Oppositionsführer, PR-Genie oder politischer Hasardeur?
Am 12. Februar 2018 ist der staatenlose georgische Ex-Präsident aus der Ukraine nach Polen abgeschoben worden. Sein Ehrgeiz, eine entscheidende Rolle in der ukrainischen Politik zu spielen, ist groß – die Unterstützung in der Bevölkerung überschaubar. Für die demokratische Entwicklung des Landes braucht es etwas anderes als Polittheater.
Es war der 12. Februar: Der Rosenrevolutionär, georgische Ex-Präsident, Ex-Leiter der Oblastverwaltung von Odessa und derzeit staatenlose selbsternannte ukrainische Oppositionsführer Micheil Saakschwili saß zu Tisch in der Kiewer Museumsgasse 10 unweit der Zentrale seiner Partei „Bewegung Neuer Kräfte“. Maskierte ukrainische Spezialkräfte stürmten das (georgische) Restaurant Sulguni und verhafteten ihn. Bereits kurze Zeit später illustrierten Überwachungsaufnahmen in georgischen und ukrainischen Medien, wie Saakaschwili recht unsanft aus dem Lokal in einen bereitstehenden Kleinbus gebracht wurde. Und dann ging alles ganz schnell: Es folgte die Fahrt zum Flughafen, von wo aus er in einem Privatjet nach Polen ausgeflogen wurde.
Durchgeführt wurde die Aktion, wie inzwischen bekannt ist, von Kräften des Grenzschutzes im Auftrag des Migrationsdienstes. Zugleich laufen in der Ukraine staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen Saakaschwili, da er angeblich seine Anti-Poroschenko-Kampagne durch einen Oligarchen aus dem Umfeld des Ex-Präsidenten Janukowitsch finanzieren lasse und den gewalttätigen Sturz der Kiewer Führung geplant habe.
Die ukrainischen Behörden hatten gelernt: Zu wenig Zeit war diesmal, um über soziale Netzwerke ihm zu Hilfe eilende Anhänger zu mobilisieren, die eine weitere Befreiungsaktion hätten starten könnten. So war es am Morgen des 5. Dezember geschehen: Ein Verhaftungsversuch Saakaschwilis in seiner Wohnung scheiterte zunächst an seiner offensichtlich stabilen Wohnungstür. Es soll über eine halbe Stunde gedauert haben, bis die Einsatzkräfte diese geöffnet bekamen. Diese Zeit nutzte er, um auf das Dach seines Wohnhauses zu fliehen mit der Drohung, sich vom Dach stürzen zu wollen, und einem Aufruf an seine Unterstützer, ihm zu helfen. Und diese kamen dann auch – ebenso wie zahlreiche Kamerateams, die seinen Auftritt auf dem Dach in die Nachrichten der Welt brachten. Nachdem die Sicherheitskräfte seiner schließlich habhaft wurden und er in das bereitgestellte Fahrzeug gebracht wurde, hatten sich bereits zahlreiche Unterstützer eingefunden, die ihn schlussendlich befreiten – wiederum Bilder, die um die Welt gingen.
„Mischa“, der Medienprofi, ließ die ukrainischen Behörden schon mehrfach ziemlich hilflos aussehen. Unvergessen ist sein spektakulärer Grenzdurchbruch im September vergangenen Jahres, als er ohne gültige Papiere und inmitten laufender Kameras aus Polen die Grenze zur Ukraine überquerte, umringt von Anhängern, die die ukrainischen Grenzbeamten einfach zur Seite schoben.
Warum er nach Polen ausgeflogen wurde und nicht nach Georgien, wo Saakaschwili wegen Amtsmissbrauchs im Januar in Abwesenheit zu drei Jahren Gefängnis rechtskräftig verurteilt worden war und von wo ein Auslieferungsersuchen vorliegt, kann nur vermutet werden. Wahrscheinlich ist die georgische Seite nicht wirklich daran interessiert, ihn in Georgien zu haben. Der ukrainische Grenzdienst erklärt dies so: Er sei in Zusammenarbeit mit dem Migrationsdienst und anderen Strafverfolgungsbehörden festgenommen und in das Land seines vorherigen Aufenthalts gebracht worden, da er sich illegal in der Ukraine aufhielt. Der ukrainische Migrationsdienst verlautbarte in einer Pressemitteilung, nach der Ablehnung seines Asylantrags sei er im Rahmen des Rückübernahmeabkommens zwischen der Europäischen Union und der Ukraine nach Polen zurückgeführt worden. In Warschau wurde anschließend die Ankunft Saakaschwilis bestätigt: Man habe dem Ersuchen der ukrainischen Behörden zugestimmt, da er Ehepartner einer Bürgerin der Europäischen Union sei. Saakaschwilis Frau Sandra Roelofs besitzt die niederländische Staatsbürgerschaft.
Am 15. Februar postete Saakaschwili dann auf seiner Facebookseite ein Foto, dass ihn mit einem niederländischen Personalausweis zeigt: „Als ich in den Niederlanden ankam, erhielt ich einen Personalausweis, der es mir erlaubt, in EU-Ländern zu leben und zu arbeiten“, kommentierte er, und fuhr fort: „In Amsterdam habe ich zum ersten Mal in der letzten Zeit ein echtes Dokument, das meine Identität beweist. Unmittelbar nach meiner Ankunft in den Niederlanden erhielt ich eine ID-Card. Das dauerte nur wenige Minuten. Aber ich bin fest entschlossen, meine ukrainische Staatsbürgerschaft wiederzubekommen“. Die Niederlande als vorerst letzte Station Saakaschwilis – des Gehetzten, Verfolgten und Unverstandenen?
Georgien: Vom Volkstribun zum Sonnenkönig
Die perfekte mediale Inszenierung beherrschte Saakaschwili schon zu Zeiten seiner Präsidentschaft in Georgien. Die Medienpräsenz während seiner Amtszeit war allgegenwärtig. Nicht zuletzt wegen eines ihn permanent begleitenden eigenen TV-Teams, das professionell seine Auftritte – ob als Staatsmann mit ausländischen Gästen, als Löser von Problemen aller Art, im Gespräch mit Bauern im abgelegensten Dorf oder bei der Eröffnung von Bauwerken, die noch gar nicht fertig waren – minutiös plante und perfekt in Bilder brachte. Bilder, die natürlich von nahezu allen georgischen TV-Stationen gesendet wurden.
Bereits zur so genannten Rosenrevolution 2003 standen die Kameras in bester Position, als Saakaschwili mit einer Rose in der Hand ins Parlament stürmte, während der damalige Präsident Eduard Schewardnadse von seinen Leibwächtern durch eine Nebentür aus dem Gebäude geführt wurde. Seine Amtszeit als Präsident von Georgien dauerte von Januar 2004 bis 2013. Die Politik des Präsidenten und seines von überwiegend jungen, im Ausland ausgebildeten Mitstreitern gebildeten Kabinetts war eindeutig westorientiert. Lange war der Held der Rosenrevolution ein Liebling des Westens. Von Hillary Clinton und John McCain – in seltener Eintracht – 2005 zum Friedensnobelpreis vorgeschlagen, bezeichnete US-Präsident George W. Bush ihn anlässlich seines Besuchs im gleichen Jahr in Tiflis als „Leuchtturm der Demokratie“. Und seine Erfolge konnten sich durchaus sehen lassen. Er krempelte das Land um: Abschaffung der Alltagskorruption, Schaffung eines funktionierenden Staatsapparates, eine Polizeireform, bei der er zunächst erstmal alle Polizisten entließ, die Heranführung an EU- und Nato-Strukturen, ein massiver Bürokratieabbau sowie eine wirtschaftliche Liberalisierung verbunden mit umfassender Privatisierung staatlicher Betriebe fallen in seine Amtszeit.
Im Vergleich zu allen Nachbarstaaten kann Georgien in diesen Punkten durchaus als „Leuchtturm“ bezeichnet werden. Die Erfolge Saakaschwilis sind unbestritten, jedoch entwickelte sich der einst gefeierte Volkstribun immer mehr zu einem selbstverliebten Autokraten, der Proteste niederknüppeln ließ, politische Gegner – vorsichtig formuliert – unter Druck setzte und wie ein kleiner Sonnenkönig in dem von ihm errichteten neuen Präsidentenpalast residierte und regierte. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wuchs, nicht zuletzt auch wegen fehlender Armutsbekämpfung. Das Fass zum Überlaufen brachten schließlich Videos von Vergewaltigungen in Gefängnissen. Bei den Wahlen im Oktober 2012 kam es dann zum Erdrutschsieg des vom Milliardär Bidsina Iwanischwili aus verschiedensten Parteien und Kräften zusammengezimmerten Bündnisses „Georgischer Traum“. Es folgte eine Zeit der Kohabitation mit Saakaschwili als Staats- und Iwanischwili als Ministerpräsidenten.
Es schien, als sei die politische Karriere Saakaschwilis mit Ablauf seiner Amtszeit im November 2013 beendet. Als letzter Verdienst wurde ihm angerechnet, dass er den Sieg des „Georgischen Traums“ anerkannte, was schließlich zu einem friedlichen Machtwechsel führte. Dies ist nicht selbstverständlich in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. sondern, sieht man vom Baltikum ab, sogar ziemlich einzigartig.
Anschließend wurde es ruhig um „Mischa“. Er ging in die USA, wo er als Gastprofessor tätig war und Vorträge hielt, bevor er Anfang 2015 in der Ukraine auftauchte.
Gastspiel in Odessa
Im Februar 2015 berief der ukrainische Präsident Petro Poroschenko Saakaschwili zunächst zu seinem Berater. Es folgte im Mai die Ernennung zum Leiter der Oblastverwaltung von Odessa, verbunden mit der Erteilung der ukrainischen Staatsbürgerschaft durch Poroschenko persönlich. Saakaschwilis offizielle Hauptaufgaben: Kampf gegen Korruption und Schmuggel (inoffiziell dürfte sein wichtigster Auftrag gewesen sein, den regionalen Einfluss des Oligarchen Igor Kolomojskij einzudämmen, was ihm in der Tat gelang). Während seiner Amtszeit wurde auch hier eine neue Streifenpolizei geschaffen, die parallel zur „alten“ Polizei arbeitete. Nach georgischem Vorbild wurde ein Bürgerzentrum zur Erledigung öffentlicher Dienstleistungen eröffnet, das sich jedoch im Vergleich zu anderen Bürgerzentren des Landes, die zum Teil mit Unterstützung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit aufgebaut wurden, weniger als effizient denn als prunkvoll erwies und inzwischen schon nicht mehr funktioniert. Verschiedene Behörden wurden umstrukturiert, Mitarbeiter ausgetauscht. Doch so recht kam Saakaschwili mit seinen Reformen nicht voran und trat im November 2016 von seinem – von Beobachtern als aussichtsloser Posten bezeichneten – Amt zurück. Seine Begründung: Es fehle an Unterstützung durch den Präsidenten und seine Administration. Der Rücktritt markiert das vordergründige Ende der Freundschaft zum einstigen Studienfreund Poroschenko, zu dem sich Saakaschwili seither auf Konfrontationskurs befindet. Im Juli 2017 – Saakaschwili befand sich auf einer Auslandsreise – wurde ihm schließlich die ukrainische Staatsbürgerschaft entzogen. Da er die georgische Staatsbürgerschaft 2015 durch die Annahme der ukrainischen verloren hatte, wurde er somit staatenlos.
Oppositionsführer, PR-Genie oder politischer Hasardeur?
Die medienwirksam inszenierten Auftritte Saakaschwilis von seiner illegalen Einreise in die Ukraine über seine Auftritte im ganzen Land und die Versuche seiner Verhaftung werden in der Ukraine zu Recht von vielen Menschen als Politzirkus wahrgenommen. Und sie werfen Fragen auf – etwa, ob die Behörden tatsächlich nicht in der Lage sind, einen illegalen Grenzübertritt zu verhindern oder eine Festnahme durchzuführen, oder ob man ihm absichtlich Handlungsspielräume belässt.
Das haben auch die demokratisch und liberal gesinnten Oppositionskräfte inzwischen erkannt. Zunächst hatten verschiedenste Parteien durchaus Hoffnungen auf ihn gesetzt – der per Facebook-Video live verfolgbare illegale Grenzübertritt in die Ukraine war seinerzeit etwa nicht nur von der Presse, sondern auch von mehreren Abgeordneten begleitet worden. Inzwischen haben die Hoffnungen längst der Ernüchterung Platz gemacht: Für einen Kampf als einer unter Gleichen ist Saakaschwili nicht zu haben. Ihm schwebt das Amt des Ministerpräsidenten vor, das er im Falle der Wiedererlangung der ukrainischen Staatsbürgerschaft rein formal auch anstreben könnte, anders als die Präsidentschaft, die nur langjährigen Staatsbürgern offensteht. Die demokratischen Oppositionsvertreter haben sich inzwischen weitgehend von ihm distanziert, wenn sie auch unter rechtsstaatlichem Blickwinkel seine Rückkehr fordern.
Seine Protestbewegung ist ohnehin weit von einer Massenmobilisierung entfernt. Das seit Oktober 2017 bestehende Camp vor dem Parlamentsgebäude ist den meisten Kiewern ein Dorn im Auge, weil es eine Hauptverkehrsstraße versperrt, und die sonntäglichen Demonstrationen im Zentrum Kiews bestehen nur zum Teil aus Saakaschwili-Anhängern. Ihnen schließen sich Poroschenko-Kritiker aller Coleur an, die ihren Unwillen über Korruption und Reformstau ausdrücken wollen. Die politische Partei Saakaschwilis, „Bewegung Neuer Kräfte“, erreicht in aktuellen Umfragen nur ein Prozent.
Mag Saakaschwili ein charismatischer Politiker sein und etwa mit dem Ruf nach wirksamer Korruptionsbekämpfung und einem neuen Wahlgesetz teilweise die richtigen Forderungen stellen – letztlich braucht das Land etwas anderes als einen mediengewandten politischen Hasardeur, der niemanden neben sich duldet und zudem mit seiner Forderung nach vorgezogenen Neuwahlen an der institutionellen Stabilität der Ukraine rüttelt.
Was das Land braucht, sind politische Parteien, die demokratisch von der Basis aus wachsen, sich mehr über ein Wertefundament als über eine Führungsperson definieren und geeignet sind, auf Dauer einen echten politisch-programmatischen Wettbewerb zu gewährleisten. In diesem Sinne ist es zu begrüßen, dass etwa die liberalen Partnerparteien der Stiftung für die Freiheit, „Bürgerposition“ und „Kraft der Menschen“, den Mühen der Ebene treu bleiben und der Versuchung widerstanden haben, sich einer Führung durch Saakaschwili unterzuordnen.
Ob dessen politische Karriere in der Ukraine nun beendet ist, bleibt abzuwarten. Einen Rückzug aufs politische Altenteil kann er sich nach eigenem Bekunden zumindest nicht vorstellen und kündigte an, unbedingt in die Ukraine zurückkehren zu wollen. Zuletzt nutzte er offenbar die Münchner Sicherheitskonferenz, um bei alten Freunden um Unterstützung zu werben.
Beate Apelt ist Projektleiterin der Stiftung für die Freiheit für die Ukraine & Belarus mit Sitz in Kiew.
Peter-Andreas Bochmann ist Projektleiter der Stiftung für die Freiheit für den Südkaukasus mit Sitz in Tiflis.