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Im Süden nichts Neues?

Italien vor den Parlamentswahlen
Briefwahlunterlagen

Die Briefwahlunterlagen sind bereits seit einiger Zeit versandt

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit/ Concu

Nachdem der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella Ende Dezember 2017 die Auflösung des Parlaments erwirkte, sind am Sonntag 51 Millionen Italienerinnen und Italiener zu dessen Neuwahl aufgerufen. Zwar blieben im vergangenen Jahr europäische Populisten bei Wahlen in den Niederlanden sowie in Frankreich hinter ihren eigenen Erwartungen zurück, jedoch steht der EU am Sonntag wieder eine dieser Schicksalswahlen bevor. Nächster Halt: Italien.

Die aktuelle politische Ausgangslage in Italien kann als „instabil bis zerrüttet“ beschrieben werden. Durch die europäische Finanzkrise sowie die Flüchtlingskrise wurde das Land in den vergangenen Jahren gleich mehrmals auf die Probe gestellt, die Folgen sind weiterhin spürbar. Wenngleich sich die Lage 2017 zwar verbesserte, bieten die politischen Rahmenbedingungen Italiens weiterhin einen idealen Nährboden für Nationalisten und Populisten aller Art.

Bei den letzten offiziellen Umfragen Mitte Februar lag eine Mitte-Rechts-Koalition mit 37% der Stimmen vorn, bestehend aus der konservativen, wirtschaftsliberalen Forza Italia, der rechtspopulistischen Lega Nord und der nationalkonservativen Fratelli D’Italia.

Der mittlerweile 81-jährige Silvio Berlusconi, Forza Italia-Urgestein und nicht nur aus politischen Gründen das prominenteste Gesicht der Partei, darf bis 2019 aufgrund eines laufenden Gerichtsverfahrens kein öffentliches Amt bekleiden. Dies hielt ihn jedoch in exemplarischer Stehaufmännchen-Manier keineswegs davon ab, auf Wahlplakaten mit „Berlusconi Presidente“ zu werben und jüngst eine Werbetour in Brüsseler EU-Kreisen abzuhalten. Da es in Italien durchaus üblich ist, dass jemand Ministerpräsident wird, der zuvor im Wahlkampf keine Rolle spielte, sei im Falle eines Wahlsieges Parteikollege Antonio Tajani, zurzeit Präsident des Europäischen Parlaments, Favorit für das Amt des Premierministers, so Berlusconi. Tajani, als treuer Gefolgsmann Berlusconis bekannt, wollte sich hierzu bisher nicht näher äußern.

Was bedeutet die Wahl für Europa?

Mehr Sorgen als über Personalentscheidungen der Forza Italia macht man sich in Europa allerdings über die Lega Nord als möglicher Juniorpartner. Die propagiert zwar nicht mehr den Euroaustritt, steht aber neben der Abspaltung des italienischen Nordens vor allem für Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit. Damit gehört sie zu den klaren Profiteuren der Flüchtlingskrise, wie Umfragewerte von rund 15% unterstreichen. Weiteres Sorgenkind ist die europaskeptische Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers und Populisten Beppe Grillo, die derzeit als erfolgreichste Einzelpartei mit rund 27% der Stimmen gilt. Die Anti-Establishment Partei ist vor allem bei der jüngeren Generation beliebt; eine Regierungsbeteiligung ist aufgrund fehlender Allianzen aber unwahrscheinlich.

Stimmzettel

Welche Parteien werden die meisten Kreuze auf den Stimmzetteln erhalten?

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit/ Concu

Bleibt noch die Mitte-Links-Koalition zwischen der innerlich gespaltenen Partito Democratico (PD) von Matteo Renzi und einigen kleineren Wahlbündnissen, darunter auch Più Europa („Mehr Europa“) mit dem ALDE-Mitglied Radicali Italiani. Der einstige Polit-Shootingstar und Ex-Ministerpräsident Renzi, dessen PD 2013 mit rund 40% noch großer Wahlgewinner war, ist nun zum Sündenbock der Italiener geworden. Doch was führte zu dieser politischen Talfahrt? Viele nehmen Renzi die drastischen und tiefgreifenden Reformen vor allem während der in Italien mittlerweile überwundenen Wirtschafts- und Finanzkrise noch immer übel, ebenso wie eine zu starke Personalisierung und Mediatisierung seiner Politik mit Hang zur Provokation und Herabsetzung politischer Gegner. PD-Premierminister Paolini Gentiloni, der nach Renzis Rücktritt im Dezember 2016 das Amt des Ministerpräsidenten übernommen hatte, ist zwar die beliebteste politische Führungsperson der Italiener, kann als Mitglied einer pro-europäischen Regierungspartei angesichts des derzeitigen politischen Klimas zwischen Euroskeptizismus, zunehmendem Nationalismus und einem allgemeinen Vertrauensverlust in politische Eliten in Italien aber wenig ausrichten.  

Hoffnungsträger: „Mehr Europa“

Als kleiner liberaler Hoffnungsschimmer am politischen Firmament könnte sich die noch junge liberale pro-europäische Koalition Più Europa entpuppen, die erst im November 2017 von den italienischen Liberalen Radikali Italiani sowie Forza Europa gegründet wurde. Unter der Leitung von Emma Bonino, die als ehemalige EU-Kommissarin, Europaabgeordnete, mehrmalige Ministerin und Parteichefin von Radikali Italiani eine langjährige nationale wie europäische Laufbahn vorweist, kämpft das Bündnis an der Seite der regierenden PD für ein Mitte-Links-Bündnis, dessen Umfragewerte jedoch nur rund 27% betragen.

Derzeit deutet Einiges darauf hin, dass keine der großen italienischen Parteien am 4. März eine Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen können wird. Dies liegt auch am neuen Wahlsystem Rosatellum vom Oktober 2017, das stärker Proportionen abbildet und angesichts der drei etwa gleich starken Blöcke eine Mehrheits- und damit auch Regierungsbildung erschwert. Beobachter halten deshalb eine Koalition aus Berlusconis Forza Italia und der Partito Democratico als wahrscheinlichste und aus europäischer Sicht vorteilhafteste Option, da weder Lega Nord noch die Fünf-Sterne-Bewegung an der Regierung beteiligt wären. Denkbar wäre, dass sich kleinere Parteien der Mitte und damit auch Più Europa dieser großen Koalition ebenfalls anschließen. Ähnlich wie nach der deutschen Bundestagswahl wird man sich also auch in Italien auf komplizierte Koalitionsverhandlungen nach der Wahl einstellen müssen. Im schlimmsten Fall droht eine Pattsituation mit Neuwahlen, was alles andere als zur Stabilisierung der politischen Situation beitragen würde. Zusätzlich unvorhersehbar wird der Ausgang der Wahl auch dadurch, dass Meinungsumfragen ab 15 Tagen vor der Wahl verboten sind und viele Wahlberechtigte bei der letzten Umfrage am 16. Februar noch unentschlossen waren.

Carmen Gerstenmeyer ist European Affairs Manager der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel.