Freie Medien
Gavels vs. Pens: Die juristische Seite der russischen und türkischen Unterdrückung freier Medien
"Niemand ist gegen irgendetwas immun. Man muss die verschiedenen Arten von Druck verstehen, denen sich die Menschen ausgesetzt fühlen. Was versuchen totalitäre Regierungen, egal welcher Art, zuerst zu tun? Sie versuchen, die Kommunikationsnetze zu kontrollieren. Bei einem Staatsstreich beschlagnahmen sie Radio und Fernsehen. Sie unternehmen den Versuch, Kommunikation und Bildung zu knechten, damit nichts gelehrt werden kann, was nicht mit ihren eigenen Ansichten übereinstimmt. Das sind zwei Dinge, die totalitäre Regierungen zu tun versuchen. Ein drittes besteht darin, die Justiz zu kontrollieren, damit die Richter und Anwälte dieselben Ansichten vertreten wie das Regime. Das ist ein altes Drehbuch." (Margaret Atwood, aus einem Interview mit dem Magazin WIRED, Ausgabe Mai 2023)
In einer neuen Publikation, die heute in Zusammenarbeit zwischen den zivilgesellschaftlichen Organisationen JAM e.V. (Journalisten- und Anwaltsvereinigung für Meinungsfreiheit), MMDC (Mass Media Defense Center) und der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit veröffentlicht wurde, wird das autokratische Drehbuch der juristischen Unterdrückung der Medien dargestellt. Sie enthält umfassende Berichte über einige Fälle aus beiden Ländern, die unter die Definition von SLAPPs (sogenannte „Strategic Lawsuits against Public Participation“) fallen.
Die Publikation veranschaulicht detailliert das von Margaret Atwood im obigen Zitat so schön ausgedrückte Drehbuch der Autokraten, indem sie die eskalierenden Anfeindungen und gerichtlichen Übergriffe gegen Medienschaffende in den letzten zwei Jahrzehnten sowohl in Russland als auch in der Türkei, die größtenteils von den jeweiligen politischen Regimen orchestriert wurden, akribisch unter die Lupe nimmt. Die Einleitung von Nate Schenkkan von Freedom House gibt den Rahmen für diese Analyse vor, indem er argumentiert, dass diese Länder zwar häufig als Symbole der Autokratie zusammengefasst werden, es aber doch entscheidende Unterschiede zwischen ihnen gibt.
Roman Zholud und Anna Romaschtschenko beschreiben in ihren Kapiteln über Russland eine sorgfältig orchestrierte "Säuberung" des freien und kritischen Informationsraums, die von Putins Regierung forciert wird. Besonders deutlich wird dies bei der weit verbreiteten Zensur, die Russlands Einmarsch in die Ukraine im Jahr 2022 begleitete und die zur Sperrung oder zum völligen Verbot zahlreicher unabhängiger Medien führte. Gleichzeitig haben die aggressiven Maßnahmen der Erdoğan-Regierung in der Türkei, wie von Barış Altıntaş und Sibel Yükler berichtet, dazu geführt, dass das Land weltweit an sechster Stelle bei der Inhaftierung von Journalisten steht.
Diese beiden autokratischen Regierungen nutzen die Bezichtigung der Verbrechen gegen den Staat als Waffe, um Journalisten zum Schweigen zu bringen und einzuschüchtern, indem sie diese als "Verräter" oder "Terroristen" deklarieren. Ein bemerkenswerter Fall ist der von Iwan Safronow in Russland, der des Hochverrats beschuldigt wird, weil er angeblich vertrauliche Informationen an tschechische Spezialeinheiten weitergegeben hat. In ähnlicher Weise hat in der Türkei die Einmischung der Regierung in die Redaktionspolitik von Nachrichtenagenturen zu noch mehr Sorgen um die Pressefreiheit geführt, wie sie in der von Gökçer Tahiincioğlu geschilderten Cumhuriyet-Saga zum Ausdruck kommt.
Die zunehmenden gerichtlichen Schikanen, denen Journalisten ausgesetzt sind, sobald sie über staatliche oder unternehmerische Korruption berichten, werden auch in den späteren Kapiteln der Publikation ausführlich beschrieben. Beispiele hierfür sind die Verwendung von gefälschten Beweisen gegen Journalisten in Russland, während in der Türkei den Journalisten selbst der finanzielle Ruin droht, wenn sie wegen Korruptionsermittlungen verklagt werden. Ein bemerkenswertes Beispiel, auch in der Türkei, ist der Fall von Pelin Ünker, die an der Analyse der berüchtigten "Paradise Papers" beteiligt war, was in einem Artikel von Asuman Aranca ausführlich beschrieben wird.
Der Angriff der Justiz auf den Journalismus hat sowohl in Russland als auch in der Türkei erhebliche Auswirkungen auf die Pressefreiheit und die Fundamente der Demokratie selbst. In Russland kann man das vernichtende Ergebnis jeden Tag während des Krieges erblicken. In der Türkei ist dieser Prozess noch nicht ganz abgeschlossen. Trotz der Risiken streben die Journalisten in beiden Ländern weiterhin es an, die Wahrheit zu enthüllen, und machen somit deutlich, wie dringend notwendig die internationale Unterstützung zum Schutz der Pressefreiheit ist.