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Brexit
Die Botschaft hör´ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube

Warum ein zweites Brexit-Referendum unwahrscheinlich ist
Symbolbild Brexit

Die Hoffnung stirbt zwar bekanntlich zuletzt - aber eine Abwendung des Brexit ist nicht sehr wahrscheinlich

© robertiez / iStock / Getty Images Plus / Getty Images

In den vergangenen Wochen haben sie wieder zugenommen, die Rufe nach einem zweiten Brexit-Referendum. Nicht, dass sie jemals wirklich weg waren, seit sich im Juni 2016 eine knappe Mehrheit (52 zu 48 Prozent) für den Brexit ausgesprochen hatte, aber ihre Intensität stieg zuletzt stetig an. Sogar ehemalige Mitglieder der konservativen Regierung von Theresa May, wie beispielsweise die im Januar demontierte Bildungsministerin Justine Greening, lassen solchen Forderungen inzwischen ihre Unterstützung zuteilwerden.

Es ist keine große Überraschung, dass diese Rufe gerade jetzt (wieder) lauter werden. Die Brexit-Verhandlungen befinden sich seit Wochen in einer Sackgasse, während zeitgleich die Gefahr eines desaströsen „No-deal Brexit“, also einem Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU ohne Folgeabkommen, so hoch erscheint wie nie zuvor. Dass viele rosige Versprechungen der „Brexiteers“ von der heutigen Realität weit entfernt sind, wird Stück für Stück klarer.

Ebenso wissen diejenigen, die seit längerem für ein zweites Referendum werben, dass ihnen die Zeit davonläuft. Im März nächsten Jahres verlassen die Briten formell die EU. Ein Wiedereintritt dürfte danach deutlich komplizierter und unpopulärer sein als ein vergleichsweise einfacher Verbleib. Einer Umfrage aus dem Mai zufolge würde weniger als ein Drittel der Briten einen Wiedereintritt in die EU im Jahre 2020, also nach dem Brexit, befürworten. Für manchen immer noch überzeugten oder inzwischen konvertierten „Remainer“ heißt es deshalb nun „all or nothing“.

Aber wie erfolgversprechend ist ein solcher Push für ein zweites Referendum letztlich? Und wie sinnvoll ist er?

Für lange Zeit sah es so aus, als würde die britische Bevölkerung – hätte sie erneut die Wahl – in einem zweiten Referendum wieder für den Brexit stimmen. Umfragen zeigten über Monate hinweg eine relativ stabile Zustimmung, sodass die Befürchtung im Raum stand, ein neues Referendum würde zwar viel Staub aufwühlen, aber letztlich nicht viel verändern.

Dies hat sich mittlerweile geändert. Jüngste Umfragen sehen einen relativ stabilen Vorsprung für „Remain“, wenn auch oft noch innerhalb der Fehlermarge von Befragungen. Hier geben insbesondere diejenigen den Ausschlag, die zwar 2016 nicht zur Wahl gingen, inzwischen jedoch einen Verbleib in der EU vorziehen. Zumindest in der Theorie könnte sich also ein erneuter Versuch für die „Remain"-Seite auszahlen.

Doch es lauern einige Stolpersteine auf diesem Weg. Auch wenn man Fragen nach Sinnhaftigkeit und Erfolgswahrscheinlichkeit für einen Moment ausklammert, so bleibt zum Beispiel das Problem mit der dafür benötigten Zeit. Denn eines ist klar: Unter dem jetzigen Brexit-Zeitplan wird es mehr als knapp mit einem erneuten Urnengang.

Experten gehen davon aus, dass die legislative Vorbereitung eines zweiten Referendums zwischen zehn und 13 Monate dauert, also länger als das Vereinigte Königreich noch Mitglied der EU ist. Die nötige Gesetzgebung, das Aufstellen neuer Statuten, die Nominierung und Auswahl offizieller Kampagnen – all das braucht Zeit. Und um diese zu gewinnen, müsste aller Wahrscheinlichkeit nach eine Verlängerung des Austrittsartikels 50 bei der EU beantragt werden, welche bereits ihre Offenheit demgegenüber signalisiert hat. Nicht nur die aktuelle konservative Regierung lehnt diesen Schritt aber entschieden ab, er stößt auch in der Führung der Labour-Partei auf wenig Gegenliebe.

Einige Zeit wäre auch nötig, um zu entscheiden, welche Fragestellung der Bevölkerung letztlich vorgelegt werden soll. Eine einfache Wiederholung des ersten Referendums, mit einer Wahl zwischen „Remain“ und „Leave“, ist unwahrscheinlich. Der Vorschlag der ehemaligen Ministerin Justine Greening, drei Optionen – ein „harter Brexit“, der „Chequers-Kompromissvorschlag“ der Regierung und „Remain“ – im Präferenzverfahren zur Wahl zu stellen, ist ebenfalls umstritten.

Leopold Traugott

freiheit.org-Gastautor Leopold Traugott von Open Europe

© Leopold Traugott

Ganz gleich welche Frage am Ende auf dem Papier stünde, die Debatte um die Antwort würde das bereits zutiefst zerstrittene Land noch weiter spalten. Weitere Monate aggressiver Kampagnen würden die Polarisierung der britischen Gesellschaft zu neuen Extremen treiben und Gräben weiter vertiefen. Auch wenn dies nicht per se ein Argument gegen ein weiteres Referendum ist, so ist es eine sehr wahrscheinliche Konsequenz, die beachtet werden muss.

Es gibt gute Argumente für ein zweites Referendum zur Brexit-Frage. Auch wenn einige „Leaver“ versuchen, ein solches Ansinnen als illegitim und undemokratisch abzukanzeln, so sind demokratische Entscheidungen nicht in Stein gemeißelt und eine Bevölkerung hat das Recht, ihre Meinung zu ändern. Dies gilt insbesondere bei einem Thema, das so umstritten und von so großer Bedeutung ist wie der Brexit.

Trotzdem sollte man sich nicht leichtfertig zur Annahme hinreißen lassen, dass ein zweites Referendum ein Allheilmittel ist, um dem Brexit-Spuk ein Ende zu bereiten. Der Weg zu einer erneuten demokratischen Abstimmung wäre, wie so vieles am Brexit, kompliziert und voller Risiken. Und ob sich die Briten am Ende wirklich anders entscheiden als 2016, ist alles andere als garantiert. Mit viel Pech verbrächten die Briten ein weiteres halbes Jahr in einer aufgeladenen nationalen Debatte und lassen Unternehmen, Bürger und die EU warten, nur um ihnen am Ende mitzuteilen, dass sich nichts an ihrer Position geändert hat.

Die Debatte über ein zweites Referendum wird weiterlaufen, bis die Briten die EU endgültig verlassen haben – auch wenn ein Austrittsabkommen inklusive einer Übergangsphase ihr etwas den Wind aus den Segeln nehmen könnte. Ob die Befürworter eines solchen Referendums jedoch genug Druck werden aufbauen können, um ihren Wunsch Realität werden zu lassen, darf bezweifelt werden.

Leopold Traugott arbeitet als Policy Analyst für die britische Denkfabrik Open Europe in London.