Alkoholkonsum wird zum Luxus
Preissteigerungen für alkoholische Getränke an jedem Neujahrstag sind in der Türkei sicher wie das Amen in der Kirche. Seitdem die islamisch-konservative AKP Ende 2002 an die Macht gekommen ist, hat sie dem Alkoholkonsum den Kampf angesagt. So wurden die Steuern seitdem nahezu um das 6-fache erhöht.
Die Regierung hat nicht – wie in anderen islamischen Ländern – den Alkohol gänzlich verboten, aber seinen Konsum durch exorbitante Steuern zum Luxus gemacht; bei manchen Getränken machen sie inzwischen zwei Drittel des Preises aus. So kostet eine Flasche einheimisches Bier im Laden umgerechnet knapp zwei Euro, in einem Pub mindestens vier Euro. Die billigste Sorte Wein kostet im Laden sechs Euro, für Qualitätswein oder Hochprozentiges muss man tief in die Tasche greifen. Dazu kommt die hohe Inflation und die schwächelnde Wirtschaftslage – für viele Türken wird auch das Ausgehen zum Luxus. So entsteht die absurde Situation, dass viele Deutschtürken, die im Sommer die Heimat besuchen, ihren Rakı – den landestypischen Anisschnaps – aus Deutschland mitbringen.
Die Regierung erklärt, ihre Steuerpolitik habe nichts mit Religion zu tun. Aber Präsident Erdoğan macht auch kein Hehl daraus, dass er nicht Rakı, sondern das alkoholfreie Joghurtgetränk Ayran als Nationalgetränk betrachtet. Und er macht sich persönlich stark für strengere Gesetze: Seit 2014 ist in der Türkei jegliche Werbung für Alkohol verboten – das gilt für Ladenbesitzer, Restaurants, Kneipen oder Supermärkte. Alkohol-Produzenten dürfen nicht mehr als Sponsoren werben, das Markenlogo darf nicht mehr zu sehen sein. Trinkszenen in Filmen oder Serien müssen verpixelt sein. Als Grund für die Verbote führt die Regierung die Volksgesundheit an. Kritiker dagegen sehen darin weitere Belege für die schleichende Islamisierung des Landes.
Türkische Alkoholliebhaber, die im Vergleich zu anderen europäischen Staaten ohnehin schon wenig Alkohol trinken (können), sind gezwungen, kreativ zu sein; sie brauen daheim ihr eigenes Bier oder Rakı. In Supermärkten gehen die Selbstbrauer-Kits „weg wie warme Semmeln“. Doch es dauerte nicht lange, bis die islamisch-konservative Regierung auch hier eingriff. Ab dem 1. April wird Ethanol, das in Supermärkten verkauft wird und Selbstbrauern als Basis für ihre Produkte dient, mit der Chemikalie Denatonium versetzt; so soll das alkoholische Getränk, das entsteht, ungenießbar gemacht werden.