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Orbáns zwangsläufiger Wahlsieg

5 Gründe, welche die Ergebnisse der Parlamentswahl in Ungarn nachvollziehbar machen
Viktor Orbán
Viktor Orbán verkündet den Sieg seiner Fidesz-Partei © CC BY-SA 4.0 commons.wikimedia.org/ Elekes Andor

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán wurde am Sonntag bei der Parlamentswahl für eine vierte Amtszeit und die dritte in Folge wiedergewählt. Nach Auszählung von 98,5 Prozent der Stimmen, kam seine Partei Fidesz auf 48,8 Prozent, weit vor der radikal nationalistischen Partei Jobbik, die 19,4  Prozent erreichte. Das Bündnis aus Sozialisten (MSZP) und der Kleinpartei Párbeszéd (Dialog für Ungarn) erhielt 12,3 Prozent der Stimmen und 20 Sitze im Parlament, während die linksliberale Demokratische Koalition (DK) und die Grünen (LMP) neun bzw. acht Sitze bekamen. Die Wahlergebnisse haben der regierenden Partei Fidesz eine (knappe) verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit in der Nationalversammlung gesichert.

In den vergangenen acht Jahren hat Orbáns Regierung die Kontrolle über die Medien ausgebaut und durch Verbündete in der Wirtschaft ihren Einfluss auf den Bankensektor, Energiekonzerne, das Bauwesen und den Tourismus erweitert. Orbáns Regierung ist immer wieder mit der EU in Konflikt geraten, nachdem sie große Teile der Medien in die Hände ihrer Anhänger gelegt, die Wahlregeln neu geschrieben und, wie Kritiker sagen, das demokratische System von „checks and balances“ systematisch untergraben hat. Viele  Kritiker beschuldigen Orbán, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gegenüber zu entgegenkommend zu sein und gar ein besonders enges politisches Verhältnis mit ihm zu pflegen.

Kein Wunder, dass die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union die Ergebnisse sehr genau beobachteten, da sie nicht zuletzt befürchten, dass ein klarer Sieg der Fidesz-Partei Rechtsnationalisten in anderen mitteleuropäischen Ländern, insbesondere in Polen und Österreich, und einen damit verbundenen EU-feindlichen Kurs stärken könnten.

Dieser klare Sieg ist nun Wirklichkeit geworden. Trotz aller berechtigten Kritik an seinem Regime konnte Orbán im Vergleich zu 2014 diesmal fast 364 500 zusätzliche Wählerstimmen für sich gewinnen. Viktor Orbán wusste sehr genau, wo die Wahl entschieden wird und konzentrierte seinen Wahlkampf ausschließlich auf seine Basis, die in von ihm geschaffenen Bedingungen lebt. Hier sind fünf Gründe, die erklären, warum Orbán fast zwangsläufig siegen musste:

1. Ein Wahlsystem, das die stärkste Partei begünstigt

Eine der ersten Entscheidungen der neuen Fidesz-Regierung unter Viktor Orbán nach dem Wahlsieg im April 2010 war der Aufbau eines neuen Wahlsystems. Das 2011 verabschiedete neue Gesetz hat bedeutende Veränderungen mit sich gebracht, einschließlich der Umstrukturierung der Wahlkreise, der Abschaffung der regionalen Listen und der Mindestwahlbeteiligung, des Stichwahlsystems, der Listen der nationalen Minderheiten, der Möglichkeit, ohne ungarischen Wohnsitz wählen zu können, und der Einführung eines Siegerbonus für die stärkste Partei. Noch einmal begünstigt wird die relativ stärkste Partei dadurch, dass 106 der 199 Sitze in der Nationalversammlung in Einzelwahlkreisen entschieden werden. Die Opposition fand zu keiner gemeinsamen Strategie gegen diese Benachteiligung. Sie war zersplittert und Stimmen für die Opposition in den Direktwahlkreisen verteilten sich jeweils auf mehrere Parteien, was am Ende bedeutete, dass Fidesz Mandate in Einzelwahlkreisen mit Leichtigkeit gewinnen konnte.

Keine Frage, Ungarns Parlamentswahlen im Jahr 2018 wurden ordnungsgemäß verwaltet. Sie waren aber auch ganz offensichtlich unfair. Das geht aus den vorläufigen Ergebnissen und Schlussfolgerungen der Wahlbeobachtungsmission des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte hervor. Die Parlamentswahlen am 8. April waren durch eine einschüchternde und fremdenfeindliche Rhetorik, voreingenommene Medien und undurchsichtige Wahlkampffinanzierung gekennzeichnet, was das Gebot der Chancengleichheit untergrub.

2. Zersplitterte Opposition

Die größte Oppositionspartei in Ungarn ist die rechtsextreme, ultranationalistische Partei Jobbik. Die zahlreichen linken und zentristischen Parteien sind gespalten und konkurrieren miteinander. Die Opposition konnte sich in den vergangenen Jahren nicht auf eine effektive Zusammenarbeit einigen und keine gemeinsamen Kandidaten mit einer echten Gewinnchance gegen Fidesz-Kandidaten nominieren. Nach dem überraschenden Sieg der Opposition bei der Bürgermeisternachwahl in Hódmezővásárhely vor einigen Wochen konnte sie von der sichtbar gewordenen Stimmungsänderung in der Bevölkerung nicht profitieren. Fidesz zog von der dortigen Niederlage Lehren und unternahm in der Endphase des Wahlkampfs erhebliche Anstrengungen zur Mobilisierung ihrer Wähler. Auch gelang es der Opposition nicht, was in Hódmezővásárhely gelungen war: Die gemeinsame Koordination von Kandidaten. Eine Einigung hätte nämlich in dem umkämpften Komitat Pest und Budapest verhindern können, dass  Fidesz eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit erhält, berichtet index.hu.

Wahlergebnisse

3. Gute Wirtschaftszahlen

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán wurde nicht müde zu betonen, seit seiner Amtsübernahme vor acht Jahren ein Wirtschaftswunder beschworen zu haben. In der Tat ist die Staatsverschuldung seit 2010 um mehr als 6 Prozentpunkte gesunken. Auch die Bonität des Landes hat sich verbessert und das Haushaltsdefizit hat sich in etwa halbiert. Das Wachstum hat sich fast vervierfacht, während die Löhne um mehr als 10 Prozent gestiegen sind und die Arbeitslosigkeit um fast zwei Drittel gesunken ist.

4. Nähe zur Basis

Viktor Orbán vertraut auf die Wähler der ländlichen Wahlkreise und passt seine PR-Strategie entsprechend an. Die Kluft zwischen den Ergebnissen in der Hauptstadt und auf dem Land ist enorm. 12 von 14 Wahlkreisen, die die demokratische Opposition gewinnen konnte, verteilen sich auf Budapest. Zwar enthüllen investigative Journalisten immer wieder Korruptionsaffären um Orbán-Vertraute und seine Familie, aber auf dem Lande dominieren öffentlich-rechtliche und private Medien, die Orbáns Kurs mehr oder weniger kritiklos unterstützen. Sie konzentrieren ihre Berichterstattung auf die vermeintliche Bedrohung durch massenhafte muslimische Einwanderung und eine angebliche Verschwörung des in Ungarn geborenen Philanthropen und Multimilliardärs George Soros, Europa absichtlich mit Migranten zu überfluten. Die Selbstinszenierung Orbáns als Verteidiger des Abendlandes gegen den Ansturm muslimischer Horden (begleitet von der guten Wirtschaftslage) erreicht die ungarischen Wähler schneller und spricht ihre Probleme  besser an, als Diskussionen, die über Ungarn auf EU-Ebene geführt werden – oder lenkt die Aufmerksamkeit der Wähler zumindest von diesen Problemen ab. In der ungarischen Gesellschaft, die in weiten Teilen von Misstrauen und der Angst vor fremden Einflüssen geprägt ist, verkörpert Orbán Stabilität.

5. Uneinigkeit in den EVP-Reihen

Die Unterstützung der EVP (der europäische Zusammenschluss der christdemokratischen Parteien) für das Regime Viktor Orbáns hat die Versuche der EU, die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn zu schützen, in ihrer Wirksamkeit geschmälert. Die EVP-, der neun EU-Regierungschefs und die  größte Fraktion im Europäischen Parlament angehören, wird beschuldigt, Fidesz trotz seiner undemokratischen Methoden, der feindseligen Haltung gegenüber Migranten, der Desinformationspolitik gegenüber „Brüssel“ und des angeblichen Missbrauchs von EU-Mitteln, geschützt zu haben. Das hat den Fraktionschef der EVP, Manfred Weber (CSU), nicht davon abgehalten, Orbán und seiner Partei Fidesz zu ihrem "klaren Sieg" zu gratulieren. Außerdem lobte Weber vor kurzem bei einem Besuch in Budapest Aspekte der Migrationspolitik des ungarischen Premierministers. Joseph Daul, Franzose und EVP-Parteivorsitzender, twitterte im Vorfeld zu den Wahlen "alles Gute" an Fidesz und fügte hinzu, dass Orbán und Parteien der Rechten "weiterhin den ungarischen Bürgern Stabilität und Wohlstand bringen würden".

So lange es keine einhellige Kritik seitens der EVP bei Streitpunkten wie Asylpolitik, Einschränkung von Medienfreiheit, Unabhängigkeit der Justiz und Bürgerrechten und dem mutmaßlichen Missbrauch von EU-Fördergeldern gibt, wird Orbán seinen Konfrontationskurs zur EU ungestört fortsetzen können.

Wie geht es weiter mit Ungarn?

Der Sieg von Orbán lässt Opposition und Zivilgesellschaft in eine unsichere Zukunft blicken. In Ungarn sind die Bedingungen für eine illiberale Regierungsführung mit einem institutionellen System geschaffen, das auf die Ziele der Fidesz-Partei zugeschnitten ist. Politische Rhetorik, die auf Verschwörungstheorien, Feindbildern und einer von der Regierung finanzierten Fake-News-Industrie basiert, trägt zu diesem unfairen System bei. Da die Regierung von den Wählern nun ein positives Feedback erhielt, ist ein Wechsel zu einer moderateren Haltung nicht zu erwarten.

Die neueren kleineren Parteien konnten keine Sitze gewinnen. Dazu zählte unter anderem die pro-europäische Momentum, eine Jugendbewegung unter der Führung von András Fekete-Győr, die am ehesten den Platz einer liberalen politischen Kraft im ungarischen politischen Spektrum einnimmt. Bei ihr stand vor allem die unter dem Fidesz-Regime grassierende Korruption im Mittelpunkt. Mit 2,8% der Stimmen fuhr sie allerdings einen Achtungserfolg für Neuparteien ein und wird damit in den Genuss staatlicher Parteienförderung kommen. Ihr Hauptaugenmerk richtet die Partei, die schon Kontakte zur ALDE geknüpft hat, auf die Europawahl im nächsten Jahr.

Der liberale parteilose Kandidat Zoltán Kész, Gründer der ungarischen Free Market Foundation, mit dessen Nachwahl im Jahre 2015 Viktor Orbán damals die verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit verlor, konnte sich in seiner Stadt Veszprém diesmal nicht gegen den Fidesz-Kandidaten durchsetzen. Die Ungarische Liberale Partei (Liberálisok) schaffte trotz minimaler Wählerbasis über die von den Sozialisten geführte Liste (MSZP-Párbeszéd- Liberálisok) den Einzug ins Parlament, und hat mit Anett Bősz eine Abgeordnete in der Ungarischen Nationalversammlung.  Der nächste Test für die liberalen Kräfte in Ungarn wird die Europawahl 2019 sein.

Toni Skorić ist Project Manager für Mitteleuropa und die baltischen Länder im Stiftungsbüro in Prag.