die fast 19 Mio. starke Bevölkerung von der Impfung überzeugt werden. Das Heben von Mittel- und Zeigefinder zu einem „V“ in der Public Awareness-Kampagne symbolisiert hierbei den erhofften baldigen Sieg über das Virus durch die Impfung (Spanisch: Vacuna)

Chile – das Land, wo die Welt zu Ende ist – gehört zu den Impf-Pionieren in Lateinamerika: Bis zum 11. Januar wurden 10.699 Impfungen verabreicht – auf freiwilliger Basis und kostenfrei. Für das Personal im Gesundheitssektor sowie vulnerable Gruppen stehen im ersten Trimester 2021 mind. 1,3 Mio. Impfdosen zur Verfügung.

Im Verhältnis zur Bevölkerung hat sich Chile aufgrund frühzeitiger Planung und einer sehr diversifizierten Impfstoff-Beschaffungsstrategie die meisten Impfstoffe gesichert. Mit einem „Antrag auf vorläufige Genehmigung“ konnte – nur fünf Tage nach der FDA-Zulassung für die Pfizer-BioNTech Impfung in den USA – ein unbürokratischer Rekord-Start der Impfung im effizienten Andenstaat ermöglicht werden.

Neben den Impfungen setzt Chile am Flughafen auf eine vierbeinige Brigade von COVID19-Spürhunden. Die „Bio-Detektoren“ prüfen Mullkissen, die mit dem Schweiß der Flug-Passagiere besetzt sind. Mit dieser innovativen und kostengünstigen Methode können mit vier Hunden bis zu 250 Personen pro Stunde auf das Virus überprüft werden

Auch Chile befindet sich im Wahlkampf

2021 befindet sich Chile im permanenten Wahlkampfmodus: Im April wird eine verfassungsgebende Versammlung gewählt, welche einen neuen Verfassungsentwurf erarbeitet.  Über diesen soll dann im nächsten Jahr im Rahmen eines Referendums abgestimmt werden. Parallel dazu finden Kommunalwahlen statt, in denen landesweit Bürgermeister, Gouverneure und Stadträte bestimmt werden. Für den Oktober sind Präsidentschafts- und Parlamentswahlen geplant. Auch wenn Chile sich im Vergleich zu den meisten anderen lateinamerikanischen Staaten gut durch die COVID19-Krise manövriert, sowohl, was die Gesundheit als auch die wirtschaftliche Lage anbelangt, bleibt der Wahlkampf – der aufgrund der Pandemie hauptsächlich digital stattfindet – eine große Herausforderung. Mit Blick auf die gut organisierte Impfstrategie kann jedoch gehofft werden, dass sich die Situation Ende des zweiten Quartals entspannt und ein mehr an der „Normalität“ orientierter Wahlkampf möglich ist.

Costa Rica: Digitalisierung als Chance

Costa Rica ist wieder der Vorreiter in Zentralamerika: seit Weihnachten werden dort COVID19-Impfungen appliziert. Bis dato wurden medizinischem Personal und älteren Menschen 10.225 Dosen verabreicht. Hauptlieferant des Impfstoffes ist Pfizer-BioNTech, aber Costa Rica hat in den frühen Phasen der Impfstoffentwicklung auch bei AstraZeneca eingekauft. Außerdem wird das Land weitere Dosen über die COVAX-Facility der WHO erhalten. Costa Rica kann 60% seiner Bevölkerung (3 Mio. Menschen) voraussichtlich bis Frühjahr 2022 impfen. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren werden nicht geimpft.

In Costa Rica besteht eine vorbildliche Impfkultur, aber eben auch die entsprechende Gesundheitsversorgung. Jeder Costa-Ricaner hat eine digitale Krankenakte, die über ein mobiles Endgerät eingesehen werden kann. Somit können Ärzte und Patienten sich über anstehende Arztbesuche, chirurgische Eingriffe oder verabreichte Impfungen informieren.

In das solide, flächendeckende, öffentliche Gesundheitssystem investiert Costa Rica jährlich fast 8% des BIP und sichert somit 95% der Bevölkerung einen effizienten Zugang zur medizinischen Versorgung, sowohl in den 1.100 lokalen Kliniken, als auch in den großen Krankenhäusern.

Trotz aller Kritik, die der costa-ricanischen Regierung in den letzten Monaten aufgrund politischer Fehlentscheidungen zuteilwurde, ist anzuerkennen, dass ein über Jahre hinweg ausgebautes digitalisiertes Gesundheitssystem, in das die Bevölkerung Vertrauen hat, unabhängig von jeglicher politischer Couleur effizient funktioniert – auch in Zeiten einer Pandemie.

Elisabeth Maigler und Jörg Dehnert leiten die Büros der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit in Honduras (zuständig für Zentralamerika) und Lima (zuständig für den Andenstaaten. Siegfried Herzog leitet das Projekt Mexiko und das Regionalbüro Lateinamerika in Mexiko-Stadt. Maria-Jose Salcedo ist Koordinatorin des Projekts Mexiko. Niome Hüneke-Brown ist Regionalassistentin im Regionalbüro Lateinamerika in Mexiko-Stadt.