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Liberale Bildung
Zum Wissenschaftsjahr 2024: Freiheit - Liberale Bildungsdenker aus zwei Jahrhunderten

Schülerinnen beim lernen
© Getty Images sabri bakış

Im Wissenschaftsjahr 2024 rückt das Thema Freiheit in den Fokus – und mit ihm die bedeutenden liberalen Bildungsdenker der letzten zwei Jahrhunderte. Bildung und Liberalismus sind seit jeher eng miteinander verflochten, sei es in der antiken Diskussion über Rhetorik und Machtverteilung oder in den Bildungsreformen des 19. und 20. Jahrhunderts. Diese Online-Reihe beleuchtet die inspirierenden Ideen und mutigen Reformen von Persönlichkeiten wie Wilhelm von Humboldt, Helene Lange und Ralf Dahrendorf.

Bildung und Liberalismus sind seit über zweihundert Jahren eng verflochten. Beide Begriffe wurden nicht nur in der Wissenschaft, sondern vor allem auch in Politik und pädagogischer Praxis immer wieder aufeinander bezogen. Bereits in der Antike waren Diskussionen über Bildung immer auch Diskussionen über Politik und Machtverteilung – kein Wunder, war doch gerade die Rhetorik Bildungsziel und politisches Instrument gleichermaßen. Auch die paideia, mit der eigentlich vor allem die Kindererziehung gemeint war, wurde spätestens während der sogenannten „Zweiten Sophistik“ des römischen Kaiserreichs zum gesellschaftspolitischen Argument. Die Frage, welche gesellschaftlichen Schichten Zugriff auf Bildung erhalten sollten, war gleichbedeutend mit der Frage, wie das Gesellschaftssystem als Ganzes gedacht wurde. Die zentrale Rolle der Kirche in der Wissensbewahrung und –vermittlung der folgenden Jahrhunderte darf dabei nicht unerwähnt bleiben. Kloster-, Dom- und Lateinschulen hatten seit dem Frühmittelalter vorrangig diese Rolle im christlich geprägten Europa übernommen. Mit der Gründung der ersten Universitäten in Bologna und Paris (und ab dem 14. Jahrhundert dann auch auf deutschsprachigen Gebiet), wurde die Bildungslandschaft entscheidend verbreitert. Durch Reformation, Aufklärung und Säkularisierung wurden allerdings die Zugänge und Zuständigkeiten in der Bildung nachhaltig hinterfragt. Mit der Aussage, dass allein Tugend der wahre Adel sei (virtus vera nobilitas), wurde humanistische Erziehung gezielt gegen aristokratische Privilegien in Position gebracht.

Es ist daher wenig überraschend, dass auch der Liberalismus ab dem Moment, in dem er die Bühne politischer und philosophischer Auseinandersetzungen betritt, sich in besonderem Maße der Bildungs- und Wissenschaftspolitik widmet. In der politischen Ideengeschichte werden die Anfänge des Liberalismus oft auf das 17. Jahrhundert und Denker wie Thomas Hobbes und John Locke zurückgeführt. Politische Kämpfe – im Kontext der „Glorreichen Revolution“ von 1688, dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und natürlich der Französischen Revolution von 1789 – prägten den Begriff ebenso, wie die mit ihnen verwobenen philosophischen Deutungskämpfe. Die Frage nach der „besten Bildung“ spielte dabei immer eine zentrale Rolle. Es ging jedoch nicht nur darum, die Produktion von Wissen als Voraussetzung für (frühbürgerliche) Wohlstandserzeugung zu benennen, sondern in letzter Instanz um politische Machtfragen. Dies spiegelt sich auch in Wilhelm von Humboldts bekanntem Satz, dass Bildung „die Anregung aller Kräfte des Menschen [ist], damit diese sich über die Aneignung der Welt entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität und Persönlichkeit führen.

Im Preußen des frühen 19. Jahrhunderts war es natürlich immer noch eine Selbstverständlichkeit, dass Schulbildung dem „Stande nach“ dazu führen sollte, einen aufgeklärten Menschen und Bürger hervorzubringen. Und dennoch steckt hier bereits die zentrale Forderung liberaler Bildungspolitik, die in den folgenden zwei Jahrhunderten klar herausgearbeitet werden würde: Bildung als Aufstiegsversprechen und als Schlüssel zu politischer und gesellschaftlicher Teilhabe. Spätestens mit dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Ralf Dahrendorf, gilt daher: Bildung ist Bürgerrecht.

Die vorliegende Online-Reihe erhebt selbstverständlich keinen Anspruch darauf, die Geschichte liberaler Bildungsphilosophie umfassend aufzuarbeiten. Vielmehr werden einzelne Bildungsdenkerinnen und Bildungsdenker aus dem deutschsprachigen Kontext herangezogen, um den Facettenreichtum liberaler Bildungsphilosophie aufzuzeigen und dabei Inspirationen für die Bildungspolitik der Gegenwart zu liefern. Die Auswahl der Denkerinnen und Denker ist weder repräsentativ noch zufällig: Vielmehr geht es darum, im Spiegel der Vergangenheit zentrale Aspekte liberaler Bildungsideen herauszuarbeiten. „Bildungspolitik ist eine Mutfrage“, schrieb die liberale Bildungspolitikerin Hildegard Hamm-Brücher 1964 – und zweihundert Jahre erfolgreicher Bildungsarbeit sollten Liberalen in der Tat Mut machen, die eigene Bildungspolitik selbstbewusst zu vertreten.

Die historische Einordnung soll daher mit Fragestellungen der Gegenwart verknüpft werden. Humboldts Bildungsreform zeigt beispielhaft, dass mutige Änderungen gerade in Phasen der Krise zur richtigen Zeit kommen. Dabei wird von ihm auf die Rolle der Bildungspolitik für die Gesellschaft und das Zusammenwirken unterschiedlicher Reformpfeiler – insbesondere im Bereich der Verwaltung – hingewiesen. Adolph Diesterweg und der liberale Einsatz für die Lernmittelfreiheit unterstreichen das freiheitliche Denken des Vormärz und der Revolution von 1848/49 – Bildungschancen dürfen nicht von den Vermögensverhältnissen der Familie abhängig sein. Es wird gezeigt, dass Liberale auch gegen Widerstände für eine Bildungsreform gekämpft haben. Vor allem die materiellen Voraussetzungen für den Bildungserwerb stehen dabei im Vordergrund. Der Einsatz für “Bildung als Bürgerrecht” umfasst die Bemühungen von Liberalen im späten 19./20. Jahrhundert, Bildung als Recht für alle zu etablieren. Helene Lange, Gertrud Bäumer und Ralf Dahrendorf stehen stellvertretend für diesen Einsatz. Dabei wird deutlich, dass gerade auch die berufliche Bildung immer einen gleichberechtigen Platz bei den Liberalen hatte.

Bildung ist in Deutschland und Europa die wichtigste Ressource des 21. Jahrhunderts und die Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum. Vor allem aber ist Bildung die Grundlage einer freien Bürgergesellschaft mit mündigen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern – und die Grundlage für individuelle Verwirklichung und Chancenmehrung. In dieser Online-Reihe werden schlaglichtartig einige zentrale Momente in der deutschen Bildungsgeschichte angeschaut und die Rolle von freiheitlichen Bildungsvordenkerinnen und -vordenkern herausgestellt.  Im Vordergrund steht dabei immer die Frage: Was lässt sich daraus für die Herausforderungen der Gegenwart lernen? Vom Umgang mit existenziellen Krisen über die revolutionäre Forderung nach Lehrmittelfreiheit bis hin zum Kampf um die Bürgerrechte gilt: Die Bildung der Zukunft steht auf den Schultern von über 200 Jahren liberaler Bildungspolitik.

Das Wissenschaftsjahr 2024 bietet darüber hinaus mit dem Motto "Freiheit" den perfekten Rahmen für die hier veröffentlichte Reihe liberaler Bildungsdenkerinnen und -denker, die mit ihren Überzeugungen und ihrem politischen Handeln die Bildungslandschaft Deutschlands nachhaltig verändert haben; im Sinne der Mehrung von Demokratie, Chancengerechtigkeit und geistiger Freiheit.

Ralf Dahrendorf: “Bildung ist Bürgerrecht“ (1929-2009)

Ralf Dahrendorf, 1980.

In diesem Wissenschaftsjahr, das unter dem Motto „Freiheit“ steht, jährt sich der Todestag von Ralf Dahrendorf zum 15. Mal. Seine politischen Ideen und Überzeugungen haben die Bildungspolitischen Debatten in der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich geprägt.

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