Medienfreiheit
Belsat TV: Informationsquelle für ein demokratisches Belarus
Seit 26 Jahren wird die Republik Belarus von Lukaschenka beherrscht. Seit 13 Jahren engagieren sich Journalistinnen und Journalisten aus Belarus und Polen für die Informationsfreiheit östlich der EU-Außengrenze durch das Betreiben des auf Belarusisch von Warschau aus sendenden Belsat-TV. Die polnische Journalistin Agnieszka Romaszewska-Guzy steht von Beginn an dieser medialen Kampfansage an die Diktatur als Mitgründerin und Direktorin vor. Im Interview mit Peter Cichon erklärt sie, welche Rolle unabhängige Medien im Kampf für ein freies Belarus spielen.
1. Welche Rolle im Kampf für ein demokratisches, freies Belarus spielen unabhängige Medienberichte (Quellen) und wie viele Menschen werden ihrer Einschätzung nach in Belarus durch unabhängige Medien informiert?
Ich bin davon überzeugt, dass die Verbreitung unabhängiger Informationen und die Bereitstellung einer Diskussionsplattform für die Belarusen, die dem ungestörten Austausch über die Situation in ihrem Land, ihre Sehnsüchte, ihre Geschichte und Traditionen dient, für den Aufbau von Zivilgesellschaft unerlässlich sind. Unabhängige Medien sind wie der Blutkreislauf im Organismus einer freien Gesellschaft, und deshalb werden sie von der Diktatur so erbittert bekämpft. Dies wird durch die Reichweite aller Verbreitungsplattformen, auf denen wir inzwischen präsent sind, bestätigt. Im November 2020 lag die Reichweite unseres YouTube-Hauptkanals bei 1,9 Millionen Rezipienten, der Instagram-Account erreichte 1,3 Millionen. Außerdem schätzen wir aufgrund von früheren Umfragen, dass das klassische TV-Publikum, das Belsat TV kontinuierlich vor dem Fernsehgerät folgt, bei etwa 300.000 Menschen liegt. Das sind riesige Zahlen, wenn man berücksichtigt, dass sich die gesamte Bevölkerung von Belarus aus ca. 7,5 Millionen erwachsener Einwohner zusammensetzt. Ich möchte noch hinzufügen, dass es hier um die Reichweite und Zuschauerzahlen nur eines Mediums geht – von Belsat TV. Und es existieren noch weitere wie Nasha Niva, TUT.by etc. .
Und bedenken Sie bitte noch etwas: In keinem Staat mit einigermaßen „normalen“ gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen hätte ein Informations- bzw. journalistisches Medium jemals ein solches Publikum erreichen können.
2. Wie gefährlich ist es derzeit für die Belsat-TV-Teams in Belarus zu arbeiten?
Ja, es ist eine hochriskante Arbeit. Fast jedes Mal, wenn ein Protest stattfindet, werden unsere Journalisten festgenommen, und man weiß nie, ob sie mit einer Geldstrafe bestraft oder für 10 bzw. 15 Tage in Haft genommen werden. Auch derzeit befinden sich Journalisten von Belsat TV und von TUT.by in Untersuchungshaft und warten auf ihr Strafverfahren. Ihnen wird angebliche "Anstiftung" zu illegalen Massenevents vorgeworfen. Aber das Prinzip unserer Arbeit besteht schon immer in ihrer Nützlichkeit für den Zuschauerkreis und, hinsichtlich der Teams, in der Freiwilligkeit.
3. Wie kann die Arbeit unabhängiger Medien in Belarus durch westliche Politik, NGOs und Gesellschaften unterstützt werden?
Die westliche Unterstützung ist für den unabhängigen Journalismus in Belarus sehr wichtig. Dieser sorgt schließlich sowohl für die Bekanntheit der Geschehnisse im Land, als auch für das Publikmachen der Unterdrückungsfälle und für die Hilfe für die Unterdrückten. Belarus liegt nicht wirklich weit weg von Westeuropa, und doch kann man den Eindruck haben, dass es auf einem anderen Kontinent ist. Ich behaupte nichts Originelles, wenn ich sage, dass die freien Medien auch finanzielle Unterstützung benötigen. Computer, Kameras, mobile Geräte kosten viel Geld - vor allem dann, wenn sie während der Arbeitseinsätze fortlaufend konfisziert werden. Die Medienschaffenden und ihre Familien müssen auch von etwas leben können. Zeitweise lohnt es auch, die Mitarbeiter für eine Weile gehen zu lassen, damit sie eine Pause bekommen, andere Luft atmen und Neues kennenlernen. Deshalb werden von unseren Journalisten*Innen professionelle Auslandspraktika fern von den Gefahren des belarusischen Alltags sehr hoch geschätzt. Jede Art von Unterstützung ist aktuell von entscheidender Bedeutung.
4. Wie schätzen Sie die Chance ein, Lukaschenka abzulösen und ein demokratisches Belarus zu schaffen, und welche Rolle spielt Russland dabei?
Ich bin davon überzeugt, dass Lukaschenka weg sein wird und dass dieser Zeitpunkt immer näher rückt. Es gibt kein Zurück zu dem System, das er in 26 Jahren aufgebaut hat. Die Menschen haben sich verändert. Die Gesellschaft ist gereift. Belarus will ein Belarus sein und keine Sowjetrepublik mehr, die einst den Zug der Geschichte verpasst hat. Gäbe es die Unterstützung aus dem Osten nicht, wäre dieses System wahrscheinlich schon längst in die Brüche gegangen. Natürlich ist und bleibt der Einfluss Putins auf Belarus und seine Politik enorm groß, schon alleine wegen der engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern, aber wir dürfen auch nicht übersehen, dass die Entwicklungen um die Präsidentschaftswahl 2020 das Image Russlands und das Bild seines Präsidenten in Belarus sehr schwer beschädigt haben.
5. Zum Schluss noch eine etwas persönliche Frage: Gibt es etwas, das Ihnen Hoffnung macht oder das Sie derzeit besonders motiviert, weiter für Belsat TV zu arbeiten?
Natürlich gibt es das. Ich nenne es meine "Wunder"-Erfahrung. Es ist eigentlich nicht so metaphysisch, wie es klingt, aber für mich ist es eine reale und sehr wichtige Motivationsquelle. Und ich denke, dass diese Erfahrung viele Polen und Deutsche miteinander teilen, die sich an die schnelle System-Transformation von 1989-1990 erinnern. 1987, als ich mit einem Stipendium in die USA ging, bin ich abgereist, weil ich annahm, dass das damalige System unveränderlich bleibt, und außerdem fand ich bis dahin, dass man nicht mal wissen konnte, ob Polen zu meinen Lebzeiten die Freiheit wiedererlangen würde. Aufmunternd wirkte auf mich alleine die Erinnerung an die Generationen meiner Landsleute, die für das freie Polen gekämpft und es nicht einmal erlebt haben, während der Teilungszeit (Anm. d. Red.) im 19. Jh. . Und dann kam das Wende-Wunder und alles änderte sich. Wenn man ein solches historisches "Wunder" erlebt hat, dann glaubt man nicht nur, sondern man weiß, dass es sie gibt.