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Ukraine
Fünf Jahre Maidan – was war und was bleibt

Interview mit dem Maidan-Aktivisten und politischen Kommentator Viktor Taran
maidan

Fünf Jahre nach der Maidan Revolution.

© picture alliance/Stringer/Sputnik/dpa

Vor fünf Jahren, am 21. November 2013, versammelten sich die ersten Demonstranten auf dem Kiewer Maidan, um gegen die Abkehr des Präsidenten Janukowytsch vom EU-Assoziierungsabkommen zu protestieren. Wir haben einen Partner der Stiftung für die Freiheit zu seinen Erinnerungen befragt: Viktor Taran, politischer Kommentator und Direktor des Zentrums für politische Studien und Analyse „EIDOS“.

Herr Taran, Sie waren an den Demonstrationen auf dem Maidan im Winter 2013/2014 aktiv beteiligt. Was ist Ihnen aus jenen Tagen am eindrücklichsten in Erinnerung geblieben?

Ich habe von der ersten Minute an zunächst am „EuroMaidan“ und dann an der „Revolution der Würde“ aktiv teilgenommen. Die ersten Tage ähnelten dem Echo der Orangen Revolution: Tolle Leute, volles Zusammenwirken, Lächeln, schöne Musik.

Da sich Janukowytsch jedoch weigerte, mit den Demonstranten in einen Dialog zu treten, wurde die Situation von Tag zu Tag angespannter. Der EuroMaidan endete mit einer großangelegten Prügelattacke gegen Studenten, die wiederum in die Revolution der Würde mündete.

Die Stimmung am Maidan nach dem 1. Dezember war dann völlig anders. Jedem war sofort klar, dass die Protestaktionen nicht mit friedlichen Widerstand enden würden. Anfang Dezember konnten wir uns jedoch nicht in den schrecklichsten Träumen den blutigen Preis vorstellen, den die Demonstranten am Ende zahlten, um Janukowytschs Bande von der Macht zu trennen.

Welche Hoffnungen und Erwartungen hatten Sie damals? Was war Ihrer Wahrnehmung nach das hauptsächliche Ziel der „Revolution der Würde“?

Jeder hatte seine eigenen Ziele. Manche hofften auf den Rücktritt von Premierminister Azarov, andere verlangten, die Sicherheitskräfte für die Prügelattacke gegen die Studenten zu bestrafen. Ich bin übrigens mehr als überzeugt, dass keine Revolution stattgefunden hätte, wenn Janukowytsch am 1. Dezember Innenminister Sacharchenko entlassen und die Leiter der Kiewer Polizei bestraft hätte.

Die Menschen sind auf die Straßen gegangen, um gegen Korruption, die Übermacht der Bürokratie, die Machenschaften der Donezker Oligarchen, den Druck auf die nicht oligarchischen Unternehmer und den Verzicht auf die euro-atlantische Integration zu kämpfen.

So kann das Hauptziel des Maidan mit dem Plakat beschrieben werden, das an der Seite des „Ukrainischen Hauses“ von der Barrikade hing: „Versteht uns recht, wir haben es satt!“

Sie haben die Entwicklung des Landes seither intensiv verfolgt und kommentiert und selbst an der demokratischen Entwicklung mitgearbeitet. Inwieweit sind die Forderungen und Hoffnungen des Maidan erfüllt worden?

Formal sind die meisten Anforderungen des Maidan erfüllt. Janukowytsch und seinem kriminellen Umfeld wurde die Macht entrissen, das EU- Assoziierungsabkommen wurde unterzeichnet, Strukturreformen im Land wurden begonnen. Und obwohl die Korruption noch nicht überwunden ist, wurde in der Postmaidanzeit eine gründliche Anti-Korruptionsinfrastruktur geschaffen, die in naher Zukunft Ergebnisse bringen soll.  

Unterdessen wurde eine der Hauptforderungen der Maidan-Aktivisten nicht erfüllt – die Sicherheitskräfte, die die Maidan-Aktivisten zu Krüppeln schlugen und töteten, wurden nicht bestraft. Dies liegt daran, dass sich die Schlüsselfiguren – Ausführende und Organisatoren der Tötungen auf dem Maidan – in Russland verstecken.

Der Maidan hat der Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft einen gewaltigen Schub gegeben. Was sind aus Ihrer Sicht die konkreten Aufgaben für liberale zivilgesellschaftliche Aktivisten, die die Ziele und den Geist der Maidan-Revolution weitertragen wollen?

Ab Mitte Dezember 2013 erschien auf dem Maidan ein neuer Slogan: „Verrate den Maidan nicht“. Diese universelle Formel ist die Quintessenz der Forderungen der Maidan-Aktivisten an das moderne Land. Wir dürfen nicht die Werte und Prinzipien verraten, für die die Menschen zuerst im Zentrum der Hauptstadt und dann im Sommer an den fernen Barrikaden im Osten im Krieg gegen die russische Armee kämpften und starben.