Geschichte
100 Jahre Weimarer Nationalversammlung
Es war nicht die erste demokratische Wahl in Deutschland, die am 19. Januar 1919 durchgeführt wurde. Eine solche hatte es bereits 1848 gegeben und auch der Reichstag des Kaiserreiches basierte auf einem demokratischen (Männer-)Wahlrecht. Aber im Gegensatz zu diesem sollte wie 1848/49 die neue Nationalversammlung nicht nur an der Gesetzgebung mitwirken, sondern eine neue politische und gesellschaftliche Ordnung in Selbstregie festlegen. Gerade von liberaler Seite verbanden sich deshalb mit der Nationalversammlung große Hoffnungen, galt es doch einerseits die im Kaiserreich steckengebliebene Demokratisierung nachzuholen, ohne andererseits den falschen Verheißungen eines Räte- oder gar bolschewistischen Systems zu verfallen.
Der Wahlausgang – nun erstmals unter Beteiligung von Wählerinnen erzielt- bestätigte diese Hoffnungen: Die Liberalen konnte trotz des Übergangs vom Mehrheits- zum Verhältniswahlrecht ungefähr ihren Wähleranteil von vor 1914 beibehalten. Zudem fiel ihnen eine Schlüsselposition zu, gegen die kaum regiert werden konnte, weil links keine „sozialistische“ Mehrheit existierte und ohne sie auch keine „bürgerliche“ Mehrheit rechts erreicht werden konnte.
Den Ausschlag mussten die neuformierten Linksliberalen geben, die die Nachfolgepartei der Nationalliberalen mit 18,5 zu 4,5 % diesmal klar übertrumpft hatten. Unter der Führung von Friedrich Naumann entschieden sie sich für ein Zusammengehen mit der gemäßigten Sozialdemokratie und dem politischen Katholizismus und damit für eine Fortsetzung jener Reformkoalition, die schon im Krieg mit dem Ziel eines Verständigungsfriedens zustande gekommen war.
Diese „Weimarer Koalition“ löste dann innerhalb weniger Monate die schwierige Aufgabe, Deutschland in die liberal-demokratische Republik überzuführen. Sie tat dies, vor allem dank der liberalen Verfassungsexpertise, in geradezu vorbildlicher Weise, konnte aber nicht verhindern, dass sie von den Siegermächte des Weltkrieges im Friedensvertrag von Versailles in drastischer Weise für den Weltkrieg, den die abgedankten kaiserlichen Eliten geführt hatten, verantwortlich gemacht wurde. Das hatte langfristig verheerenden Folgen für die Stabilität der neuen republikanischen Ordnung, die eigentlich in vielem liberalen Wünschen entsprach.