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USA
Progressive Demokraten auf der linken Überholspur?

Neue Entwicklungen im Wahlkampf der US Midterm Elections 2018
Alexandria Ocasio-Cortez
Alexandria Ocasio-Cortez auf einer Wahlkampfveranstaltung im Juli 2018 © CC0 commons wikimedia / Mark Dillman

Das Gesicht von Alexandria Ocasio-Cortez ist aus der US-Berichterstattung über die diesjährigen Halbzeitwahlen nicht mehr wegzudenken. Bei den Vorwahlen der Demokraten in New York konnte sich die 28-Jährige gegen den amtierenden Congressman Joe Crowley, und damit gegen einen der ranghöchsten Politiker der Partei, durchsetzen. Ocasio-Cortez bezeichnet sich selbst als „Democratic Socialist“, die mit linker Politik das demokratische Establishment herausfordern möchte. Ihr Wahlbezirk, der sich von Queens bis zur Bronx streckt, ist fest in demokratischer Hand.

Schnell wurde die Jungpolitikerin mit puerto-ricanischen Wurzeln zur Symbolfigur eines sich abzeichnenden Trends, der die Demokratische Partei langfristig verändern kann: ein Zuwachs an Kandidaten, die sich als „progressiv“ oder – inspiriert von Bernie Sanders – „Demokratische Sozialisten“ beschreiben und dem „Establishment“ die Stirn bieten. Unter ihnen sind viele Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und Politneulinge, die zwar Erfahrungen als Wahlkämpfer sammelten, aber erstmals selbst für ein Amt kandidieren. Ihr politisches Engagement ergibt sich aus zwei Gründen: als Reaktion auf Donald Trump und aus Frustration über die eigene Partei und ihre alternde Führung. Kandidaten wie Bill Kovacs aus Arizona, Kara Eastman aus Nebraska oder Christine Hallquist, die bei den Vorwahlen Geschichte schrieb und als erste Transgender-Frau bei einer Gouverneurswahl antreten wird, wünschen sich frischen Wind und möchten die Politik auf Bundes- und Landesebene verändern. Die neuen Gesichter der Demokraten setzen sich für eine umfassende Gesundheitsversorgung, kostengünstige Hochschulbildung und eine Erhöhung des Mindestlohns ein. Nach europäischem Verständnis würde man sie also nicht als Linksaußen, sondern eher Mitte-Links einordnen.

Die Vorwahlerfolge solcher Kandidaten sind zwar bemerkenswert, bleiben aber eher die Ausnahme. Schaut man auf die Ergebnisse aller Vorwahlen, wird deutlich, dass sich moderate Kandidaten bzw. bereits lange etablierte Vertreter eher behaupten konnten als ihre progressiven Kontrahenten. Die „Progressives“ haben sich vor allem in den Wahldistrikten durchgesetzt, die entweder ohnehin in demokratischer Hand sind oder – wie im Fall von Kara Eastman – in für Demokraten aussichtslosen Wahlbezirken. In den umkämpften Wahlkreisen, den sogenannten „toss-ups“, die für eine Machtverschiebung im Kongress entscheidend sind und in denen bis zur letzten Minute Wahlkampf betrieben wird, konnten moderate Demokraten mehr punkten. Auch Kandidaten der von Bernie Sanders unterstützten Bewegung „Our Revolution“ konnten sich nicht durchsetzen.

Die „Progressives“ als neuer Flügel bei den Demokraten?

Seit der Wahl von Donald Trump stellen sich politische Beobachter die Frage, ob bei den Demokraten ein Pendant zur ultrakonservativen Tea-Party-Bewegung der Republikaner entsteht. Die Parallelen liegen auf der Hand: setzen die „Progressives“ mit ihrem Engagement ein Zeichen gegen Präsident Trump und das demokratische Establishment, so begründete sich auch die „Tea Party“ als Protest sowohl gegen den damals amtierenden Präsidenten Barack Obama als auch gegen das sogenannte republikanische Establishment. Mit ihrem Siegeszug mischte die Tea-Party-Bewegung im Jahr 2010 die republikanischen Vorwahlen auf und schockte die Parteiführung. Die Niederlage von Joe Crowley gegen Alexandria Ocasio-Cortez wird in den Medien häufig mit der damaligen Situation verglichen.

Doch dem linken Flügel der Demokraten fehlt es bisher an politischer Kraft, Organisation und finanziellen Ressourcen. Um ihren Einfluss weiter auszubauen, müssen sie Wahlen gewinnen. Die meisten Kandidaten haben aber nicht die finanziellen Mittel, um sich gegen etablierte Demokraten durchzusetzen. Zwar erhalten einige der „Progressives“ Unterstützung von progressiven und finanzstarken Lobbygruppen, mit dem Netzwerk vermögender Spender der Tea-Party-Bewegung ist die Unterstützung jedoch nicht vergleichbar. Zudem fehlt der Bewegung eine Struktur, mit der sich die zahlreichen Splittergruppen und Aktivisten identifizieren können.

Zu guter Letzt war der ideologische Keil, den die Tea-Party durch die Republikanische Partei trieb, weitaus größer, als es bisher auf demokratischer Seite der Fall ist. Zwar verhalfen die Tea-Party-Kandidaten der Republikanischen Partei dazu, den Demokraten im Jahr 2010 die Mehrheit im Repräsentantenhaus streitig zu machen. Doch anstatt die gewonnene Mehrheit zu nutzen, um Anliegen der Republikaner durchzusetzen, bereiteten die Tea-Party-Repräsentanten der Partei mit Obstruktion und Kompromisslosigkeit Kopfschmerzen. Befürchtungen, dass die neue Bewegung die Demokratische Partei in ähnlicher Weise spalten könnte, hält Katrina van den Heuvel, Chefredakteurin des progressiven Magazins „The Nation“, für überzogen: „Der momentan zu beobachtende Umbruch ist eine längst überfällige Antwort auf die Versäumnisse des demokratischen Parteiestablishments.“ Ziel des linken Flügels sei es aber nicht, sich von der Partei abzukapseln oder ihre Mehrheitsfähigkeit zu gefährden, sondern sie von innen zu erneuern.

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Auch wenn es interne Spannungen gibt, im Kern ziehen die Demokraten an einem Strang. Nancy Pelosi, die Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus, wirbt für eine Partei, in der alle Demokraten gemeinsam an zentralen Zielen wie der Gesundheits-, Einwanderungs-, und Bildungsreform arbeiten. Das sei nur möglich, wenn es den Demokraten im Herbst gelingt, den Republikanern die Mehrheit im Kongress streitig zu machen. Und dies sei wiederum allein durch „progressiven Aktivismus“ nicht zu schaffen. „Mir wird oft gesagt, dass ich gut beraten wäre, die Demokraten im Repräsentantenhaus zusammenzubringen“, sagte Nancy Pelosi jüngst. „Darauf antworte ich stets, dass nicht ich es bin, die die Demokraten zusammenführt, sondern dass wir entlang unserer gemeinsamen Werte vereint sind.“ Was Ocasio-Cortez in New York gelungen ist, sei auf andere Teile Amerikas nicht übertragbar. Die Wahldistrikte seien einfach zu verschieden, weshalb sie alle Demokraten in der Partei willkommen heiße.

Auch wenn es der progressiven demokratischen Bewegung noch an politischer Kraft fehlt, ist ihr Einfluss langfristig nicht zu unterschätzen. Kandidaten, die in diesem Jahr gescheitert sind, werden in den kommenden Jahren weitere Erfahrungen und finanzielle Mittel sammeln. Ihr Wählerpotential wird aufgrund des Generationswechsels weiter wachsen. Letztendlich war es aber Bernie Sanders, der die jungen Wähler angezogen hatte. Um eine Zersplitterung der Partei und eine Verprellung zukünftiger Wähler zu vermeiden, müssen die Demokraten also den schwierigen Spagat zwischen moderat und progressiv sowie zwischen politisch Etablierten und der Basis meistern.

Iris Froeba ist Policy Analyst und Media Officer des Transatlantischen Dialogprogramms der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Washington.