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UN-Resolution zu Israel
Die Kluft zwischen Wort und Tat

Israels Existenz ist deutsche Staatsräson: Das wird inzwischen weithin anerkannt. Die jüngste deutsche Ablehnung in den Vereinten Nationen widerspricht dem.
UN Resolution

Das Abstimmungsergebnis zur Israel-Gaza-Resolution wird bei der UN-Vollversammlung angezeigt.

© picture alliance / Xinhua News Agency | Evan Schneider/UN Photo

Der 7. Oktober 2023 wurde hierzulande für Israel mit dem 11. September 2001 für die USA verglichen - als Tag einer nationalen Katastrophe. Zu Recht: Damals starben mehr als 3.000 Amerikaner durch den terroristischen Anschlag von Al-Qaida auf das World Trade Center in New York City, diesmal mehr als 1.400 Israelis durch den terroristischen Angriff der Hamas auf jene Teile Israels, die an den Gazastreifen grenzen. Sollte der Vergleich hinken, dann wohl nur deshalb, weil der Blutzoll Israels als Anteil der Bevölkerung noch um ein Vielfaches höher lag als seinerzeit in den Vereinigten Staaten. Ein menschenverachtendes Massaker von gewaltigem Ausmaß, der größte Judenmord seit dem Holocaust - ergänzt durch die Geiselnahme von über 230 Menschen und weitere grausame Gewalttaten!

Die deutsche Politik war schnell zur Stelle, mit wortgewaltigen Adressen und Versprechen der Solidarität, u. a. durch den Bundespräsidenten bei einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor mit gut 10.000 Demonstranten. Immer wieder wurde dabei auch Angela Merkel zitiert: das Existenzrecht Israels als deutsche Staatsräson, also praktisch das höchste an Priorität und Unterstützung, was eine Regierung politisch zu bieten hat. Und dies aus gutem Grund: Im Unterschied zu allen anderen Nationen der Welt trägt Deutschland die historische Verantwortung für den Holocaust, bei dem sechs Millionen Juden bis 1945 ermordet wurden. Das verpflichtet zum Kampf gegen den Antisemitismus im Inland - egal ob er von rechtsradikalen Reichsbürgern, linken selbsternannten Antikolonialisten oder palästinensischen Befreiungsideologen kommt. Und es verpflichtet zu einer klaren Haltung in der Außenpolitik zur Verteidigung des Existenzrechts Israels.

Knapp vier Wochen nach den Verbrechen der Hamas ist klar: Deutschland wird beiden Verpflichtungen nicht ausreichend gerecht. Immer wieder kommt es zu antisemitischen und anti-israelischen Vorfällen auf den Straßen deutscher Großstädte, ohne dass die Polizei frühzeitig und konsequent einschreitet. Deutschland steht mit dieser Aufwallung des Hasses gegen Israel und das Judentum nicht allein, denn überall auf der Welt kommt es zu aggressiven Kampfansagen dieser Art - vom Campus der Harvard Universität in Massachusetts (USA) bis nach Auckland (Neuseeland). Aber in Deutschland hat dies einen anderen Stellenwert - eben wegen seiner Staatsräson. Hier muss noch entschlossener gehandelt werden.
 

Außenpolitisch hat die Bundesregierung beim ersten Lackmustest der beschworenen Israel-Unterstützung versagt. Bei der jüngst mit großer Mehrheit verabschiedeten Resolution der UN-Vollversammlung zu Israel und Gaza - eine Resolution, die mit keinem Wort die Terrorakte der Hamas beim Namen benennt, geschweige denn verurteilt, aber prophylaktisch Israel vor jedwedem Gegenschlag gegen den Terror mit zivilen Opfern warnt und einen sofortigen Waffenstillstand fordert – hat sich die Bundesregierung enthalten. Sie hat die Resolution nicht wie unter anderem die USA abgelehnt. Wie Israel ohne Angriff auf die Hamas und ihr Waffenpotenzial sein Recht auf Selbstverteidigung sichern soll, bleibt dabei völlig unklar. Schlimmer noch: Der gezielte Missbrauch der Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde für die eigenen Waffen und Tunnelanlagen durch die Hamas wird nicht einmal erwähnt. Damit wird von vornherein dem israelischen Handeln die Legitimation im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der militärischen Mittel entzogen.

All dies ist überaus durchsichtig. Es liegt in der Formulierung der Resolution klar zutage. Es hätte nach einer Ablehnung der Resolution verlangt, so wie tatsächlich neben USA und Österreich weitere 12 Länder abstimmten. Deutschlands Enthaltung unter Federführung der Außenministerin Annalena Baerbock und des Kanzlers Olaf Scholz, die beide vor Kurzem erst zu Recht Israel besucht hatten, natürlich mit dem üblichen Beschwören der Solidarität, ist keine Haltung. Zur Begründung wurde nichts Inhaltliches angeführt, sondern die Genesis des Antrags genannt, der von Jordanien stammt, einem moderaten arabischen Land, das man nicht verprellen wollte, auch um seinen eigenen diplomatischen Einfluss in der Region zu sichern.

Was für eine deutsche Fehleinschätzung! Vor allem die USA machen uns vor, wie man eine klare Haltung mit einflussreicher Realpolitik im Nahen Osten verbindet: Sie stimmten gegen die Resolution, versuchen aber unverändert auf allen möglichen Kanälen der Diplomatie das Schlimmste zu verhindern und Auswege aus der Katastrophe zu finden, aber dies eben alles bei eindeutig demonstrierter Solidarität mit Israel.

Deutschland dagegen wirkt schwächlich und unentschlossen. Jüdinnen und Juden in Deutschland und in der ganzen Welt sind tief enttäuscht, verzweifelt und ziehen daraus einen klaren Schluss: Auf diese Nation ist dann kein Verlass, wenn die Lage wirklich bedrohlich wird. Da hilft es auch nicht, dass Frankreich sogar für die Resolution gestimmt hat - wohl aus innenpolitischen Ängsten, auch das natürlich ein jämmerliches Bild. Die Enttäuschung über Deutschland aber ist größer: Wer von "Staatsräson" redet, der muss sie auch leben - und das ist bei der ersten Abstimmung nach dem 7. Oktober nicht geschehen.

Ein gewaltiger politischer Schaden ist angerichtet. Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung - und vor allem das Auswärtige Amt - daraus die Konsequenzen zieht und den politischen Kurs korrigiert. Und zwar überzeugend und glaubwürdig. Nur so lässt sich moralische Statur und diplomatisches Gewicht zurückgewinnen.