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Vilnius-Exilmedienkonferenz
Freier Journalismus unter Dauerbeschuss

Vilnius-Exilmedienkonferenz
© MIXER

Der Monat September ist gefüllt mit Konferenzen, Preisverleihungen und Ehrungen an Medienschaffende. In der EU ist ihre Situation nach wie vor passabel, obwohl die Rangverschiebungen nach unten auf dem Index der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen selbst innerhalb der EU Gründe zur Besorgnis liefern. Das Vertrauen in die Medien muss von Journalistinnen und Journalisten selbst stets aufs Neue verteidigt und erkämpft werden. Die Politik kann im besten Fall nur den Rahmen für einen fairen Wettbewerb sichern. Im Idealfall gibt es dann keine Probleme. Spätestens seit der verkündeten Zeitenwende dürfte es allerdings klargeworden sein, dass es diesen Idealfall so vielerorts nicht mehr gibt und politische Randgruppen mit Unterstützung der Propagandamaschinerie antidemokratisch geführter Staaten u.a. deshalb auch bei uns an Einfluss gewinnen.

FNF-Partner wird mit dem Free Media Award geehrt

Deshalb ehren demokratisch gesinnte Organisationen, NGOs und Stiftungen das Engagement der Medien in diesen Tagen so oft und deutlich, vor allem das der Exil-Medien auf der Flucht vor Verfolgung: aus Belarus, Afghanistan, Myanmar, Russland und dem Iran. Aber auch die freien Medien aus von Kriegen heimgesuchten Ländern wie die Ukraine, wo der Journalismus entlang der Frontlinien es am schwersten hat.

Während der 1. Woche der Pressefreiheit vom 11. bis 15. September 2023 in Hamburg, seit 1949 einem der Zentren der deutschen freien Medien, haben die Körber-Stiftung und die Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius einige Partner des Medienfreiheit-Programms (IJMD) der FNF zur Diskussion auf ihre Panel gebeten. Dabei waren Hamid Obaidi, der Gründer der Afghanistan Journalists Support Organization (AJSO) und Roman Anin (IStories) aus dem Redkollegia-Netzwerk. Anin wurde zusätzlich mit dem Free Media Award ausgezeichnet, um auf den Überlebenskampf und die entscheidende Rolle im Kampf gegen Desinformation, Propaganda, Unterwanderung der demokratischen Systeme bzw. hybride Kriegsführung gegen den Westen hinzuweisen.

Unterstützung und Schutz für Exil-Medien

Eine Woche zuvor in Vilnius bei einer Konferenz der polnischen NGO MIXER und des im Exil agierenden unabhängigen Medienverbands aus Belarus, The Belarusian Association of Journalists (BAJ), ist eine der schwierigsten Fragen diskutiert worden: Wie der unabhängige Journalismus die gleichgeschalteten Gesellschaften in totalitär regierten Staaten wie Belarus, Russland, den zentralasiatischen oder asiatischen Diktaturen erreichen kann, wie die seit Jahrzehnten verabreichte Staatspropaganda entkräften bzw. zurückgedrängt werden kann? Und tatsächlich ist dies in der Zeit der weltweiten systemischen Kollision eine entscheidende Fragestellung. Die freien Medien im Exil können nur mit einer massiven finanziellen und technologischen Unterstützung durch die demokratischen Gastgeberländer wirksam arbeiten. Außerdem brauchen sie einen wirksamen Schutz durch unsere Nachrichtendienste und andere Behörden, weil sie durch Diktatoren wie Putin oder Lukaschenko nicht nur psychisch über Erpressung und Racheakte an Angehörigen bzw. Freunden verfolgt, sondern zunehmend auch physisch bedroht werden. Dies passiert nicht in fernen Ländern, sondern direkt in den Ländern Europas, wo sie sich in der Diaspora anfangs noch sorglos aufhielten. Das Gefühl, im Westen in relativer Sicherheit zu leben, verschwindet bei ihnen zunehmend und weicht der realen Angst vor Spionen, Giftattacken und Killerkommandos.

Pegasus als mächtige Waffe zur Unterdrückung freier Medien

Die westlichen Fachkollegen und Politikerinnen und Politiker müssen wachgerüttelt werden, um die gesammelten Erfahrungen und gespürten Ängste der Exil-Medienschaffenden ernst zu nehmen. Die Pegasus-Software auf Endgeräten von Journalistinnen und Journalisten, Warnungen wegen befürchteter Aktionen seitens russischer Geheimdienste durch die Sicherheitsbehörden des Zufluchtslandes, bspw. in Prag, wo unaufgefordert Polizeischutz angeboten wurde, Giftanschläge am Rande der Sicherheitskonferenz in München (der Fall Jelena Kostjutschenko) und viele weitere Beispiele sollten unbedingt als Vorboten noch schlimmerer Übergriffe gedeutet werden. Zu Pegasus gab es kürzlich eine neue Entdeckung. Access Now, eine internationale Organisation für digitale Rechte, und Citizen Lab, ein kanadisches Forschungslabor, haben aufgedeckt, dass das Handy von Galina Timchenko, Herausgeberin und Mitbegründerin von Meduza, mit der von der israelischen Firma NSO Group entwickelten Spionagesoftware infiziert wurde. Der Hack des Telefons mit der lettischen SIM-Karte fand am 10. Februar 2023 statt, zwei Wochen nachdem die russischen Behörden Meduza zu einer "unerwünschten Organisation" erklärt hatten. Timchenko hielt sich zu diesem Zeitpunkt in Berlin auf und nahm unter anderem an einem vertraulichen Treffen von Vertretern unabhängiger russischer Medien teil.

Je schwieriger für die Machthaber in Moskau und Minsk ihre Lage, bspw. an der Front in der Ukraine, ist, desto größer wird die Gefahr für die oppositionellen Medienschaffenden. Putin und andere Diktatoren wissen, dass der unabhängige Journalismus Fakten ermittelt und verbreitet, die unter Umständen gefährlicher für ihre Regime sind als die in der Strafkolonie festgesetzten politischen Gegner. Ähnlich empfinden es die Generale der Junta in Myanmar, die Taliban oder die Mullahs – jede Information zur Wahrheit über ihre Lügen, Korruption und Verbrechen untergräbt Stück für Stück die beanspruchte absolute Macht ihrer Regime. Deswegen wird alles unternommen, um den Empfang ihrer Nachrichten zu stören. Menschen, die ihre Handys nicht stets sauber halten und Spuren von Seiten, Applikationen bzw. Dateien verbotener Medien selber verbreiten oder einfach nur mitführen, werden aufgespürt, misshandelt und gefoltert. Diese Menschen landen inzwischen für Jahre in Gefängnissen. Wie weit die Regime noch gehen würden, wissen weder die Journalistinnen und Journalisten, noch ihr Publikum.

Redaktionsteams und einzelne Blogger im Kampf gegen Aggressoren

Fest steht aber jetzt schon, dass die Möglichkeiten des Durchdringens in die dicht abgeschirmten Gesellschaften der totalitär regierten Länder immer weniger werden. Es kommt sehr auf die Haltung der Big Tech-Unternehmen an, damit trotz aller Risiken der Nachrichtenfluss einigermaßen weiter funktioniert. Falls die unabhängigen Medien ganz verstummen, stirbt auch die letzte Hoffnung auf Umwälzungen von innen in den Heimatländern. Da sie von dort keine Werbe- bzw. andere Einnahmen erwarten können, müssten sie in den Exil-Ländern vergütet werden. Ihre Arbeit hängt somit von Technologie-Vorsprung und Finanzierung an den heutigen Standortländern ab. Der Aggressionskrieg in der Ukraine beraubte hoffentlich jeden vernünftig denkenden Menschen, auch unsere politischen Entscheidungsträger, der Illusion, dass sich solche Regime, wie in Moskau, auf eine Koexistenz ohne Revanchismus mit hybriden und militärischen Feldzügen gegen unsere Verbündeten und uns einlassen würden.

Das Ziel, die bestehenden international anerkannten Grenzen gewaltsam zu verändern, ist ohne die Rücksichtnahme auf Menschenleben, geschweige denn Verträge und Gesetze, ausgerufen worden. Diesem Zivilisationsbruch wird jeden Tag in der Ukraine mit Einsatz von Waffen getrotzt. Gleichzeitig tragen aber auch ganze Redaktionsteams und einzelne Blogger ihren oft sehr einsamen Kampf gegen die Aggressoren aus – ihre einzige Waffe bleibt der Qualitätsjournalismus. Dessen Existenzsicherung ist genauso relevant wie die Waffenproduktion und der diplomatische Druck. Diese Erkenntnisse der in der 1. Septemberhälfte 2023 stattgefundenen Experten- und Medienrunden müssen unbedingt breiter diskutiert werden. 

Vilnius-Exilmedienkonferenz
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