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Wissenschaftsstandort
Umbrüche im US-Wissenschaftssystem - Kann Deutschland als Standort profitieren?

Ehemalige Bundesbedienstete protestieren gegen die Politik der Trump-Regierung vor dem Hubert Humphrey Health and Human Services Building in Washington D.C.

Ehemalige Bundesbedienstete protestieren gegen die Politik der Trump-Regierung vor dem Hubert Humphrey Health and Human Services Building in Washington D.C.

© picture alliance / Middle East Images | Dominic Gwinn

Seit seinem Amtsantritt zeigt US-Präsident Donald Trump ein hohes Arbeitstempo. Kritiker sehen in der hohen Anzahl erlassener Dekrete einen radikalen Umbau der innerstaatlichen Organisation. Nun hat diese Welle der Umwälzungen den Bildungsbereich erreicht. Ergibt sich hieraus auch eine Chance für Deutschland bei der Anwerbung von Spitzenwissenschaftlern?

In unserer globalisierten Welt, in der der Austausch von Wissen, Waren und die Mobilität von Talenten zentrale Triebkräfte für Innovation und wirtschaftlichen Fortschritt sind, ist der Wettbewerb um die klügsten Köpfe essenziell. Die zentrale Frage lautet, wie sich Deutschland als Wissenschafts- und Innovationsstandort im internationalen Wettbewerb um die besten Talente behaupten kann. Die Antwort auf diese Frage gewinnt auch dadurch an Brisanz, da sie in der aktuellen Lage Deutschlands dringend mehrdimensional zu verstehen ist: Wirtschaftliche, wissenschaftliche und auch gesellschaftspolitische Erwägungen schwingen für Deutschland mit. Fachkräftegewinnung ist – nach der bestmöglichen Ausbildung der heimischen Bevölkerung - eine der zentralen strategischen Aufgaben unseres Landes. Exemplarisch sei hier auf die Ideen Prof. Dr. Pinkwarts zur „Zukunft durch Innovation“ verwiesen, bei der die klugen Köpfe einen zentralen Aspekt bilden.

Chance für den Forschungsstandort Deutschland

Die jüngsten Entwicklungen in den USA, insbesondere die drastischen Kürzungen der Forschungsbudgets und Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit, haben zweifelsohne für internationales Aufsehen gesorgt. Während in den US-amerikanischen Massenmedien die Kritik daran überschaubar bleibt, haben Veränderungen durchaus das Potenzial, die internationale Wissenschaftslandschaft zu verändern.

Noch sind die Entwicklungen zu frisch, um bereits jetzt zu einer größeren Verlagerung von Talenten zu führen. US-amerikanische Universitäten verfügen in ihrer Spitze unbestritten über die besten Voraussetzungen: Renommierte Wissenschaftler, hervorragende Forschungsmöglichkeiten, weltweit beste Vernetzungen sowie exzellente Zukunftsperspektiven für junge Wissenschaftler. Trotz der veränderten Rahmenbedingungen stellt sich die Frage, wie deutsche Hochschulen hier mithalten sollen.

Falsch wäre sicherlich die Behauptung, dass der Wettbewerb um die klügsten Köpfe erst jetzt begonnen hätte. Während man sich in den letzten Jahrzehnten noch auf guten Wirtschaftszahlen ausruhen konnte und kaum Handlungsbedarf sah, schwindet diese Zuversicht. In Innovationsrankings verliert Deutschland an Boden. Und nun scheint sich also die Gelegenheit zu bieten, in größerer Zahl exzellente Wissenschaftler für deutsche Hochschulen zu gewinnen. Hinzu kommen zwei weitere Aspekte: Durch die öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema und durch die Erkenntnis, dass viele der alten bundesrepublikanischen Strukturen Reformen bedürfen, sind die Erwartungen an eine neue Bundesregierung hoch. Es gilt, möglichst schnell ein Wissenschaftsumfeld zu schaffen, das Talente gezielt anwirbt und so den Forschungsstandort mit neuen Kräften stärkt. Im internationalen Wettbewerb ist hier noch viel Entwicklungspotenzial.

Attraktive Wissenschaftsstandorte: Wie Deutschland internationale Spitzenforscher gewinnen kann

Welche Voraussetzungen müssten also geschaffen werden, um internationale Spitzenforscherinnen und –forscher anzuziehen?

Aus liberaler Perspektive ist die Basis für einen erfolgreichen Wettkampf um Talente zweigleisig: Einerseits bedarf es einer starken finanziellen und strukturellen Ausstattung der Forschungseinrichtungen. Ein Blick etwa auf den Modernisierungsstau an deutschen Hochschulen lässt eine jahrzehntelange Vernachlässigung der Länder in diesem Bereich erkennen. Andererseits muss das gesellschaftliche und politische Umfeld Anreize schaffen, die weit über rein monetäre Faktoren hinausgehen.

Doch der Reihe nach: Die andauernden Debatten über prekäre Beschäftigungsverhältnisse im Wissenschaftsbereich zeigen, dass wettbewerbsfähige Gehälter und individuelle Zukunftsperspektiven ein wichtiger Faktor sind. Aber allein finanzielle Anreize, wie etwa in der freien Wirtschaft, genügen nicht. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verfügen über eine intrinsische Motivation und suchen langfristige Perspektiven, die ihre Forschung und persönliche Entwicklung gleichermaßen fördern. Flexible Karrierepfade, gezielte Förderprogramme und eine schlanke und antragsarme Forschungsfinanzierung sind dabei ebenso wichtig wie attraktive Arbeitsbedingungen. An der überbordenden Last der Bürokratisierung im Wissenschaftsbetrieb gibt es immer wieder Klagen.

Auch eine hohe Lebensqualität, wie sie viele deutsche Universitätsstädte zu bieten haben, spielt eine zentrale Rolle im Werben um internationale Spitzenkräfte. Eine offene, sichere und international-orientierte Umgebung kann den Unterschied machen. Nicht zu vernachlässigen sind darüber hinaus verlässliche familienfreundliche Strukturen. Wer sich als junger Doktorand eine längerfristige Lebensperspektive aufbauen möchte, denkt zwangsläufig auch über die Komponente der Kinderbetreuung nach.

Herausforderungen und Reformbedarf: Wie Deutschland ein attraktiverer Wissenschaftsstandort werden kann

Hier zeigen sich jedoch schon einige Schwachstellen. Trotz der insgesamt guten Lebensbedingungen bleibt der Bereich der verlässlichen Kinderbetreuung oft hinter den Erwartungen zurück. Um international konkurrenzfähig zu bleiben, bedarf es gezielter Investitionen, die es Wissenschaftlern zu ermöglichen, Beruf und Familie optimal zu vereinen. Auch die Frage der internationalen Orientierung stellt sich schon an den Hochschulen und dem unmittelbaren Umfeld. Hinzu kommen praktische Probleme etwa bei der Wohnungssuche – gerade in Ballungszentren. Ein weiterer kritischer Punkt betrifft die administrativen Prozesse an den Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Behörden. Deutschland hat in puncto Bürokratieabbau zwar in der letzten Legislaturperiode kleinere Fortschritte erzielt, doch der Reformbedarf ist noch längst nicht gedeckt. Langwierige Anerkennungsprozesse, komplizierte Visaverfahren und starre Verwaltungsstrukturen schrecken noch immer potenzielle Talente ab. Die Integration moderner Technologien, etwa KI-gestützter Verwaltungsprozesse, bietet hier einen vielversprechenden Ansatz. Solche Innovationen könnten nicht nur die Effizienz steigern, sondern auch den internationalen Austausch fördern, indem sie administrative Hürden signifikant reduzieren.

Der Weg zu einer optimierten Wissenschaftslandschaft ist also selbst für die peripheren Rahmenbedingungen durchaus komplex. Ob Deutschland nun im großen Stil von den Entwicklungen in den USA profitieren kann, ist demnach unsicher. Dennoch müssten die Geschehnisse jenseits des Atlantiks ein Weckruf sein, das deutsche Wissenschaftssystem endlich attraktiv zu gestalten. Denn schon mit dem Brexit waren Hoffnungen verbunden, Wissenschaftler in größerer Zahl für das den deutschen Standort zu gewinnen. Tiefgreifende Reformen, die nun auch bei einer Anwerbung von Wissenschaftlern aus den USA helfen würden, blieben aber aus.

Deutschlands Wissenschaft neu gestalten

Trotz des Reformbedarfs haben die deutschen Hochschulen durchaus Chancen: Gastwissenschaftlerprogramme und enge Verbindungen zu führenden Institutionen weltweit tragen maßgeblich dazu bei, dass die deutsche Forschungslandschaft nicht nur von temporären Impulsen lebt, sondern langfristig in einem dynamischen Austausch steht. Der Ausbau solcher Netzwerke erfordert weiterhin einige Anstrengungen. Offener, interdisziplinärer Dialog muss zukünftig in den Mittelpunkt gerückt werden. Traditionelle, oft rigide Strukturen müssen hinterfragt, reformiert und ggf. umgangen werden. So könnten an An-Instituten der Universitäten deutlich leichter kurzfristig Perspektiven geschaffen werden, um Wissenschaftler anzuwerben.

Auch im Bereich des Technologietransfers zeigt sich die Notwendigkeit neuer Ansätze. Forschungsergebnisse und Erfindungen dürfen nicht in bürokratischen Hürden ersticken. Sie müssen aktiv in die wirtschaftliche Praxis überführt werden. Modelle wie „IP for Shares“, bei denen Start-ups das geistige Eigentum nutzen und dafür Unternehmensanteile abgeben, können als Katalysatoren für die wirtschaftliche Verwertung von Forschungsergebnissen dienen. Auch die Karrierewege von der Wissenschaft in die Wirtschaft und wieder zurück, müssen neue Normalität an Hochschulen werden. Berufungsverfahren und Kriterienkataloge gehören demnach auf den Prüfstand. 

Die Vision für einen attraktiven Wissenschaftsstandort in Deutschland umfasst nicht nur wirtschaftliche und finanzielle Anreize, sondern auch ein Umfeld, das Freiheit, Eigenverantwortung und offene Zusammenarbeit fördert.

Deutschland hat das Potenzial, im globalen Wettbewerb um Spitzenforscher eine führende Rolle einzunehmen. Mit gezielten Reformen – die sowohl die administrativen und finanziellen Rahmenbedingungen als auch die gesellschaftliche und kulturelle Infrastruktur verbessern – können die Weichen für Innovationen und nachhaltiges Wachstum gestellt werden. Nur: Viel Zeit bleibt nicht. Andere Länder sind uns voraus und haben verstanden, dass die Wissenschaft als Motor für Wohlstand und Fortschritt effektiv gestärkt werden muss.

Zweifelsohne sind die Herausforderungen komplex. Doch gerade in einer engen Verflechtung von Wissenschaft und Gesellschaft liegt die Chance, das volle Potenzial eines liberalen, offenen und zukunftsorientierten Wissenschaftsstandorts auszuschöpfen.

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Florian von Hennet
Florian von Hennet
Leiter Kommunikation, Pressesprecher
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