Spiegel-Interview
"Von Mileis Mut kann sich die FDP etwas abschauen"
SPIEGEL: Herr Paqué, Sie kommen gerade aus Argentinien zurück, wo Ihre Stiftung eine Veranstaltung zur bisherigen Bilanz von Präsident Javier Milei organisiert hat. Können Sie FDP-Chef Christian Lindner darin bestärken, der neuerdings »mehr Milei wagen« will?
Ich finde es richtig, dass man mit Blick auf die wirtschafts- und finanzpolitischen Erfolge Mileis sagen will: mehr Mut zu Reformen wagen. Von Mileis Mut können wir uns etwas abschauen. Allerdings muss man bei Milei immer das Janusköpfige sehen. Das eine ist, was er in der Wirtschafts- und Finanzpolitik leistet, und das andere ist sein Rechtspopulismus.
Kann man die beiden Seiten so einfach trennen?
Man muss es sogar. Wenn Milei nach Spanien zu einer Kundgebung der rechts- populistischen Vox-Partei fährt und die Frau des dortigen Ministerpräsidenten beleidigt, geht das gar nicht.
Er hat auch seine Gegner beleidigt und diffamiert, die Demonstrationsgesetze stark verschärft. Steht zu befürchten, dass er in Argentinien ein autoritäres Regime errichtet, wenn er mal wirklich unter Druck gerät?
Das kann ich nicht beurteilen. Klar, sein Politikstil ist vollkommen inakzeptabel, so wie auch der von Donald Trump. Aber er hat seine Gesetze auf demokratischen Wegen umgesetzt. Argentinien ist eine funktionierende Demokratie mit einer freien Presse.
Aber ist seine Reformbilanz wirklich so positiv, dass Christian Lindner ausgerechnet ihn lobend erwähnen muss?
Milei hat es geschafft, die Inflation drastisch zu senken. Dafür musste er harte Budgetkürzungen vornehmen. Das war eine echte Schocktherapie für die Menschen. Doch die meisten sind ihm sehr dankbar, weil die Preise nicht mehr so extrem steigen. Bislang hält er allerdings die Kontrollen des Kapitalverkehrs noch aufrecht. Die müssen weg, sonst springt die Wirtschaft nicht wieder an. Das ist ein kritischer Schritt, der noch vor ihm liegt
Ein Jahr Wirtschaftspolitik von Javier Milei
Javier Milei trat im Dezember 2023 das Amt des argentinischen Präsidenten an und kämpft seitdem gegen Hyperinflation, hohe Armut und wirtschaftliche Missstände. Ein Jahr später: erste Erfolge, aber viele Herausforderungen.
Lindner fordert für Deutschland mehr Disruption. Brauchen wir hier einen wie Milei, der mit der Kettensäge den Staat niedermacht?
Deutschland braucht eine wirtschaftspolitische Wende. Ich kann die harsche Kritik in Deutschland an der Wirtschaftspolitik des argentinischen Präsidenten jedenfalls nicht verstehen. Wenn dieses radikale Programm statt von Milei von einer linken Regierung gemacht würde, gäbe es überhaupt keine Proteste bei uns.
Der Namensgeber Ihrer Stiftung, Friedrich Naumann, sagte über den Staat, er sei eine »höchst notwendige Kontroll- und Aufsichtsinstanz« über die Wirtschaft. Milei behauptet, er verachte den Staat. Wie können Sie Sympathie für ihn aufbringen?
Derzeit betreibt Milei nur ein stramm liberales Stabilisierungsprogramm, für das er vom Internationalen Währungsfonds Applaus bekommt. Von seinen gesellschaftspolitischen Zielen, die aus dem reaktionären Milieu stammen, hat er noch nichts umgesetzt.
Wirklich? Beim Abbau der Verwaltung schmeißt Milei gezielt die Beamten raus, die sich um Gleichberechtigung kümmern.
Ich sehe noch nicht, dass er den gesellschaftlichen Fortschritt auf reaktionäre Weise zurückdreht. Da würde es massiven Widerstand geben. Ich hoffe, dass sich bei ihm gesellschaftspolitisch ein gleicher Pragmatismus durchsetzt wie in der Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Wenn der Staat so weit abgeschafft wird, wie die Libertären um Milei es wollen, würde dann nicht das Gesetz des Dschungels herrschen, wo immer der Stärkere gewinnt?
Die Vorstellung, dass man ohne Staat auskommt oder mit einem minimalen Nachtwächterstaat, ist absurd. Der Staat hat wesentliche Funktionen, das ist Teil der klassisch liberalen Weltanschauung. Die großen Liberalen im 19. Jahrhundert haben der staatlichen Bildung enorme Bedeutung beigemessen, sie ist die Voraussetzung für Chancengleichheit. Wer diese Werte nicht teilt wie Milei, gehört nicht in die liberale Familie. Er ist ein Anarchokapitalist, für den der freie Markt alles ist.
Wie groß, glauben Sie, ist in Ihren liberalen Kreisen in Deutschland die Sympathie für Milei und seine Ideen?
In unserer liberalen Familie gibt es wie in jeder weltanschaulichen Familie einige, die Positionen jenseits des Mainstreams verfolgen und Sympathien für libertäre Positionen empfinden. Das ist normal. Umgekehrt gibt es bei uns Sozialliberale, die einer sozialdemokratischen Vorstellung nahekommen. Diese Unterschiede muss man tolerieren. Aber das heißt nicht, dass Rechtspopulismus in der liberalen Philosophie der Naumann-Stiftung oder in der FDP eine Rolle spielt.
Anfangs hat die Friedrich-Nau- mann-Stiftung Milei in Argentinien zu Veranstaltungen eingeladen und ihn unterstützt. Später hat sie damit aufgehört und sich öffentlich distanziert. Besteht diese Distanzierung weiter?
Daran hat sich nichts geändert. Wir haben in Buenos Aires eine Veranstaltung zu Milei gemacht, da war kein Rechtspopulist eingeladen.
Der Januskopf des Javier Milei
Javier Milei hat Argentinien innenpolitisch stabilisiert, doch außenwirtschaftlich bleibt das Land isoliert. Seine marktliberale Agenda stößt an Grenzen – wagt er den entscheidenden Schritt zur Öffnung?
Libertäres Gedankengut scheint gerade in Mode zu sein. Fischt Christian Lindner in diesem Gewässer, weil seine Partei ums Überleben kämpft?
Dieses Land hat jahrelang selbstgefällig von der Substanz gelebt, das war das Merkmal der Merkel-Ära. Es wurde zu wenig investiert, der Sozialstaat wurde ausgebaut. Von der Problemlage her erfordert das eine wirtschaftsliberale Agenda, da sind sich alle Liberalen einig. Die deutsche Wirtschaft muss wieder wachsen, und wir sehen uns als Motor der nötigen Reformen.
Lindner will den Sozialstaat zurückschrauben. Dabei gab es in der FDP immer auch das Bekenntnis für soziale Verantwortung. Wie viel ist davon übrig?
Wir Liberale sind eindeutig für eine soziale Absicherung. Das ist das Wesen der sozialen Marktwirtschaft. Aber dieses System soll nachhaltig sein. Da sind schwere Fehler gemacht worden, auch beim Bürgergeld. Es ist nicht einzusehen, wenn der Staat eine riesige Umverteilungsmaschinerie ist, die auch Leute fördert, die eigentlich arbeiten könnten. Das ist eine Beleidigung des Steuerzahlers, und Kritik daran hat überhaupt nichts mit Rechtspopulismus zu tun.
Die frühere FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat Lindner dafür kritisiert, dass er Milei und den Trump-Vertrauten Elon Musk gelobt hat. Haben Bürgerrechtsliberale wie Leutheusser-Schnarrenberger in der FDP noch einen Platz?
Sabine ist meine Stellvertreterin bei der Stiftung, wir sind befreundet. Natürlich gibt es unterschiedliche Schwerpunkte. Sabine ist eine Ikone der Bürgerrechte, bei mir spielt das Thema Wirtschaft eine große Rolle. Beides gehört zusammen. In der Geschichte des Liberalismus seit 1848 hat es immer zwei Strömungen gegeben: eine eher wirtschaftspolitisch begründete und eine im Selbstverständnis eher progressive. In der Ampelkoalition wurde auch eine Reihe von Gesetzen zur gesellschaftspolitischen Modernisierung verabschiedet und letzterer Strömung Rechnung getragen. Beide zusammen machen das Profil der FDP aus.
Lindner hat auch positiv über Musk gesprochen. Mit ihm hätte es das Selbstbestimmungsgesetz der Ampel, mit dem Menschen ihr eingetragenes Geschlecht än- dern können, nicht gegeben.
Wir sind weder Milei noch Musk. Musk hat völlig krude gesellschaftliche Vorstellungen und einen klaren Rechtsdrall, damit haben wir nichts zu tun. Aber seine disruptive Innovationskraft verlangt Respekt. Warum hat es keinen Deutschen gegeben, der einen Konzern wie Tesla aufgebaut hat?
Beim Klimaschutz sagt FDP-Chef Lindner mittlerweile, dass wir uns nicht so beeilen müssen. Das klingt ein bisschen nach Milei, der bezweifelt, dass der Klimawandel menschengemacht ist.
Das ist eine bösartige Unterstellung. Lindner hat in zahlreichen Interviews gesagt, es sei sinnlos, fünf Jahre vor den Nachbarn in der EU ins Ziel laufen zu wollen. Dann sparen wir CO2 ein, während die anderen mehr verschmutzen können. Es ist nur sinnvoll, das europäische Ziel gemeinsam zu verfolgen.
Aber läuft Lindner mit solchen Äußerungen nicht einem Zeitgeist hinterher, der den Klimaschutz zunehmend ablehnt?
Dem widerspreche ich scharf. Nicht der Zeitgeist hat sich geändert, sondern die Problemlage. Wir haben lange gedacht, wir könnten uns im Klimaschutz einen deutschen Sonderweg leisten mit dem gleichzeitigen Ausstieg aus Kern- und Kohlekraft. Das ist ein gewaltiger Irrtum, wie die wirtschaftliche Stagnation nun zeigt. Daher rührt auch dieser momentan scharfe Gegensatz zwischen Grünen und FDP.
Milei hat sehr erfolgreich mit der Motorsäge Wahlkampf gemacht. Steht das auch bei der FDP zu befürchten?
Die Motorsäge war ein cleverer Schachzug in Argentinien. Es gab das Gefühl, es muss sich ganz grundsätzlich etwas ändern. Die Leute waren verzweifelt. In dem Augenblick nehmen sie auch rustikale Symbole gern auf.
So verzweifelt sind die Deutschen noch nicht, dass sie empfänglich für die Kettensäge sind?
Paqué: So etwas zu sagen, wäre zynisch. Die Verhältnisse in Argentinien sind viel dramatischer als in Deutschland. Allerdings müssen wir hier das Bewusstsein für den Ernst der Situation wecken. Denn bei uns ist die Krise schleichender.
Das Interview wurde von Jens Glüsing und Gerald Traufetter geführt und erschien erstmals am 6. Dezember 2024 beim SPIEGEL.
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Spiegel-Interview mit Karl-Heinz Paqué