Kolumbien
Kolumbien folgt dem Trend in Lateinamerika
Im zweitbevölkerungsreichsten Land Südamerikas haben sich die 39 Millionen Wähler überraschend klar und deutlich für den Kandidaten der Linken entschieden. Überraschend, weil der unterlegene Rechtspopulist Hernández in den letzten Wochen kontinuierlich aufgeholt hatte und die letzten Umfragen auf ein Kopf-an-Kopf Rennen hatten schließen lassen. Überraschend auch, weil mit Petro zum ersten Mal in der Geschichte Kolumbiens ein Sozialist an der Spitze des Staates steht. Der nun feststehende Wahlsieger Petro hatte daher schon vorbeugend propagieren lassen, dass nur bei seinem Sieg die Wahl demokratisch legitimiert sei.
Damit setzt sich der „Linkstrend“ in Südamerika fort. Wie schon in Bolivien, Peru und Chile konnten sich die Kandidaten der politischen Linken in den jeweiligen Stichwahlen durchsetzen. Überhaupt weisen die Wahlen in den vier Andenländern einige Gemeinsamkeiten auf. In allen Ländern gibt es eine hohe politische und gesellschaftliche Polarisierung, in allen Ländern partizipierte die Mittelschicht nicht am ökonomischen Aufschwung und litt am stärksten unter den Folgen der Pandemie. Als Folge dieser Entwicklung setzten sich im ersten Wahlgang die Kandidaten beider politischen Extreme durch. Die Bürger wählten im entscheidenden Wahlgang jeweils nur zwischen extrem linken oder extrem rechten Kandidaten.
Höchste Wahlbeteiligung bei Präsidentschaftswahlen in Kolumbien
In allen Ländern sahen die Wähler zum einen anscheinend den notwendigen Wechsel und die notwendige Reformbereitschaft eher bei den linken Kandidaten, zum anderen wollten sie keinen Rückfall in rechtsautoritäre Strukturen, wie sie in Lateinamerika lange üblich waren. Auch scheint es den linken Kandidaten gelungen zu sein, für den entscheidenden Wahlgang weitere Wähler – auch aus der eher sozialistischen Ideen ablehnend gegenüberstehenden Mittelschicht- zu mobilisieren, und sorgte damit zudem für die höchste Wahlbeteiligung bei Kolumbiens Präsidentschaftswahlen. In Ländern, wo es dem bürgerlich-konservativen Lager jedoch gelang, einen gemäßigten und gemeinsamen Kandidaten zu nominieren, wie mit Lacalle Pou in Uruguay und Lasso in Ecuador, waren die sozialistischen Kandidaten klar unterlegen.
Gustavo Petro übernimmt Kolumbien in einer wirtschaftlich stabilen Situation. Zwar litt auch das größte Andenland stark unter der COVID-Pandemie, doch erholte es sich vergleichsweise schnell und deutlich. Gemäß einer OECD-Prognose soll es für 2022 ein Wirtschaftswachstum von 6,1 % geben und positioniert Kolumbien damit auf den Spitzenplatz. Dennoch steht der Ex-Guerillero vor großen Herausforderungen. Die soziale Ungleichheit ist in Kolumbien wie in allen südamerikanischen Ländern sehr hoch, die informelle Wirtschaft liegt derzeit bei 60 % und ca. 40 % der Kolumbianer sollen laut OECD in Armut leben. Die Chancen für die Bewältigung dieser Herausforderungen sind gut.
Kolumbien profitiert laut Handelsblatt von Krieg in der Ukraine vor allem durch seine Rohöl- und Kohleausfuhr, die die Exporteinnahmen Kolumbien in diesem Jahr um 10 Mrd US-Dollar im Vergleich zum Vorjahr ansteigen lassen. Es bleibt daher abzuwarten, ob der neugewählte Präsident mit der Umstellung auf regenerative Energien eines seiner zentralen Wahlkampfversprechen vor diesem Hintergrund wirklich umsetzen wird.
„Der Hass auf den Rechtsextremismus ist größer als die Angst vor dem Sozialismus“
Entscheidend für die Realisierung dieser Aufgabe ist allerdings, dass es dem neugewählten Präsidenten gelingt, die von seinen politischen Gegnern im Wahlkampf stark propagierte Angst, Petro würde Kolumbien in ein zweites Venezuela umwandeln, zu widerlegen. Der ehemalige Bürgermeister hatte diesen Vorwürfen schon versucht, mit dem Hinweis zu begegnen, er sei ein Befürworter der „sozialen Marktwirtschaft“ im Sinne Deutschlands.
Als weitere Herausforderungen sind die innere Sicherheit, der Schutz vor extremistischer Gewalt von links wie rechts und die Friedensgespräche mit der ELN Guerilla zu nennen.
Als positive Aspekte für die kolumbianische Demokratie sind sicherlich zu nennen, dass es sich um einen friedlichen und demokratischen Machtwechsel handelt, der Wahlausgang nicht angezweifelt-, sondern akzeptiert wird und der Rechtspopulist Hernández wohl genauso schnell von der politischen Bühne verschwinden wird, wie er aufgetaucht ist. Dies gibt dem bürgerlich-konservativem Lage die Möglichkeit, sich innerhalb der nächsten vier Jahre zu erneuern. Der Verlauf und die Ausgänge der Präsidentschaftswahlen in Südamerika haben eine klare Botschaft: „Der Hass auf den Rechtsextremismus ist größer als die Angst vor dem Sozialismus“.
Jörg Dehnert, Projektleiter Andenländer