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Meinungsfreiheit
"Jeder weitere Tag in Haft könnte sein letzter sein"

Unser Vorstand Sabine Leutheusser-Schnarrenberger appelliert an die Bundeskanzlerin
Oleg Sentsov
Der ukrainische Filmemacher Oleg Senzow © AntonymonOleg Sentsov, Ukrainian political prisoner in Russia, 2015, Bildausschnitt bearbeitet, CC BY-SA 4.0

Seit mehr als vier Jahren befindet sich der ukrainische Filmemacher Oleg Sentsov in russischer Haft. Vor mehr als 90 Tagen ist er in einen Hungerstreit eingetreten, um die Freilassung aller ukrainischen politischen Gefangenen in Russland zu erwirken. Sein Fall hat international großes Aufsehen erregt. Im Rahmen einer von der Schriftstellervereinigung PEN-Zentrum initiierten Aktion hat unser Vorstandsmitglied Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sich an die Bundeskanzlerin gewandt. Vor dem morgigen Treffen mit Präsident Putin bittet sie Angela Merkel eindringlich, sich für die Freilassung von Oleg Sentsov einzusetzen.

Der Brief im Wortlaut: 

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

aus Anlass Ihres bevorstehenden Treffens mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin wende ich mich in einer wichtigen Angelegenheit an Sie:

Seit seiner Verhaftung am 11. Mai 2014 sitzt der ukrainische Schriftsteller und Filmemacher Oleg Sentsov in russischen Gefängnissen und Arbeitslagern ein. In einem politischen Schauprozess wurde er mit den haltlosen Vorwürfen konfrontiert, terroristische Handlungen geplant zu haben. Tatsächlich liegt der Verhaftung seine öffentliche Kritik an der russischen Intervention auf der Krim zugrunde. Die Haftbedingungen, denen Sentsov und viele weitere politische Gefangene ausgesetzt sind, sind unzumutbar.

 Am 14. Mai 2018, über vier Jahre nach seiner Festnahme, hat Sentsov einen unbefristeten Hungerstreik begonnen. In einem handgeschriebenen Brief stellt er die Bedingung, dass alle „ukrainischen politischen Gefangenen, die sich auf dem Territorium der Russischen Föderation befinden“, freigelassen werden.

Nach mehr als 90 Tagen im Hungerstreik hat sich Sentsovs Gesundheitszustand mittlerweile dramatisch verschlechtert. Er wird medizinisch nicht angemessen versorgt; Kontakt nach außen ist kaum möglich. Sentsov ist physisch und psychisch am Ende seiner Kräfte. Jeder weitere Tag in Haft könnte sein letzter sein.

Die deutsche Regierung hat sich immer in der Pflicht gesehen, sich für den Schutz der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit einzusetzen.

Ich bitte Sie daher eindringlich, sich im Rahmen des bevorstehenden Treffens mit Präsident Putin besonders für die Freilassung Sentsovs stark zu machen. Oleg Sentsov darf nicht der politischen Justiz Russlands zum Opfer fallen.

Für Ihre Bemühungen bedanke ich mich im Voraus.

Mit freundlichen Grüßen

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

  • Offener Brief von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger an die Bundeskanzlerin