Demokratie
18. Karlsruher Verfassungsdialog: Hass im Netz
Der Kriegsausbruch im Nahen Osten zeigt es nochmal besonders deutlich: Hass, Hetze und Desinformation im Internet sind allgegenwärtig und eine echte Herausforderung unserer Zeit. Wie ein Brandbeschleuniger brachte der Krieg antisemitische Ressentiments ans Licht. Aktuell mag es besonders sichtbar Menschen jüdischen Glaubens treffen, aber Internethass kann in den unterschiedlichsten Spielarten auftreten: Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, Queere, Musliminnen und Muslime, Politikerinnen und Politiker und viele mehr können zur Zielscheibe werden.
Wie muss das Internet gestaltet sein, um Übergriffen vorzubeugen und wieder mehr geschützte Debatte zu ermöglichen? Was sehen die Regulierungswerke aus Deutschland und der EU gegen digitale Gewalt vor? Wie kann sichergestellt werden, dass die Meinungsfreiheit nicht unter den Tisch fällt? Diesen Fragestellungen widmete sich der 18. Karlsruher Verfassungsdialog, eine Kooperation zwischen der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF), der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und der Vereinigung Liberaler Juristen (VJL), am 16.11.2023 unter dem Schlagwort „Hass im Netz“.
Hass im Netz auch Gefahr für unsere Demokratie
Die frühere Bundesjustizministerin und stellvertretende Vorsitzende der FNF Sabine Leutheusser-Schnarrenberger legte in ihrem Impulsvortrag dar, wie es um die Bürgerrechte im Netz aktuell bestellt ist. Hass und Hetze führten nicht nur zu Angst, Stress und schlimmeren psychischen Belastungen bei den Betroffenen, sondern seien auch ein ernst zu nehmendes Problem für unsere Demokratie. Viele Debatten verlagerten sich immer weiter ins Internet, gleichzeitig zögen sich aus Angst vor Hasskommentaren viele aus politischen Auseinandersetzungen zurück. Dadurch verschwänden wichtige kontroverse Stimmen und Meinungsräume verengten sich – gefährliche Tendenzen in einer liberalen Demokratie, die vom Meinungsaustausch lebt. Im letzten Teil stellte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Gesetze vor, die Hass im Netz bekämpfen sollen. Sie erwähnte das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), den europäischen Digital Services Act (DSA), der das NetzDG im Februar vollständig ablösen wird, und riss die Idee eines Gesetzes gegen digitale Gewalt an, für das bereits Eckpunkte vom Bundesjustizministerium (BMJ) vorliegen.
Google habe Interesse an Inhaltsmoderation
Diese Impulse wurden in der sich anschließenden Diskussion aufgegriffen. ARD-Rechtsjournalistin Gigi Deppe, die die Runde moderierte, ließ zunächst Franziska Benning zu Wort kommen. Die Juristin setzt sich bei der gemeinnützigen Organisation „Hate Aid“ für die Rechte von Betroffenen im Bereich der digitalen Gewalt ein und berichtete aus ihrem beruflichen Alltag. An „Hate Aid“ wendeten sich Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen – Beleidigungen, Bedrohungen, Erpressungen, Deep Fakes auf Pornographiewebseiten und Volksverhetzung im Netz seien Beispiele, mit denen sie in Berührung kommen könnten. Die Organisation unterstütze durch sozialpädagogische und psychologische Beratung. Ferner würden strafrechtliche und zivilrechtliche Vorgehensweisen, idealerweise nebeneinander, erwogen und bei Bedarf Gerichtskosten übernommen.
Dr. Thomas Ewert gab einen Einblick in die Welt der Plattformen. Er ist Legal Counsel bei Google Germany. Der Konzern versuche, seine Dienste von rechtswidrigen Inhalten freizuhalten und eröffne niedrigschwellige Meldemöglichkeiten für Nutzende und Behörden. Unabhängig von gesetzlichen Vorgaben sähen das auch die internen Hausregeln vor. Um Nutzende, Creators und Werbekunden nicht abzuschrecken, habe das Unternehmen ein ureigenes Interesse an einem gewissen Maß an Inhaltsmoderation.
Deutsches Gesetz gegen digitale Gewalt
Der Jurist Dr. Benjamin Lück von der GFF erläuterte die Notwendigkeit des DSA. Er beinhalte wichtige Verpflichtungen der Plattformen zu Maßnahmen gegen u.a. digitale Gewalt. Daneben sei aber auch ein Instrumentarium wichtig, das unmittelbar den Betroffenen zustehe. In diese Lücke stoße das geplante Gesetz gegen digitale Gewalt. Während die Eckpunkte aus dem BMJ einen Fokus auf erleichterte Auskunftsrechte für Betroffene lege und in engen Ausnahmen gerichtliche Accountsperren vorsehe, verfolge die GFF einen anderen Ansatz. Sie veröffentlichte im Mai 2023 einen eigenen Gesetzvorschlag, der die Möglichkeit von Accountsperren durch Gerichte in weitaus größerem Umfang ermögliche. Denn Auskunftsrechte schadeten dem hohen Gut der Anonymität im Internet, wohingegen Sperren das einzige Mittel seien, um schnell und effektiv dort anzusetzen, wo digitale Angriffe stattfänden. Bisher sei man dafür auf das Gutdünken der Plattformen angewiesen.
Dr. Thomas Ewert betonte, dass die Plattformen in ihren Hausordnungen oft schon Accountsperren vorsähen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mahnte an, dass das Sperren von Accounts wegen der Schwere des Grundrechtseingriffs nur ultima ratio sein könne. Dem versuche das Eckpunktepapier des BMJ Rechnung zu tragen, indem Sperren erst nach mehrmaligen Verstößen und nur zeitlich begrenzt möglich sein sollen.
Derartige Sperren schränkten die Meinungsfreiheit einzelner zwar ein, stimmte Dr. Benjamin Lück zu. Allerdings sorgten die Handlungen dieser wiederum für eine Einschränkung der Meinungsfreiheit und des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts vieler anderer. Denn diese seien mitunter Opfer digitaler Gewalt und zögen sich aus Debatten zurück, weil im Internet von einzelnen Hass, Hetze und Desinformation verbreitet werde. Diese grundrechtliche Problemlage müsse in Ausgleich gebracht werden. Es brauche einen Mindestschutz, damit alle ihre Meinungsfreiheit ausüben könnten.
Für Betroffene gehe der DSA nicht weit genug
Franziska Benning begrüße den DSA grundsätzlich, hätte sich aus Betroffenensicht aber noch weitreichendere Regeln gewünscht. So gebe es zwar zukünftig eine deutsche Anlaufstelle, einen Zustellungsbevollmächtigten müssten die Internetkonzerne aber nur an ihrem europäischen Sitz benennen. Dies erschwere das Vorgehen wegen rechtswidriger Inhalte und führe neben der psychischen Belastung und dem Kostenrisiko auch zu langen Verfahrensdauern für die Betroffenen.
Gleichwohl sei bei den Plattformen schon viel passiert, so Dr. Thomas Ewert. Transparenzberichte seien angefertigt worden. Verfahren für beispielsweise Beschwerdemechanismen, Sperrung von Inhalten und die Entgegennahme gerichtlicher Dokumente seien eingerichtet worden. Ebenso bemühe man sich um die vorgeschriebene Analyse existenzieller Risiken für u.a. Grundrechte.
Auch die deutsche Politik müsse jetzt ihre Aufgaben erfüllen, mahnten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Dr. Benjamin Lück an. Der deutsche Koordinator für den DSA, um den derzeit noch viel Streit zwischen verschiedenen Ressorts herrsche, müsse endlich benannt werden, damit die letzten Teile des DSA im Februar flächendeckend in Kraft treten könnten.