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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Politischer Diskurs
Zurück zur Zivilisation

Die Verrohung der deutschen Debattenkultur
Paqué
© Thomas Imo/photothek.net

Die politischen Umgangsformen verrohen. In dieser Woche hat die Linke dafür neues Anschauungsmaterial geliefert. Das darf so nicht weitergehen. So sieht es unser Vorstandsvorsitzender, Professor Karl-Heinz Paqué.

„Wir erschießen sie nicht, wir setzen sie nur für nützliche Arbeit ein“. Dies war die mit Applaus bedachte Reaktion des Linken-Parteivorstands Bernd Riexinger auf die Forderung einer Parteifreundin, die erläuterte, wie der Energiebedarf mit alternativen Energien nach der Revolution aussähe, nachdem man die reichsten ein Prozent der Bevölkerung erschossen hätte. Dies alles bei einer öffentlichen Veranstaltung der Linken, vor einem Podium, auf dem alle nur zu diesem Schauspiel milde lächelten. Kein Zwischenruf, kein Widerspruch, kein Kopfschütteln im Saal (jedenfalls soweit auf dem Video erkennbar).

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Da reibt man sich die Augen. Offenbar war der Hass auf die Reichen im Saal so tief verwurzelt und weit verbreitet, dass die Parteifreundin mit ihrer Formulierung mühelos „durchkam“ und der anschließende Vorschlag Riexingers, der auf Zwangsarbeit für Reiche hinauslief, zynische Zustimmung erhielt. Und dies bei einer Partei, die keine Gelegenheit auslässt, die politische Konkurrenz der demokratischen Mitte bei Fehlgriffen der Formulierung aufs Schärfste zu geißeln. Hätte gar die AfD von Erschießen und Zwangsarbeit gesprochen, was wäre da bei der Linken los gewesen?

Die anschließenden Versuche der Qualifizierung durch andere Parteifreunde und der Distanzierung von Bodo Ramelow, dessen Wahl am Tag darauf anstand, wirkten da allzu opportunistisch und schal. Nein, es gibt schon eine aggressive Grundhaltung bei der Linken, die ähnliche verbale Ergebnisse hervorbringt wie die ständige Hetze der AfD. Insofern hat die sogenannte „Hufeisentheorie“, die strukturelle Ähnlichkeiten der extremen Linken und der extremen Rechten inhaltlich feststellt, auch stilistisch ihre Berechtigung. Das ist beängstigend: Die Zustände der Weimarer Republik lassen grüßen.

Schlimmer noch ist, dass der Stil der Extreme natürlich Rückwirkungen hat auf den Stil der Mitte. Wer ständig maßlos attackiert und beschimpft wird, der schlägt dann irgendwann auch hart zurück - sonst gilt er oder sie als Weichei, das nicht ernst zu nehmen ist. Und schon landet man in einer allgemeinen Verrohung des Stils, der demokratische Umgangsformen und Werte mit Füßen tritt. Im Netz ist dies alles zu besichtigen - bis zu den innerparteilichen Diskussionen auch der politischen Mitte, die zum Teil diffamierend und gnadenlos in der Öffentlichkeit ausgetragen werden.

Es ist höchste Zeit, dem entgegenzutreten - sonst geht unsere Demokratie im Geschrei von Beschimpfungen, Besserwisserei und Moralisieren zugrunde. Oder zumindest wird sie zivilisatorisch ausgehöhlt, denn sie braucht den offenen kontroversen, aber stilvollen Diskurs wie die Luft zum Atmen. Ein erster Schritt dazu ist es, jeder Entgleisung wie jüngst der Linken klar, scharf und öffentlich entgegenzutreten. Aber das wird nicht reichen: Wir brauchen einen neuen Anlauf zur Bildung und Streitkultur in der Demokratie. Eine Mammutaufgabe, auch für uns, die politischen Stiftungen.