Türkei
Mit Erdoğan gibt es kein Miteinander der Kulturen
Dieser Artikel wurde am Sonntag, den 30. September 2018 bei Focus Online veröffentlicht und ist online auch hier zu finden.
Der Staatsbesuch von Recep Tayyip Erdogan ist durch die Kölner Ereignisse zu dem geworden, was von Beginn an zu befürchten stand: ein Bärendienst für das deutsch-türkische Verhältnis.
Noch selten dürfte es in der bundesrepublikanischen Geschichte einen Staatsbesuch gegeben haben, dessen (letztlich überraschend friedvolles) Ende so von den Gastgebern herbeigesehnt wurde wie der des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in diesen Tagen.
Die große Mehrheit der Bundesbürger hegt erhebliche Zweifel, ob man sich das überhaupt habe antun müssen. Während Tausende (unter ihnen zahllose Bundesbürger) "ihren Präsidenten" bejubeln, die "gleiche Luft wie er atmen" wollen, können sich andere nicht genug ergehen in der Kritik am erneuten "Einknicken" Deutschlands gegenüber dem Autokraten vom Bosporus.
Deutschland und Türkei: Was sind die Folgen von Erdogans Auftritt?
Wo steht das deutsch-türkische Verhältnis nun – am Tag Eins nach der Erdogan-Visite? Hat der Besuch mehr positive oder mehr negative Resultate? War das gesamte Staatsbesuch-Brimborium erforderlich oder hätte man die ganze "Chose" auch "billiger" haben können?
Fangen wir hinten an: Wer sich einen Staatspräsidenten einlädt – und hieße er gleichwohl Recep Tayyip Erdogan -, der muss ihn mit dem für höchste Staatsgäste üblichen Protokoll empfangen. Nichts anderes als das ist geschehen, wurde mit zum Teil eiserner Miene abgearbeitet. Den Gast hat das offenkundig nicht gestört: Er verkauft seinen (weitgehend gleichgeschalteten) Medien den gesamten Besuch als vollen Erfolg (für die Türkei und ihre Beziehungen zu Deutschland).
War es aber in Anbetracht des maladen Zustandes der bilateralen Beziehungen richtig, zu diesem Zeitpunkt just einen Staatsbesuch anzusetzen? Man möchte den sehen, der mit tiefster Überzeugung behauptet, dass es nicht auch ein erweitertes Regierungstreffen getan hätte! Gerade weil man die (nicht neuen, aber weiter vertieften) Machtstrukturen in der Türkei kennt, musste der symbolische Einstieg in einen Prozess der Normalisierung der Beziehungen nicht über die Person Erdogan erfolgen. Jeder weiß, dass der autokratische Führer der Türkei ohnehin immer "mit am Tisch" sitzt, wenn man mit Repräsentanten seiner "neuen" Türkei spricht – und das sollte man zweifellos aus vielerlei Gründen auch weiterhin tun!
Aber muss man dem Autokraten deshalb auch noch die große protokollarische Bühne bereiten?
Auch im Nachhinein bleibt der Eindruck, dass dieser Staatsbesuch zumindest falsch terminiert war – "gut gemeint" ist leider häufig "schlecht gemacht"!
Laut türkischen Medien war die Staatsvisite eine Machtdemonstration
Verstehen beide Seiten die (bestens bekannten) Anliegen der jeweils anderen nun (noch) besser? Ist damit die Grundlage für eine substantielle Verbesserung der Beziehungen geschaffen worden? Wenn man die (eher marginale) Berichterstattung der türkischen Medien über die Deutschland-Visite Erdogans verfolgt, dann ergibt sich der Eindruck, dass der Präsident der deutschen Seite unmissverständlich klar gemacht habe, was sich bei ihr (!) ändern müsse, damit die ja – traditionell guten – Beziehungen wieder an alte, gute Zeiten anknüpfen können.
Da ist von "gemeinsamen (wirtschaftlichen) Interessen" die Rede, von den diversen "Terroristen", die nicht länger auf deutschen Straßen frei herumlaufen" dürften, von "Rassismus und Islamophobie", denen dringendst Einhalt geboten werden müsse, von unzureichendem "Respekt und Anerkennung" für die Leistung der Türkei bei der Bewältigung der Folgen des syrischen Bürgerkrieges.
Kein Wort aber von der deutschen Kritik am Zustand von Demokratie und Rechtsstaat in der Türkei. Kein Wort vom deutschen Plädoyer für den Erhalt der demokratischen Grundfreiheiten für alle Bürger der Türkei, aber auch für sich dort als Gäste aufhaltende Bundesbürger.
Tiefe geistige Gräben zwischen Deutschen und Türken
Es dürfte – zusammenfassend – keiner großen prognostischen Fähigkeit bedürfen, um vorauszusagen, dass sich nichts, aber auch gar nichts in der Türkei nach diesem Besuch zum Besseren wenden wird. Viel zu tief sind die geistigen Gräben zwischen den politischen Kulturen in Zentraleuropa und in Zentralanatolien. Und dies beeinflusst eben fundamental den Zustand der bilateralen Beziehungen.
Bleibt die Frage, ob der Besuch dem Zusammenleben zwischen "Kartoffeldeutschen" und ihren türkischen Mitbürgern genützt habe? Hat er deren "Nebeneinander" tendenziell zu einem "Miteinander" verwandelt?
Hier nun dürfte ein besonders negatives Urteil zu fällen sein: Wenn es noch eines symbolischen Aktes bedurft hätte, um zu zeigen, dass die Integration vieler türkischer Bürger in die deutsche Gesellschaft (aus welchen Gründen letztlich auch immer) nicht gelungen ist, dann sind es die Tage und Stunden von Köln, in denen mehr Porzellan zerschlagen wurde, als man es in Jahren wieder kitten könnte.
Die Vorgänge um die Moschee-Einweihung in Köln zeigen, um was es der türkischen Seite in erster Linie ging: um die Demonstration der Präsenz, ja des Machtanspruchs des türkischen Staates, der neuen islamisch-nationalistischen Türkei, in einer anderen Gesellschaft. Für diese Demonstration war man bereit, jegliche Konflikte mit der deutschen Umgebung einzugehen, die die Einweihung zu einem ostentativen Fest des Miteinanders hatte machen wollen. Mit Recep Tayyip Erdogan gibt es kein Miteinander der Kulturen und der Religionen. Wer das noch nicht gewusst haben sollte, dem hat es der türkische Präsident durch das – wahrscheinlich sogar eher unbewusste – Zeigen des Rabia-Grußes der islamistischen Moslem-Bruderschaft deutlich vor Augen geführt.
Fazit
Der Staatsbesuch von Recep Tayyip Erdogan ist durch die Kölner Ereignisse zu dem geworden, was von Beginn an zu befürchten stand: ein Bärendienst für das deutsch-türkische Verhältnis und – weit schlimmer – ein Bärendienst für alle, denen der Kampf gegen sich ausbreitende Tendenzen der Xenophobie und der Intoleranz in Deutschland sowie gegen den rapide fortschreitenden Autoritarismus in der Türkei wirklich am Herzen liegt.