Der „Abwehrverein“ von 1891 bis 1933
Engagierter liberaler Kampf gegen den Antisemitismus
Der Gründungsaufruf liest sich wie ein Who’s who der aufgeklärten liberalen Bürgerwelt: Über 500 Persönlichkeiten unterzeichneten 1890 den Aufruf gegen das „verderbliche und unchristliche Treiben der Antisemiten“. Vorausgegangen waren erste Erfolge antisemitischer Parteien in den Reichstagswahlen 1887 und 1890 und die offene Agitation von Verbänden aus dem völkischen Spektrum.
Diese antisemitischen Gruppen waren noch klein, aber schon sehr lautstark und wuchsen seit der Jahrhundertwende zu populistischen Organisationen mit größerem Anhang, wie beispielsweise dem Alldeutschen Verband. Hiergegen versuchte der neu gegründete „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“ zu mobilisieren. Ihm gehörten konstant 20.000 bis 30.000 Menschen an, vor allem liberal gesinnte Bürger des Mittelstandes aus Politik, Wirtschaft und Kultur, viele Intellektuelle und Wissenschaftler, Theologen und Pfarrer, nach dem Ersten Weltkrieg auch Frauen. Zu seinen Gründern gehörte auch Theodor Mommsen, der im Berliner „Antisemitismus-Streit“ 1881 die rechtliche Gleichstellung der Juden verteidigt und für religiöse Toleranz gestritten hatte. Über Jahrzehnte wurde der Verein von liberalen Spitzenpolitikern geführt: Von Rudolf von Gneist, Heinrich Rickert und Theodor Barth im Kaiserreich, vom linksliberalen Reichstagsabgeordneten Georg Gothein in der Zeit der Weimarer Republik, nach 1930 übernahm der Zentrumspolitiker Heinrich Krone den Vorsitz. Das starke liberale Profil des Vereins hatte seinen Grund in liberalen Freiheits- und Rechtsprinzipien, hing aber auch mit dem hohen Anteil jüdischer Mitglieder und Anhänger vor allem im Linksliberalismus zusammen: Antisemitische Agitation ging mit vehementem Antiliberalismus einher.
Verein wollte Gleichberechtigung der Juden bewahren
Hauptziel des Vereins war es, die in der Verfassung des Kaiserreichs von 1871 garantierte Gleichberechtigung der Juden zu bewahren und in Gesellschaft und Kultur praktisch zu stärken. Dies versuchte man – anders als der „Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ – nicht auf juristischem Weg, sondern vielmehr mit publizistischen Mitteln: Flugschriften, Broschüren, Vorträge und Veranstaltungen sollten die Öffentlichkeit informieren und aufrütteln. Der Verein erließ Wahlaufrufe gegen antisemitische Parteien und unterstützte parlamentarische Initiativen gegen die Diskriminierung von Juden in Staatsdienst und Militär. Er publizierte Handbücher wie den „Antisemiten-Spiegel“, in denen antijüdische Stereotypen, Ressentiments und Argumentationen widerlegt wurden. In den Vereinsgrundsätzen hieß es: „Mit den Waffen der Wahrheit und Tatsachen wollen wir unsere Gegner bekämpfen und ihren […] verderblichen Bestrebungen entgegentreten. Nicht darauf kommt es an, die Gegner persönlich anzugreifen, sondern die innere Unwahrheit ihrer Bestrebungen und die Gefahr ihrer hetzerischen Agitationen darzutun.“ Ein eindrucksvolles Vertrauen auf die Kraft von politischer Bildung, Moral und Vernunft.
Zweifel am Gelingen der Aufklärung hatten die Gründer durchaus: Schon nach wenigen Jahren stellte Theodor Mommsen enttäuscht fest, dass sachliche und rationale Argumente nicht verfangen würden: „Darauf hört doch kein Antisemit. Die hören doch nur auf den eigenen Haß und den eigenen Neid, auf die schändlichen Instinkte.“ Gegen alle Widrigkeiten ließ der Verein aber in seinem Engagement nicht nach. Besondere Bedeutung erlangte dabei die Wochenschrift des Vereins, die „Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus“, ab 1925 unter dem markanten Titel „Abwehrblätter“ mit einer recht hohen Auflage von 20.000 bis 50.000 Exemplaren verbreitet. Hier wurde aus dem „antisemitischen Lager“ berichtet, Übergriffe auf Juden in Deutschland und Österreich, aber auch im übrigen Europa benannt und Gewalttaten, Schmäh- und Hetzaktionen bis hin zu Vorfällen in Schulen und Universitäten verzeichnet.
Anfangskrisen der Republik wurde dem jüdischen Einfluss zugeschrieben
Nach dem Ersten Weltkrieg verschärfte sich die Situation: Kriegsniederlage, der bittere Versailler Friedensvertrag und die Anfangskrisen der Republik wurden nicht selten dem angeblichen jüdischen Einfluss zur Last gelegt. Wie weit der auch antisemitisch begründete Rechtsterrorismus in der Weimarer Demokratie reichte, zeigt das Attentat auf den liberalen, jüdischen Außenminister Walther Rathenau, der in den antirepublikanischen Kreisen als Repräsentant des verhassten Systems betrachtet wurde. Der „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“ agierte nun auch gleichsam als Verein zur Verteidigung der Demokratie und kooperierte eng mit der linksliberalen DDP. Er reagierte – soweit es die begrenzten Finanzmittel zuließen – mit verstärktem Engagement. Dies galt auch für die publizistische Ebene: So wurden in einem weiteren Handbuch, dem „Abwehr-ABC“, gängige antisemitische und rassistische Argumentationsmuster auseinandergenommen und die Haltung verschiedener Parteien zum Antisemitismus geprüft.
Welche Gefahren durch den antisemitischen und gewaltbereiten Nationalsozialismus drohten, konnte man sich aber selbst in diesen erfahrenen, vom „Feindbild Liberalismus“ selbst betroffenen liberal-bürgerlichen Kreisen offenbar nicht vorstellen: 1925 erschien in den „Abwehrblättern“ eine der ersten Besprechungen von Hitlers Schrift „Mein Kampf“: Zwar warnte der Verein vor dem Machwerk, beruhigte dann aber die Leserschaft: „Man legt Hitlers Buch mit einem Gefühl der Befriedigung beiseite: Solange die völkische Bewegung keine anderen Führer an ihre Spitze zu stellen weiß, solange werden noch manche Wasser ins Meer fließen, bis sie im Land der Dichter und Denker siegen wird.“
Schon bald musste sich der Verein allerdings berichtigen: Mit Beginn der 1930er Jahre häuften sich die Berichte über antisemitische Vorfälle; die Aufklärung des Vereins blieb vergeblich: Im März 1933 erschienen die „Abwehrblätter“ ein letztes Mal; mit der Machtübertragung an Hitler waren die Herausgeber und Redakteure ihres Lebens nicht mehr sicher. Gleiches galt für die Führung und Mitglieder des Vereins – so hörte der „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“ am 7. Juli 1933, heute vor achtzig Jahren, auf zu existieren. Fast ein halbes Jahrhundert hatten die liberalen Vereinsmitglieder gegen die antisemitische Strömung gekämpft, die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung verteidigt. Der nationalsozialistischen Gewalt hat man sich in diesen Kreisen keineswegs widerspruchs- und kampflos ergeben.
Die Erinnerung an den „Abwehrverein“ wurde vor wenigen Jahren in Baden-Württemberg erneuert und ein Abwehr-Verein gegründet, der „angesichts der deutschland- und europaweit ansteigenden Äußerungen und Taten mit antisemitischem Hintergrund“ diesen zivilgesellschaftlich entgegentreten will. Ihm ist jeder Erfolg zu wünschen.