Wissenschaftsjahr 2024
Wilhelm von Humboldt: „[…] höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen.“ (1767-1835)
In der Reihe liberaler Bildungsdenker darf Wilhelm von Humboldt nicht fehlen. Ginge es um eine Reihenfolge geordnet nach Wirkungskraft der Ideen, so gebührte ihm sicherlich der vorderste Platz in der Riege liberaler Bildungsdenker. In seinem 1809 verfassten „Bericht der Sektion des Kultus und Unterrichts an den König“ appelliert Humboldt an den preußischen König Friedrich Wilhelm III., dass es eine Grundbildung geben müsse, die keinem fehlen dürfe. Dies erleichtere später das Erlernen aller Berufe und würde überdies den Menschen auch die Freiheiten geben, von dem einen zum anderen Beruf zu wechseln („von einem zum anderen überzugehen“). Dieses Ideal hat hohe aktuelle Relevanz – gerade mit dem Blick auf die hohen Zahlen der Schulabbrecherquote und die Diskussion um Chancengerechtigkeit.
Kurzbiographie
Wilhelm von Humboldt gilt als der liberale Bildungsphilosoph par excellence. Dem Sohn einer zu Anfang des 18. Jahrhunderts in den Adelsstand erhobenen großbürgerlichen Familie wurde Bildung und das Streben nach Erkenntnis buchstäblich in die Wiege gelegt. Unterricht durch Privatlehrer, Bildungsreisen aber auch ein unermüdlicher Fleiß legten den Grundstein für ein beeindruckendes Gelehrtenleben. Doch nicht nur als Sprachwissenschaftler und Bildungstheoretiker erlangte Humboldt großen Einfluss, sondern auch als Staatsmann und Reformer in den Diensten des preußischen Königs. Seine Fähigkeiten, beispielsweise bei der Überarbeitung des Königsberger Schulplans oder der Gründung der Universität zu Berlin, waren auch dringend benötigt. Denn die Niederlage Preußens gegen die napoleonische Armee bei der Schlacht von Jena und Auerstedt 1806 machten die Modernisierung des Staates zur drängenden Überlebensaufgabe.
Damals und Heute
„Bildungstrieb und Freiheitsdrang“, so fasst es Jürgen Overhoff in seinem gleichnamigen Buch zusammen, sind die Grundkonstanten in Humboldts Bildungsphilosophie. Aufbauend auf Kant werden Autonomie und Mündigkeit zu den Zielen einer – nur teilweise staatlich organisierten – Bildungspolitik. „Es gibt schlechterdings gewisse Kenntnisse, die allgemein sein müssen, und noch mehr eine gewisse Bildung der Gesinnungen und des Charakters, die keinem fehlen darf“ heißt es in einem Rechenschaftsbericht aus dem Jahr 1809. Auch heute noch relevant ist der Anspruch, dass jeder und jede ein Recht darauf hat, eben diese grundständige Bildung zu erhalten. Umstrittener dagegen ist die Auswahl der Fächer: Zwar zählen auch Gymnastik, Mathematik und Ästhetik zu den von Humboldt benannten Unterrichtsfächern, doch sein Herz hängt an den Sprachen des klassischen Altertums. Eine Legende ist dagegen die vermeintlich Humboldt’sche „Einheit von Forschung und Lehre“: Diese ging eigentlich bereits auf das 17. Jahrhundert zurück, als die Landesherren der im 30-jährigen Krieg verwüsteten Fürstentümer auf der Suche nach Kostenersparnissen für ihre Universitäten waren. Das Kolleggeld – d.h. die Einnahmen über Vorlesungen – sollten die Forschung der Professoren finanzieren. Humboldt gab zwar auch die Devise aus, dass Hochschulen „Wissenschaft als solche zu suchen“ hätten, doch die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beginnende Ausdifferenzierung über die außeruniversitären Forschungseinrichtungen steht nicht unbedingt im Widerspruch zum humboldtschen Bildungsideal. Denn dieses richtet sich letztendlich vor allem an das Individuum, welchem Selbstentfaltung ermöglicht werden soll.
„Der wahre Zweck des Menschen, nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welchen die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt — ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen. Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste und unerlässliche Bedingung. Allein außer der Freiheit erfordert die Entwickelung der menschlichen Kräfte noch etwas anderes, obgleich mit der Freiheit eng verbundenes, — Mannigfaltigkeit der Situationen. Auch der freieste und unabhängigste Mensch, in einförmige Lagen versetzt, bildet sich minder aus.“
„Alle Schulen aber, deren sich nicht ein einzelner Stand, sondern die ganze Nation, oder der Staat für diese annimmt, müssen nur allgemeine Menschenbildung bezwecken. — Was das Bedürfnis des Lebens oder eines einzelnen seiner Gewerbe erheischt, muss abgesondert, und nach vollendetem allgemeinen Unterricht erworben werden. Wird beides vermischt, so wird die Bildung unrein, und man erhält weder vollständige Menschen, noch vollständige Bürger einzelner Klassen.“
„Der Begriff der höheren wissenschaftlichen Anstalten, als des Gipfels, in dem alles, was unmittelbar für die moralische Kultur der Nation geschieht, zusammenkommt, beruht darauf, dass dieselben bestimmt sind, die Wissenschaft im tiefsten und weitesten Sinne des Wortes zu bearbeiten, und als einen nicht absichtlich, aber von selbst zweckmäßig vorbereiteten Stoff der geistigen und sittlichen Bildung zu seiner Benutzung hinzugeben.“