Guatemala
Gefährliche Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien
Besorgniserregend ist die Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien wie der Gewaltenteilung und der Respekt vor der Gerichtsbarkeit durch den Präsident Morales. Dies ist insbesondere in Guatemala, dessen Bürgerkriegswunden noch lange nicht verheilt sind und dessen Demokratie noch in den Kinderschuhen steckt, unverantwortlich und geschichtsvergessen. Dass die Zivilgesellschaft gegen die autoritären Zuckungen des Präsidenten mobil macht, ist vor diesem Hintergrund verständlich und begrüßenswert.
Anfang Januar verkündetete der guatemaltekische Präsident Jimmy Morales, ein TV-Komiker, der zynischerweise mit einer dezidierten Antikorruptionskampagne den Wahlsieg errungen hatte, dass das Mandat der CICIG erloschen sei, und gab deren ausländischen Mitarbeiten 24 Stunden Zeit, das Land zu verlassen. Das Verfassungsgericht hat kurz darauf die Entscheidung kassiert, und Grenzschützern, sollten sie CICIG-Vertreter an der Einreise hindern, die Verhaftung angedroht. Ein CICIG-Ermittler wurde dennoch am internationalen Flughafen von Guatemala-Stadt festgehalten – hierbei wurde der Flughafen von Sicherheitskräften abgeriegelt und zeitweise komplett gesperrt. Kritiker aus der Zivilgesellschaft sprechen angesichts der Tatsache, dass die Exekutive den Anweisungen des Verfassungsgerichts nicht Folge leistet, bereits von einem Staatsstreich in Zeitlupe. Andauernde Proteste sind die Folge. Schon länger hat Morales angekündigt, der CICIG das Mandat nicht zu verlängern. Doch die jetzige Eskalation hat mutmaßlich einen eilbedürftigen Grund: Gegen Morales selbst, dessen Immunität nach seiner Amtszeit im Januar 2020 ausläuft, wird mit Unterstützung der CICIG wegen illegaler Wahlkampffinanzierung ermittelt.
Ex-Präsident Colom und der guatemaltekische Kongress hatten 2007 die Vereinten Nationen gebeten, das Land bei der Bekämpfung der grassierenden Korruption und Straflosigkeit gut 10 Jahre nach dem Ende eines 36-jährigen Bürgerkrieges zu unterstützen. Während in den ersten Jahren der konsultative Teil im Fokus stand, hat sich die CICIG in den letzten Jahren in die gefährlichste Waffe des Justizsystems in Guatemala mit erheblicher investigativer Durchschlagskraft verwandelt. So ist die international viel beachtete Verurteilung des ehemaligen Präsidenten und Generals Rios Montt zu 80 Jahren Gefängnis wegen Völkermords und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (die anschließend vom Verfassungsgericht aufgehoben wurde) direkt auf die Arbeit der CICIG zurückzuführen. Diese hatte die Einrichtung sogenannter Hochrisiko-Gerichte und einer Kronzeugenregelung angestoßen, um unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz von Richtern, Staatsanwälten und Zeugen Verfahren gegen die organisierte Kriminalität und High-Profile-Angeklagte durchführen zu können.
Auch Kritiker der CICIG müssen zugeben, dass deren Arbeit überaus erfolgreich war – zu erfolgreich. Amtierende Präsidenten und Ex-Präsidenten, Wirtschaftsbosse, Parteien – es konnte alle treffen, die ihre Positionen in dem Land illegal ausgenutzt hatten. Viele kannten es nach Jahrhunderten einer de-facto-Feudalherrschaft auch gar nicht anders. So machte man sich mächtige Feinde, auch das Ehrgefühl der stolzen guatemaltekischen Elite mag getroffen worden sein. Die Argumente derer, die die CICIG schon lange beerdigt sehen wollen, lauten: die Souveränität Guatemalas würde verletzt (außer Acht lassend, dass der guatemaltekische Kongress und der damalige Präsident Alvaro Colom die CICIG eingeladen hatten), das Mandat sei überdehnt worden und die CICIG politisiert, ein politisches Instrument der Linken, finanziert von ausländischen Regierungen mit eigener politischer Agenda in Guatemala. Zum Teil wird auch von NGO-Seite kritisiert, dass die CICIG durch ihre exponierte Rolle die nationale Justiz sogar schwäche. Schließlich wird auch von neutralen Beobachtern bemängelt, dass die öffentliche Verwaltung durch die andauernden Ermittlungen bisweilen wie gelähmt sei. Und an diesem Punkt ist tatsächlich etwas dran: auch durch zum Teil prominente Fälle, in denen Angeklagte wegen Korruptionsdelikten ohne Gerichtsverfahren jahrelang in Untersuchungshaft sitzen, besteht in Teilen der öffentlichen Verwaltung große Unsicherheit. Die Folge ist, dass viele sich scheuen, Verwaltungsakte voranzutreiben wie bspw. Bau- und Betriebsgenehmigungen zu erteilen oder Vergabeentscheidungen zu treffen. Die Angst vor existenzbedrohenden Ermittlungen sitzt im Staatsapparat tief.
Eine wesentliche Rolle für Morales´ Schritt dürfte auch das stark nachlassende Interesse der USA für die Arbeit der Kommission spielen. Es ist allgemein bekannt, dass sich das Verhältnis der USA zu den Vereinten Nationen und ihren untergeordneten Institutionen unter Präsident Trump deutlich abgekühlt hat, die Arbeit der Kommission heute schon deshalb anders bewertet werden dürfte.
Präsident Morales und Vertreter der Wirtschaft haben zudem proaktiv an ihrem Image gefeilt: Als eines der wenigen Länder ist Guatemala den USA darin gefolgt, seine Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen. Zudem sind laut US-Regierungsdokumenten seit 2017 über zwei Millionen US-Dollar aus Guatemala an Lobbyisten in Washington DC geflossen. Das scheint sich aktuell auszuzahlen, denn es ist schwer vorstellbar, dass sich Guatemala massivem Druck aus Washington widersetzen könnte – aber das State Department veröffentlichte zu den aktuellen Ereignissen nur ein lauwarmes Statement, das die CICIG noch nicht einmal namentlich erwähnte. Die Trump-Administration scheint dabei zu übersehen, dass eine neuerliche schwere Staatskrise und die damit sicher verbundenen negativen Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung im Land zur Gefahr für sein größtes Wahlkampfversprechen werden könnte: die Bekämpfung illegaler Einwanderung an der Südgrenze der USA, die sich ohnehin vor allem aus den Ländern des nördlichen Dreiecks in Zentralamerika (Guatemala, El Salvador und Honduras) speist.
Noch besteht Hoffnung, dass die CICIG ihre Arbeit fortsetzen kann, denn in einem halben Jahr wird in Guatemala gewählt. Da die Arbeit der CICIG von 70% der Guatemalteken positiv bewertet wird, dürfte die Wahlkampfforderung nach einer Wiederaufnahme des CICIG-Mandats ein Gewinnerthema sein. Ein Automatismus ergibt sich daraus aber noch lange nicht, denn unter den möglichen Anwärtern auf das höchste Staatsamt finden sich wie immer Vertreter der alten Elite – mit viel Einfluss und noch mehr Geld (eine erfolgreiche Präsidentschaftskampagne kann in dem 17-Millionen-Einwohner-Land schon mal sagenhafte 90 Millionen US-Dollar kosten). Sollte es ein Comeback der CICIG geben, sollte das Mandat auch aufgrund ihres Erfolges in den vergangenen Jahren nach einem möglichst breiten gesellschaftlichen Diskurs behutsam angepasst werden, um die Legitimation der Kommission in Guatemala zu erneuern. Doch damit es dazu kommt, sollte die internationale Gemeinschaft – vor allem die USA - mit aller Macht darauf drängen, dass Morales doch noch zurückrudert.
David Henneberger ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Zentralamerika