Polen
Polen vor der Wahl: Es bleibt spannend
Am 13. Oktober erwartet Polen eine Schicksalswahl. Die seit 2015 regierende Partei Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit) hat seit ihrer Wahl das Land zielstrebig und geschickt auf einen nationalkonservativen Kurs mit autoritären Zügen gebracht. In Umfragen steht sie – nicht zuletzt wegen ihrer großzügigen Sozialpolitik – gut da. Die Opposition muss noch einigen Schwung entwickeln, um ihr bei den Wahlen beizukommen.
Sie haben die öffentlichen Medienanstalten zum Sprachrohr ihrer Politik gemacht und Teile der Justiz unter ihre Kontrolle gebracht. Sie haben das Bildungssystem mit einem national-patriotischen Curriculum versehen und mit massiven Rentenerhöhungen sowie dem Wahlversprechen eines in Mitteleuropa einzigartig hohen Mindestlohns auch unter jenen gepunktet, die vielleicht ihrer nationalkonservativen Agenda nicht ganz gefolgt wären. Die PiS-Regierung hat das Land bereits kräftig in ihrem Sinne umgestaltet. Das gibt Anlass zur Sorge, denn eine zweite Amtszeit dürfte von der Regierung als klares Zeichen verstanden werden, den nationalistischen Kurs und den Umbau des Staates, der bisweilen an Ungarns „illiberale Demokratie“ erinnert, forciert fortzusetzen.
Polonisierte Medien
Das Programm der Regierung sieht jedenfalls schon deutliche Schritte in diese Richtung vor. Während die Staatsmedien völlig der Regierung dienstbar sind, verfügt Polen immer noch über eine sehr lebendige und pluralistische private Medienlandschaft. Im Programm der PiS sind nun bisherige politische Andeutungen konkretisiert. Die Partei moniert, dass gerade regierungskritische Medien meist in ausländischem Besitz seien. So gehört zum Beispiel die größte Boulevardszeitung des Landes, FAKT, dem deutschen Springer-Verlag. Die Partei strebt nun eine „Polonisierung“ der Medien an. Dass der Wechsel bei der Eigentümerschaft mit einem Wechsel der Ausrichtung verbunden sein wird, ist mehr als wahrscheinlich. Zusätzlich soll ein Medienrat geschaffen werden, der der Akkreditierung von Journalisten und der Durchsetzung von „Qualitätsstandards“ dienen soll, die die Regierung festlegt.
Die Regierungspartei führt einen extrem polarisierenden Wahlkampf. War bei der Wahl 2015 noch die „Flüchtlingsflut“ das zentrale Thema zum Schüren von kollektiven Ängsten, so wird in diesem Jahr die LGTBI-Community zur Gefahr für Polen hochstilisiert. Die Forderung nach der Einführung der eingetragenen Partnerschaft wurde von der „grauen Eminenz“ der Partei, Jarosław Kaczyński, kürzlich bei einer Wahlveranstaltung „kulturelle Revolution gegen die christliche Zivilisation“ bezeichnet. Gegner der Partei werden als „Boten des Hasses“ dargestellt, die das gute, bäuerliche und katholische Polen bekämpfen. Bei Demonstrationen von LGTBI-Aktivisten kommt es immer wieder zu gewalttätigen Angriffen rechter Hooligans, die die Regierung eher lau verurteilt, oft mit dem Hinweis, dass Gewalt zwar Unrecht sei, aber die Aktivisten auch selbst ein wenig schuld seien.
Ausgabenfreudige Sozialpolitik
Alles deutet darauf hin, dass eine Mehrheit der Polen nicht so denkt. Aber kann die Opposition davon profitieren? Zurzeit bestätigen alle Umfragen, dass die PiS die absolute Mehrheit der Sitze halten oder sogar ausbauen kann. Das ist frustrierend für die Opposition. Bei den Regionalwahlen im Oktober 2018 war es ihr noch gelungen, die PiS in allen – auch den kleineren – Städten zu verdrängen. Bei den Europawahlen im Mai hingegen konnte die Opposition zwar viele Stimmen dazugewinnen, jedoch gelang der PiS die Mobilisierung ihrer Stammwähler besser - dies auch Dank der Kontrolle der öffentlichen Medien, die auf dem Lande oft die einzige größere Informationsquelle sind, und der vehementen Unterstützung durch die katholische Kirche, die in Polen ultrakonservativ und politisiert ist. Zugleich punktete die Partei bei unentschlossenen Wählern mit ihrer ausgabenfreudigen Sozialpolitik. Die PiS hat sich damit auf einen fiskalpolitischen Kurs begeben, der langfristig die außerordentliche Solidität der polnischen Wirtschaft (Finanzkrise und die Eurokrise gingen spurlos an Polen vorbei) gefährdet, der Partei aber kurzfristig nutzen wird.
Wichtiger ist aber – und das ist die eigentliche Krux – der Zustand der Opposition selbst. Das Wahlsystem (das übrigens kein Werk der Regierung ist, sondern schon vorher bestand) bevorzugt große Parteien. Rein mathematisch ergäbe eine gemeinsame Liste der Opposition Sinn. Darauf konnten die Parteien sich aber nicht einigen. Immerhin haben sich drei Blöcke gebildet. Die gemäßigte christdemokratische Bürgerplattform (PO) und die kleine liberale Nowoczesna (.N) bilden die zentristische Koalition (KO), die Sozialisten und die neue Partei Wiosna (Frühling) die linke, und die Bauernpartei (PSL) zusammen mit der populistischen Kukiz die konservative. Laut der letzten Umfrage käme die PiS auf 42 Prozent und KO und Linke zusammen ebenfalls auf 42 Prozent. Alles hängt nur von wenigen Prozenten ab und von der Frage, ob es die kleinen Parteien auch ins Parlament schaffen. PiS hat zurzeit die besseren Chancen, aber noch nicht sicher gewonnen.
Schwäche der Opposition
Die Schwäche der Opposition beruht auch auf der Schwäche der einst regierenden Bürgerplattform. Die wurde 2015 abgewählt, weil sie für viele Polen die Arroganz der Macht verkörperte und in etliche Skandale verwickelt war. Das überzeugte viele Wähler, es doch einmal mit der rechten PiS zu versuchen. Grzegorz Schetyna, der nach der Wahl den Vorsitz übernahm, erwies sich als wenig charismatischer Machttechnokrat, der für manchen Wähler all das personifizierte, weshalb man die PO abgewählt hatte. Dabei schürte er auch inneroppositionelle Kämpfe. Aufgrund der Schwäche der PO war 2015 die liberale Partei Nowoczesna entstanden und begann der PO die führende Rolle in der Opposition streitig zu machen. Schetyna gelang es im Januar dieses Jahres, diesen Erfolgslauf (der schon durch einige Politikpatzer von Nowoczesna selbst zu stocken begonnen hatte) zu bremsen, indem er sieben Nowoczesna-Abgeordnete mit Versprechungen zum Fraktionswechsel animierte. Die liberale Partei verlor daraufhin für einige Zeit den Fraktionsstatus.
Damit begannen die Leiden der Liberalen im Lande. Da die eigene Stärke nicht ausreicht und das Wahlsystem bei einem Alleingang den Sieg der PiS fast unausweichlich machen würde, kandidiert Nowoczesna nun nach Regional- und Europawahl zum dritten Mal mit der PO, die ihr eigentlich das Lebenslicht ausblasen will und als deren Alternative man dereinst angetreten war. Je nachdem, wie die Wahl ausfällt, steht die kleine liberale Partei vor enormen Problemen, wenn nicht gar vor einer Existenzkrise.
Schlimmer noch: Schetynas Coup gegen Nowoczesna war vor allem letztlich eine der Ursachen dafür, dass es keine große Parteiallianz gegen die PiS-Regierung in diesem Wahlkampf gibt. Das Misstrauen gegen ihn unter den anderen Oppositionsparteien war mit gutem Grund zu groß. Viel zu spät hat nun Schetyna eingesehen, dass er die Chancen der Opposition mindert. Anfang September verkündete er den Verzicht auf die Spitzenkandidatur der Partei. Stattdessen tritt nun die als integer geltende Abgeordnete und ehemalige Filmproduzentin Małgorzata Kidawa-Błońska als Kandidatin zum Amt der Regierungschefin an. Die kämpft seither mit einem geringen Bekanntheitsgrad und einer viel zu kurzen Vorlaufzeit für die Wahl. Die PiS zieht hingegen geschlossen ins Feld. Dabei hat sie noch einen unerwarteten Verbündeten gefunden, nämlich US-Präsidenten Donald Trump, den sie stets hofiert hat. Als eine Art Wahlhilfe versprach der nun den Polen Visafreiheit bei der Einreise in die USA.
Ob ihr das allerdings hilft, steht in den Sternen. Alles hängt von der Wählermobilisierung ab. Am Sonntag wird es darauf ankommen, ob diejenigen, die einen Wechsel wollen, auch tatsächlich zur Wahl gehen werden. Es wird knapp und es wird spannend.
Rüde Methoden und zunehmende Polarisierung
Vor den Parlamentswahlen in Polen im Herbst führt die Regierungspartei PiS einen rückwärtsgewandten Kulturkampf. Doch ihre Gegner machen mobil, analysiert Detmar Doering.