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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

35 Jahre DDR-Volkskammerwahl
Keine Experimente!

Vor 35 Jahren gab es die ersten freien Wahlen zur DDR-Volkskammer nach dem Mauerfall. Sie wurden zu einem Triumph des Willens zur Deutschen Einheit.
Am 18. März 1990 findet die erste freie Volkskammerwahl statt. S

Am 18. März 1990 fand die erste freie Volkskammerwahl statt.

© picture alliance / Ulrich Baumgarten | Ulrich Baumgarten

Am Sonntag, den 18. März 1990, fanden freie Wahlen zur DDR-Volkskammer statt – gerade mal vier Monate und neun Tage nach dem Fall der Berliner Mauer vom 9. November 1989. Der Grund zu dieser Eile war einfach und zwingend: Die Bewohner der DDR hatten ihre Freiheit zurück, und dies hieß, dass sie jederzeit mit den Füßen abstimmen konnten, ob sie im Osten Deutschlands bleiben oder in den Westen abwandern wollten – bei dort sicheren politischen und wirtschaftlichen Aussichten. Schon hatte die Abwanderung bedrohlich zugenommen.

Deshalb der frühe Wahltermin. Es bedurfte einer klaren demokratischen Entscheidung, welchen Weg die DDR gehen sollte. Der Wahlkampf der Parteien, die antraten, lief schnell auf die simple Alternative aus: schnellstmögliche (Wieder-)Vereinigung Deutschlands versus langsamer Prozess des Zusammenwachsens – bis hin zum Beibehalt zweier deutscher Staaten. Für Schnelligkeit standen die „Allianz für Deutschland“, ein Bündnis aus DDR-CDU, der Deutschen Sozialen Union und des Demokratischem Aufbruch, sowie der Bund Freier Demokraten, bestehend aus der Liberaldemokratischen Partei (LDP), den Freien Demokraten (FDP) sowie der Deutschen Forumspartei (DFP). Für einen mittleren Kurs stand die Sozialdemokratische Partei der DDR. Eher einheitsskeptisch gaben sich das Bündnis 90, ein Zusammenschluss von Bürgerrechtsgruppen, die den Grünen nahestanden, sowie die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), die dezidiert postkommunistische SED-Nachfolgepartei.

Das Ergebnis: Bei einer Rekord-Wahlbeteiligung von 93,4 Prozent gab es ein klares Votum für die schnelle Deutsche Einheit – und indirekt für das Gespann Helmut Kohl (CDU) und Hans-Dietrich Genscher (FDP), die sich als Kanzler bzw. Außenminister der Bundesrepublik massiv im Wahlkampf engagiert hatten. Die Allianz für Deutschland erhielt 48 Prozent, der Bund Freier Demokraten 5,3 Prozent, die Sozialdemokraten 21,9 Prozent, die PDS 16,4 Prozent und das Bündnis 90 gerade mal 2,9 Prozent. Damit war der Weg frei für die schnellstmögliche Vorbereitung der Deutschen Einheit, die dann am 3. Oktober 1990 auch zustande kam.

Das Ergebnis war damals durchaus eine Sensation, so jedenfalls die Erinnerung des Verfassers dieser Zeilen. Weithin hatten Beobachter mit einem besseren Abschneiden von SPD und Bündnis 90 gerechnet. Für viele Linksintellektuelle, die vor allem auf die Bürgerrechtsbewegung gesetzt hatten, war das Ergebnis eine bittere Enttäuschung. Man hatte sich ausgemalt, dass die Bevölkerung der DDR Ihr Schicksal ohne starken Einfluss aus dem Westen selbst in die Hand nehmen wollte. Dies entsprach aber überhaupt nicht der Stimmungslage der großen Mehrheit der Menschen, die keinerlei Risiken eingehen wollten. Sie folgten gewissermaßen jenem Slogan, den Konrad Adenauer bei der Bundestagswahl 1957 im Westen verwendet hatte: „Keine Experimente!“ Sie misstrauten den Fähigkeiten der Bürgerrechtler, die DDR wirklich politisch professionell führen zu können.

Entscheidend war dabei sicherlich auch die Aussicht auf die schnelle Einführung der D-Mark und der sozialen Marktwirtschaft, an denen große Zukunftshoffnungen hingen. Dafür hatten Linksintellektuelle kein tieferes Verständnis. Legendär war am Wahlabend die arrogante Geste von Otto Schily, bis November 1989 Mitglied der Grünen und ab dann Sozialdemokrat, später in der rot-grünen Bundesregierung Innenminister, der eine Banane in die Kamera hielt – als Symbol für die Konsumwünsche der Ostdeutschen. Tatsächlich hat bis heute die politische Linke – mit Ausnahme der damaligen PDS als genuine Regionalpartei – im Osten Deutschlands große Schwierigkeiten, Sympathien und gute Wahlergebnisse zu erzielen. Dies gilt vor allem für Sachsen und Thüringen, die historisch im Kaiserreich und in der Weimarer Republik Hochburgen der Sozialdemokratie waren, aber nie mehr auch nur annähernd zu diesem Status zurückfanden. Sie wurden zunächst Hochburgen der CDU und sind inzwischen auch Hochburgen der AfD.

Wie sich überhaupt Grundlegendes verändert hat: Die Polarisierung des politischen Spektrums, die wir in vielen wohlhabenden Nationen und Regionen der Welt beobachten, auch im Westen Deutschlands, ist im Osten noch stärker ausgeprägt. Dies ist eines der großen politischen Rätsel unserer Zeit, auf die wir Antworten suchen. Dies darf aber nicht dazu führen, dass wir den Erfolg der deutschen Demokratie nach dem Mauerfall vergessen. Er war und bleibt ein Glücksfall der Geschichte.

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Florian von Hennet
Florian von Hennet
Leiter Kommunikation, Pressesprecher
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