Wohnungsbau
Bauen muss einfacher werden
Anfang des Jahres sorgte eine Studie des Verbändebündnisses Soziales Wohnen für Aufsehen. Laut den Berechnungen fehlen in Deutschland 700.000 Wohnungen. Dies wäre das größte Wohnungsdefizit seit mehr als zwanzig Jahren. Eine Umfrage der F.A.Z. unter den zehn einwohnerstärksten Städten Deutschlands ergab, dass die Lücke noch größer wird. Zwar hat sich die Bundesregierung zu Beginn der Legislaturperiode das ambitionierte Ziel von jährlich 400.000 neuen Wohnungen gesetzt, aber diese wurde bislang nicht erreicht. Das liegt auch am russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, der nicht zuletzt die deutsche Bauwirtschaft getroffen hat.
Laut Hauptverband der Bauindustrie gaben 90 Prozent der Unternehmen an, dass Preissteigerungen und Lieferengpässe von Baumaterial zu Verzögerungen und Auftragsstornierungen führten. Statt den politisch intendierten 400.000 Wohnungen wurden im vergangenen Jahr nur rund 295.000 Wohnungen fertiggestellt – 27 Prozent weniger als im Nachkriegsschnitt und mehr als ein Viertel unter Plan. In den nächsten Jahren ist mit noch weniger Baufertigstellungen zu rechnen.
Es liegt nicht an der Profitgier der Konzerne
Die grundsätzliche Malaise hat ihre Ursache im Zusammenspiel aus steigenden Baukosten, Baulandpreisen und Zinsen. Die Schaffung von preiswertem Wohnraum ist unter derzeitigen Rahmenbedingungen nur äußerst schwer möglich. Wie eine Studie des Bauforschungsinstituts ARGE zeigt, kann eine frei finanzierte Vermietung aktuell erst ab einer monatlichen Kaltmiete von etwa 17,50 Euro pro Quadratmeter erfolgen.
Es liegt also keineswegs an der vermeintlichen Profitgier von Immobilienkonzernen, wenn steigende Mieten zu beobachten sind. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts lag der Index zur Entwicklung der Wohnungsmieten in der Bundesrepublik Anfang 2023 bei einem Wert von 104,2 Punkten, was einem Anstieg von etwa 4,2 Prozent gegenüber dem Basisjahr 2020 entspricht. In den Metropolen sind Mieten besonders hoch.
Geywitz‘ Vorschläge sind umstritten
Aktuell schlägt Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) vor, die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten für Neubauten ab dem kommenden Jahr und befristet bis Ende des Jahres 2030 erheblich zu erweitern. Ob dies hilft, die Krise zu beheben, ist umstritten. Wie kann der Wohnungsbau wieder bezahlbarer werden? Sinkende Zinsen würden helfen und Baukredite günstiger machen. Hierfür braucht es fiskalische Maßnahmen, wie eine restriktive Ausgabenpolitik, um die Inflation in den Griff zu bekommen. Ebenfalls würden sinkende Baulandpreise entlastend wirken. Es liegt an Bund, Ländern und Kommunen, alle potentiellen Bauflächen zur Verfügung zu stellen und Umnutzungen zu vereinfachen, um für das nötige Angebot zu sorgen. Doch die zentrale Stellschraube im Wohnungsbau sind letztlich die Baukosten.
Schon in den vergangenen Jahren und besonders zu Beginn der Corona-Pandemie war ein erheblicher Anstieg der Baukosten zu beobachten. Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass sich dieser Preisanstieg im vergangenen Jahr noch einmal dramatisch beschleunigt hat. Seit dem Jahr 2000 sind die Baukosten um 78,5 Prozent – und damit deutlich stärker als die Verbraucherpreise – gestiegen. Der wahre Baukostenanstieg könnte sogar deutlich höher liegen. Der Baukostenindex des Statistischen Bundesamtes ignoriert, dass in den vergangenen Jahrzehnten etliche gesetzliche Regelungen hinzugekommen sind, die auch substanziell mehr und deutlich komplexere Bauleistungen nötig machen. An dieser Stelle gilt es anzusetzen.
Eine experimentelle Gebäudeklasse
Bauen muss endlich wieder einfacher werden. Mit weniger Normen, weniger Richtlinien und deutlich mehr gestalterischem Freiraum. Eine neue „Gebäudeklasse E“ (wie „experimentelles Bauen“) könnte hierfür die nötigen Voraussetzungen schaffen. Bis auf die Gewährleistung wesentlicher Ziele zur Sicherheit oder zum Schutz wie beim Brandschutz sowie ökologischer Basisnormen könnte man im Rahmen der neuen Gebäudeklasse für Materialen und Ausführungsdetails maximale Freiräume gewähren. Vorbild könnten die Niederlande sein, die im Bereich der Energieeffizienz lediglich auf Zielvorgaben setzen. Mit welchen Maßnahmen diese Ziele erreicht werden, bleibt Bauherren und Planern überlassen – ein echter Anschub für das Innovationspotential. Dadurch besteht ein enormer Anreiz, die vorgeschriebenen Ziele möglichst kosteneffizient zu erreichen.
Für die Bauwirtschaft wäre die neue Gebäudeklasse ein wirksamer Befreiungsschlag. Architekten hätten zudem wieder die Möglichkeit, ihren Ideenreichtum ohne enges Vorgabenkorsett in die Tat umzusetzen. Mit der Gebäudeklasse E könnte das Bauen in Deutschland folglich nicht nur kostengünstiger, sondern auch wieder gefälliger werden. Die enormen Herausforderungen im Bausektor und Wohnungsmarkt erfordern neue Lösungen, Wohnimmobilien bezahlbarer zu machen. Ein Experiment wie die Gebäudeklasse E könnte ein Baustein zur Zielerreichung sein.
Dirk Assmann ist für die Friedrich-Naumann-Stiftung tätig und Oliver Rottmann als Geschäftsführender Vorstand des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge an der Universität Leipzig.
Dieser Artikel erschien erstmals in der FAZ online am 10. August 2023 und im Print am 11. August 2023.