Proteste in Georgien
Georgiens Agentengesetz ist auch ein Angriff auf den Westen
Seit Tagen gehen tausende Menschen aller Altersgruppen in Tiflis auf die Straße und protestieren friedlich gegen das sogenannte „Ausländische Agentengesetz“, das am 17. April in erster Lesung verabschiedet wurde. Dem gingen Prügelszenen im Parlament und Straßenjagden gegen Demonstranten durch die Polizei voraus. Unter den Verletzten waren auch prominente Oppositionspolitiker, die aussagten, von der Polizei gezielt angegriffen worden zu sein.
Abschreckungswirkung gegen NGOs
Im März 2023 wurde dasselbe Gesetz unter dem Eindruck der Massenproteste in Georgien noch zurückgezogen. Bei der jetzigen Neuauflage des Gesetzes hat sich allein das Label geändert. Es soll NGOs und Medien, die mehr als 20 % ihrer Gelder aus dem Ausland beziehen, verpflichten, sich in einem speziellen Register einzutragen. Anstatt als „Agent“ muss man sich jetzt als „Organisation, die ausländische Interessen verfolgt“ registrieren. Auch ohne das Wort „Agent“ werden mit dieser Bezeichnung Erinnerungen an die Zeit unter russischer Herrschaft wachgerufen, als Dissidenten unter dem Vorwand, im Interesse des Feindes zu handeln, in Gefängnissen und Arbeitslagern verschwanden. Hinzu kommt, dass das Label georgischen NGOs und Medien absprechen würde, eine eigenständige Agenda zu verfolgen, indem es sie als Marionetten ausländischer Geber darstellt, was als zutiefst demütigend empfunden wird.
Das Gesetz öffnet außerdem dem georgischen Justizministerium Tor und Tür für regelmäßige und unerwartete Kontrollen und die Verhängung heftiger Geldstrafen. Da die Umsetzung des Gesetzes dem Justizministerium freisteht, kann es nach Gutdünken entscheiden, wer den Kontrollen unterliegt, einschließlich der Einsicht in persönliche Daten. Dies soll die Bevölkerung abschrecken, mit kritischen Medien und NGOs in Kontakt zu treten, sei es als Teilnehmer auf Veranstaltungen oder nur als Empfänger eines Newsletters. Dass die Regierung vorhat, das Gesetz als politisches Instrument zu nutzen, gab der Premierminister unfreiwillig selber zu: wäre es schon in Kraft, hätte es als Abschreckung gegen die aktuellen Proteste gedient, so Kobakhidze bei einer Pressekonferenz.
Regierung polarisiert – warum jetzt?
Es entbehrt auf den ersten Blick jeglicher Logik, dass die Regierung das Gesetz zu diesem Zeitpunkt erneut ins Parlament bringt. Denn bislang lief eigentlich alles bestens: Im Oktober sind Parlamentswahlen und der Sieg der Regierungspartei schien bislang so gut wie gewiss.
Für Optimismus in der Bevölkerung sorgte im Dezember 2023 die Zuerkennung des EU-Kandidatenstatus.
Im März 2024 wurde die Stimmung euphorisch, nachdem die georgische Fußball-Nationalelf nach einem Sieg über Griechenland jetzt zum ersten Mal in ihrer Geschichte an einem großen Turnier wie der Europameisterschaft teilnehmen wird. Die Wirtschaft wächst. Und die Regierungspartei hat bei den anstehenden Wahlen im Oktober bislang nicht mit einem ernsthaften Gegner zu rechnen, weil die Opposition nach wie vor zersplittert ist. Weniger die politischen Parteien, sondern eher die regierungskritische Zivilgesellschaft und Medien werden als ernstzunehmende Opposition wahrgenommen. Auf diese zielt nun das Gesetz.
Jetzt läuft die Regierung jedoch Gefahr, mit ihrem Vorstoß die eigenen Wähler zu vergraulen, denn das Gesetz gefährdet den EU-Beitrittsprozess, wie die EU schnell klarstellte. Und seit vielen Jahren findet der EU-Beitritt bei mehr als 80 % der Bevölkerung Zuspruch. Außerdem steht das allzu plumpe Vorgehen der Regierung gegen ihre Gegner ihrer erneuten Legitimierung durch eine von internationalen Wahlbeobachtern abgesegnete Wahl im Wege. Denn das Gesetz würde auch zivilgesellschaftliche Wahlbeobachter stigmatisieren und kritische Medienberichterstattung behindern.
Georgien gehört zu Europa!
Die georgische Präsidentin Salome Surabitschwili versucht den Reformprozess Georgiens Richtung Europa zu beschleunigen. Der Autor sprach ausführlich mit ihr und liberalen georgischen Partnern über das Land auf seinem verschlungenen Weg zu einer wirklich liberalen Demokratie, die sich eines Tages für die EU-Mitgliedschaft qualifiziert.
Auf Eskalationskurs mit westlichen Partnern
Der georgischen Regierung war der Westen bislang mit viel gutem Willen begegnet. Im März 2023 erhielt sie von der internationalen Gemeinschaft viel Lob dafür, dass sie das Agentengesetz nach massiven Protesten hatte fallen lassen. Fast schon vergessen schien die Tatsache, dass sie das Gesetz überhaupt eingebracht und dann versucht hatte, es in einem Hau-Ruck-Verfahren zu verabschieden. Auch der sich seit Monaten verschärfenden Rhetorik gegen westliche Finanzierung von NGOs wurde wenig entgegengesetzt.
Den guten Willen des Westens setzt die Regierung jetzt aufs Spiel. Von den Gegenstimmen hochrangiger internationaler Vertreter aus der UN, der EU und von europäischen Regierungen gibt sie sich dieses Mal unbeeindruckt. Das Gesetz soll durchgeboxt werden – koste es, was es wolle. Georgiens Regierung bemüht sich nicht einmal mehr darum, ein pro-westliches Gesicht zu wahren. Anstatt dessen greift sie auch langjährige Verbündete an, darunter neuerdings auch Vertreter der deutschen Bundesregierung. Die Bundesregierung hatte sich dafür eingesetzt, dass Georgien im Dezember den Kandidatenstatus erhielt, obwohl die von der EU-Kommission festgelegten Kriterien für die Aufnahme des Beitrittsprozesses so gut wie nicht erfüllt worden sind. Nach einer gemeinsamen Pressekonferenz des georgischen Premierministers mit Olaf Scholz, auf der sich Letzterer gegen das Gesetz aussprach, wurde nun auch der deutsche Botschafter in Georgien verbal attackiert. Damit haben die Beziehungen zwischen Deutschland und Georgien einen historischen Tiefpunkt erlangt.
Auf Druck von Russland?
Da es innenpolitisch keine logische Erklärung gibt, warum das Gesetz zu diesem Zeitpunkt verabschiedet werden soll, scheint ein Grund naheliegend: Russlands Einfluss. In welcher Form Russland diesen geltend macht, ist schwer nachzuvollziehen, doch selbst Georgiens Präsidentin Salome Surabitschwili, die sich zu einer der deutlichsten Kritikerinnen der Regierung entwickelt hat, schreckt im Interview mit der BBC vor öffentlichen Mutmaßungen nicht zurück, dass die Entscheidung im Kreml getroffen wurde. Vermutet wird, dass Russland den EU-Beitritt Georgiens verhindern und Länder, die der Kreml als Teil der Einflusssphäre Russlands betrachtet, nach eigenem Vorbild gestalten möchte. Manche sind sogar besorgt, dass Russland an einer Destabilisierung Georgiens interessiert ist, um am Ende seine „Friedenstruppen“ zu schicken.
Das Gesetz wird deshalb von seinen Gegnern das „Russische Gesetz“ genannt. Nicht nur, weil man vermutet, dass es auf Geheiß Russlands verabschiedet werden soll, sondern auch weil es ein russisches Vorbild gibt: Das 2012 verabschiedete Agentengesetz, das die Grundlage für weitgehende Repressalien gegen Kremlkritiker legte.
Transparenz und Souveränität – scheinbar gute Argumente
Regierungsvertreter argumentieren dagegen, dass es ihnen nur um die Transparenz politischer Entscheidungen und die Verteidigung nationaler Souveränität gehe. Ihre Parole ist, dass Geldgeber so transparent sein sollen wie die Behörden. Gleichzeitig agieren georgische Behörden seit Jahren immer intransparenter, so ein Bericht vom FNF Partner ifact.
Gerichtet sei das Gesetz gegen die „Einflussnahme auf Politik mit Schwarzgeldern aus dem Ausland“, so die Regierungsrhetorik. Zynischerweise wurde gleichzeitig im Parlament eine Änderung des georgischen Steuergesetzes durchgewunken, um die Einfuhr von Geldern aus Steueroasen zu begünstigen. Damit könnte Georgien zum Schwarzgeld-Hub werden, befürchten Experten. Die Gesetzesänderung wurde unter dem Banner nationaler Interessen beschlossen, dient aber allem voran dem Interesse eines Mannes: Es erlaubt Bidzina Iwanischwili, dem Oligarchen an der Spitze der Regierungspartei, seine Gelder nach Georgien zu bringen. Damit könnte er sein Vermögen vor internationalen Sanktionen retten. Aber auch den Geldgeschäften sanktionierter russischer Oligarchen kommt die Gesetzesänderung zugute.
Und ein weiteres Argument nutzt die Regierung gerne: Das Gesetz sei schließlich nur eine Kopie westlicher Transparenzgesetze. Bislang wurde gerne der Vergleich mit dem US Foreign Agent Registration Act (FARA) herangezogen. Der unterscheidet sich aber in zwei zentralen Bereichen grundlegend von der georgischen Gesetzesinitiative: Zum einen richtete sich FARA zum Zeitpunkt der Verabschiedung 1938 explizit gegen Staaten, die als Feinde betrachtet wurden, und das waren seinerzeit allen voran Nazideutschland und die Sowjetunion. Und zweitens müssen sich nur diejenigen registrieren lassen, die den Weisungen von Staaten folgen. Das amerikanische Gesetz geht nicht davon aus, dass eine Finanzierung gleichzusetzen ist mit einer Weisungsbefugnis der Geber. Der Vergleich mit FARA hinkt also.
Als zweites Beispiel zieht die georgische Regierung die jüngste Gesetzesinitiative auf europäischer Ebene heran: Im Dezember 2023 brachte die Europäische Kommission eine Initiative namens „Defence of Democracy Package“ ein. Zu dem Paket gehört unter anderem, dass sich ausländisch finanzierte Interessenvertreter registrieren und ihre Registrierungsnummer bei allen Interaktionen mit der Öffentlichkeit ausweisen sollen. Eine Steilvorlage für die georgische Regierung. Sowohl die Logik, dass eine Finanzierung mit einer Interessenvertretung gleichzusetzen ist, als auch das öffentliche Label ist dem ausländischen Agentengesetz Georgiens ähnlich. Es gibt deshalb deutliche Kritik an der Initiative der Kommission. Sie stehe im Widerspruch zum Art. 12 der EU Grundrechtscharta (bzgl. des Rechts auf Versammlung und freie Meinung), zum Art. 11 des Vertrags über die EU (bzgl. politischer Teilhabe) und zum EUGH-Urteil über ein ähnliches ungarisches Gesetz (bzgl. des freien Kapitalverkehrs). Auch wenn das Gesetz von der EU noch gar nicht verabschiedet ist, richtet die Initiative schon jetzt Schaden an und riskiert, die Glaubwürdigkeit der EU zu unterminieren. Auch die ungarische Regierung hat mit Verweis auf eben jene Initiative der Kommission schon den „Sovereignity Defence Act“ im Januar 2024 verabschiedet, nachdem sie 2021 noch ein ausländisches Agentengesetz zurückziehen musste, weil der Europäische Gerichtshof es als unvereinbar mit Europäischen Recht verurteilt hat.
Auf Klarstellungen aus den USA und Europa zu den Vergleichen mit eigener Gesetzgebung reagierte die georgische Regierung mit schablonenhafter Wiederholung ihrer Argumente. Ein Gespräch scheint immer weniger aussichtsreich, die Scheu vor einem Zerwürfnis mit langjährigen Partnern immer geringer. Die Eskalation ist alarmierend, will doch die EU verhindern, dass Georgien weiter in die russische Umlaufbahn gerät. Anstatt mit Nachsicht, mit der der Regierung vonseiten der internationalen Gemeinschaft bislang oft begegnet wurde, sollte man jetzt eine härtere Gangart einlegen.
Deutschland und die EU haben über 30 Jahre lang in georgische Reformen investiert, in Form von finanzieller Unterstützung und Entwicklungszusammenarbeit zwischen staatlichen sowie nicht-staatlichen Organisationen. Den Beitrag der Zivilgesellschaft Georgiens würdigen selbst georgische und internationale Wirtschaftsverbände in einem Statement zum Gesetz. Sie sollte auch weiter zentraler Bestandteil der Zusammenarbeit bleiben. Wird sie in Zukunft Repressalien ausgesetzt, sollte die Bundesregierung ihre komplette Entwicklungszusammenarbeit mit Georgien hinterfragen, damit nicht zugelassen wird, dass staatliche Stellen allein von der Zusammenarbeit profitierten während die nicht-staatliche Zusammenarbeit unterminiert wird.
Parlamentier gehen noch einen Schritt weiter. Das Europaparlament fordert in seiner Resolution individuelle Sanktionen gegen den ehemaligen Premierminister und Oligarchen Bidzina Iwanischwili. MdB Thomas Hacker ergänzt, dass die EU personenbezogene Sanktionen gegen die Architekten des Gesetzes in Erwägung ziehen muss. Dies allein würde wirklich wehtun, pflegen doch viele von ihnen enge Kontakte mit Europa. Die Resolution der Europaparlamentarier sollte ernst genommen werden - genauso ernst, wie es die georgische Regierung jetzt mit dem Gesetz meint.
Katrin Bannach, FNF Projektleiterin Südkaukasus.
Stellungnahme der Deutschen Politischen Stiftungen in Georgien zu dem Gesetz zur „Transparenz ausländischer Einflussnahme“
Als in Georgien vertretene deutsche politische Stiftungen bringen wir unsere große Besorgnis über den Gesetzentwurf zur „Transparenz ausländischer Einflussnahme“ zum Ausdruck. Letzterer wurde vom Parlament bereits in erster Lesung angenommen. Die Annahme und die Diskussion als Ganzes schädigen Georgiens internationalen Ruf und seine Beziehungen zu den westlichen Partnern maßgeblich. Sollte das Gesetz verabschiedet werden, würde das die Arbeit der georgischen Zivilgesellschaft und der unabhängigen Medien, die einen enormen Beitrag zum Demokratisierungsprozess Georgiens geleistet haben, erheblich einschränken. Es würde den Raum für kritische Stimmen weiter einengen und die Polarisierung fördern.
Die Bürgerinnen und Bürger Georgiens haben wiederholt ihren starken Wunsch nach einer europäischen Zukunft Georgiens zum Ausdruck gebracht und wehren sich vehement gegen das Gesetz. Wir teilen die von vielen angesehenen Institutionen geäußerte Kritik an dem georgischen Gesetz und fordern das georgische Parlament auf, die Bedenken georgischer und internationaler Institutionen ernst zu nehmen und das Gesetz abzulehnen. Die Zivilgesellschaft und unabhängige Medien sind unsere geschätzten Partner, seit wir unsere Aktivitäten in Georgien vor über zwei Jahrzehnten begonnen haben. Unsere wichtige Arbeit für Georgien würde im Falle der Annahme des Gesetzes schwere Rückschläge erleiden. Darüber hinaus bedauern wir zutiefst, dass eine Annahme der verfassungsmäßigen Verpflichtung Georgiens zuwiderlaufen würde, „die vollständige Integration Georgiens in die Europäische Union […] sicherzustellen.