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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

60 Jahre Mauerbau
Flucht in die Freiheit

Vor 60 Jahren wurde die Berliner Mauer gebaut. Danach kam es zu spektakulären Versuchen, die Grenze zu überwinden. Manche gelangen, viele endeten blutig.
PeterLeibniz Sprung über die Mauer 1961
© picture alliance / Winfried Rothermel | Winfried Rothermel.jpg

Die Bilder sind bis heute bewegend. Kaum war mit dem Mauerbau am 13. August 1961 begonnen worden, kam es zu Fluchtversuchen. Bereits zwei Tage danach hielt der Fotojournalist Peter Leibing in einem später berühmten Bild den Sprung eines bewaffneten Grenzsoldaten fest, der die Gunst eines Augenblicks nutzte, um über den Stacheldraht zu springen und nach Westberlin zu entkommen, was ihm gelang. An der Bernauer Straße, wo damals eine Häuserfront mit Fenstern nach Westberlin verblieb, sprangen Menschen in aufgehaltene Tücher in die Freiheit. Auch dies ist auf Filmen und Fotos bestens belegt.

Schnell noch raus – das war für einige Mutige im Chaos der Bauarbeiten an der Mauer Mitte August 1961 noch möglich. Aber nicht mehr lange, denn die Hermetik der Grenzschließung wurde schnell perfekter. Es bedurfte deshalb immer aufwendigerer Fluchtpläne, um noch eine letzte Chance zu nutzen. Und die Risiken nahmen steil zu. Und mit ihnen der Aufwand: finanziell, physisch und psychisch.

Einiges davon ist verfilmt worden. Spektakulär natürlich der Tunnelbau. Erst vor wenigen Wochen zeigte der Sender ARTE eine preisgekrönte Dokumentation aus dem Jahr 1999, Titel: „Der Tunnel“. Es ging dabei um ein West-Ost-Grabungsprojekt, das im Jahr 1962 nach mehrmonatigen Anstrengungen tatsächlich zum Erfolg führte und 29 Menschen die Flucht ermöglichte. Der Film, spannend wie ein Thriller, steht stellvertretend für mehrere derartige Vorhaben, die mit wechselndem Erfolg in den Jahren 1962 bis 1964 durchgeführt wurden, bis schließlich die Bewachung der Grenze sich so perfektionierte, dass kaum noch weitere Versuche zustande kamen.

Es gab natürlich an Fluchtversuchen noch vieles mehr: Schleusungen mit vorbereiteten Fahrzeugen und ausländischen Pässen; physische Durchbrüche mit schwerem mobilem Gerät bis hin zu einer Reichsbahn-Lokomotive; unvorhergesehene Manöver von Booten wie im grotesken Fall des Ausflugsdampfers „Friedrich Wolf“ der Weißen Flotte, der sich – gelinde gesagt – nicht an den Fahrplan hielt. Über all dies liegen spätere zusammenfassende Berichte vor, spannend zu lesen, manchmal sogar mit ein wenig sarkastischem Humor wie im 2019 erschienenen Buch des Historikers Thomas Flemming „Die Berliner Mauer. Geschichte eines politischen Bauwerks“, das eine Fülle von beispielen und knappen Schilderungen enthält. Es gab natürlich auch Desertionen von Grenzsoldaten. Und es gab ungeheuer gefährliche grenzüberschreitende Ballonflüge zwischen Ost und West, wie der Film „Ballon“, der 2018 in den Kinos lief, eindrucksvoll zeigt.

Gemeinsam ist diesen Geschichten von Fluchtversuchen eines: Sie machen deutlich, welche gewaltigen Risiken einzelne Menschen bereit waren einzugehen, nur um in die Freiheit zu kommen. Viele sind dabei gescheitert, verhaftet worden und im Gefängnis gelandet. Andere wurden erschossen oder sind wie Peter Fechter an der Mauer verblutet – ein Vorfall, der sich im August 1962 zutrug und zu massiver Empörung führte, weil die DDR-Grenzsoldaten dies zuließen und keine eilige Erste Hilfe leisteten, ein Tiefstand der Inhumanität eines ohnehin herzlosen Regimes.

Selbst bei jenen vom Schicksal Begünstigten, denen die Flucht gelang, glückte nicht immer das anschließende Leben im Westen, auch wenn dort in der Regel bei der damalig herrschenden Vollbeschäftigung ein guter Job wartete. Ähnlich wie bei den Auswanderern von Europa nach Amerika im 19. Jahrhundert gehörte das gelegentliche berufliche Scheitern dazu, manchmal im Einzelfall auch bedingt durch die Anspannung jener Jahre der Fluchtvorbereitung, die viel Kraft kostete und das Familienleben in ständige Spannung und Aufruhr und brachte. Genau darauf setzten ja – kühl kalkulierend – die Machthaber der DDR. Die meisten „normalen“ Menschen würden nicht nur vor den physischen und psychischen, sondern auch beruflichen und privaten Risiken zurückschrecken und deshalb keine Flucht wagen. So war es auch.

Umso größer die Hochachtung vor jenen, die es wagten. Sie wurden entweder vom Leben belohnt oder durch den Tod oder wie auch immer hart bestraft. Aber in jedem Fall haben sie die Flucht versucht und damit der Freiheit ein Denkmal gesetzt. Das verdient eine ehrende Erinnerung, voller Demut und Respekt.

Freiheit der Füße

Paqué

Vor 60 Jahren wurde die Berliner Mauer gebaut. 12 Jahre nach Gründung der DDR beendete sie die Abwanderung. Ein Offenbarungseid der totalitären Ideologie. In Gedenken an die Maueropfer, die mutig auf ihrer „Freiheit der Füße” als Menschenrecht bestanden - sie sind und bleiben Helden der Freiheit.

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