Rettet die Grundrechte!
Genau 50 Jahre ist es her, dass Gerhart Baum das letzte Mal Georgien besuchte. Damals besuchte der Bundesinnenminister a.D. zu Gesprächen mit der sowjetischen Jugendorganisation Komsomol als Bundesvorsitzender der Jungdemokraten die georgische Hauptstadt. Seitdem hat sich viel geändert: Nun erlebte er Tiflis als eine pulsierende Hauptstadt eines Landes im Aufbruch mit Menschen mit großen Hoffnungen und einem großen Selbstbewusstsein auch gegenüber seinen Nachbarn.
Seine jetzige Reise führte Gerhart Baum auf Einladung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit nach Georgien. Der Anlass: Die Präsentation der georgischen Ausgabe der liberalen Streitschrift „Rettet die Grundrechte! Bürgerfreiheit contra Sicherheitswahn“. Nach Russisch und Ukrainisch ist es die dritte Übersetzung seines Buches. In ihrem Grußwort zur Buchvorstellung erinnerte die deutsche Botschafterin in Georgien, Heike Peitsch, an ihr letztes Zusammentreffen mit Gerhart Baum. 2016 in St. Petersburg traf sie ihn zur Präsentation der bereits zweiten Auflage seines Buches in russischer Sprache, damals in ihrer Funktion als Generalkonsulin der Bundesrepublik Deutschland in St. Petersburg: „Und ich bin mir sicher, dass wir uns ein drittes Mal zu einer weiteren Präsentation in einer weiteren Sprache an anderem Ort wieder treffen werden“, so die deutsche Botschafterin.
In seiner Eröffnungsrede betonte der Projektleiter der Stiftung für die Freiheit im Südkaukasus, Peter-Andreas Bochmann, die Bedeutung des Buches, in dem die Wichtigkeit der Einhaltung der Rechte für alle Bürger, aber auch die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit aufgezeigt wird. Und das Interesse an Buch und Thematik war groß: Knapp 300 Gäste fanden den Weg in die architektonisch beeindruckenden Räumlichkeiten der Ilia Garden Hall im Rosengarten im Zentrum von Tiflis.
Gerhart Baum mahnte die Bedeutung der Zivilgesellschaft an. Diese müsse den Staat kontrollieren und nicht umgekehrt. Die Freiheit des Individuums müsse gestärkt werden und das im Dreiklang von Marktwirtschaft, Bürgerrechten und demokratischer Mitgestaltung. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um die Veränderung der georgischen Verfassung betonte Gerhart Baum die Bedeutung des Verfassungsgerichts in Deutschland. Die Richter hätten in vielen Einzelentscheidungen die Verfassung überhaupt erst lesbar gemacht und immer wieder die Rechte des Individuums gegenüber einem immer übermächtiger werdenden Staatsapparat verteidigt. Der Staat dürfe auch angesichts terroristischer Bedrohungen niemals die Verteidigung der individuellen Grundrechte aus dem Auge verlieren. Es gelte, den Dämon der Angst zu bekämpfen. Er bemängelte auch, dass die derzeitige Reform der georgischen Verfassung nicht ausreichend öffentlich diskutiert worden ist.
Auch in der anschließenden Diskussion war die anstehende Verfassungsänderung eines der Hauptthemen. Der schweizerische Botschafter, Lukas Beglinger, gab zu Bedenken, dass sich Demokratie-Modelle nicht eins zu eins übertragen lassen. Die Schweiz habe mit ihrer „direkten Demokratie“ einen langen Entwicklungsprozess hinter sich. Man könne die Erfahrungen anderer nutzen, sich Anregungen holen und positive Elemente übernehmen und den individuellen Bedingungen anpassen. Dem pflichtete Ex-Parlamentspräsident Davit Usupashvili anhand eines recht plastischen Beispiels schmunzelnd bei: Der Schweizer Käse sei sehr gut und weltbekannt. Er hatte die Gelegenheit eine Käsereiherstellung in der Schweiz zu besuchen. „Da werden alle Geräte und Werkzeuge vorher vier Stunden lang gereinigt“, so der Ex-Parlamentspräsident und fügte hinzu: „Auch Georgien stellt guten Käse her – aber dieser könne eben noch besser werden, wenn Erfahrungen anderer genutzt werden.“ Zum Abschluss der Veranstaltung nahm sich Gerhard Baum viel Zeit um Bücher zu signieren und Fragen der Veranstaltungsteilnehmer zu beantworten.
Während seines dreitägigen Besuchs standen noch zahlreiche weitere Veranstaltungen und Begegnungen auf dem dichten Programm von Gerhart Baum: Treffen mit Vertretern der beiden liberalen Parteien in Georgien Freie Demokraten und Republikaner, mit Vertretern von Human Rights Watch, mit Stiftungs-Stipendiaten aus Deutschland, der Besuch des neuen Schulcampus der Deutschen Internationalen Schule, ein Empfang der Deutschen Botschaft zum Tag der Deutschen Einheit sowie eine Vorlesung zum Thema „Der Rechtsstaat als Voraussetzung für eine erfolgreiche freie Marktwirtschaft“ vor Studenten der University of Georgia. Auch gab es die Möglichkeit zu einem Gespräch mit den Mitarbeitern der Stiftung im Südkaukasus. Hier würdigte er die wichtige Funktion der Arbeit der Stiftung als Aufklärer, die durch Schulungen und Information ein politisches Grundverhalten vermittelt, dass von Georgien aus auch auf die südkaukasischen Nachbarn abfärbe.
Zu einem Wiedersehen kam es nach mehr als 30 Jahren mit dem Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Georgien und im Südkaukasus, Hans-Joachim Kiderlen. Bischof Kiderlen, damals Diplomat im Deutschen Generalkonsulat in San Francisco, beendete seine diplomatische Karriere 2008 als Generalkonsul in Karatschi. Seit 2009 ist er der Bischof der etwa 1.000 Mitglieder zählenden deutschsprachigen Gemeinde im Südkaukasus, die vom Schwarzen bis zum Kaspischen Meer verteilt ist. Auch in diesem Gespräch war die Verfassungsreform ein bestimmendes Thema. Der Bischof gab zu Bedenken, dass in der bisherigen Verfassung die „Gewissensfreiheit, Glaubens- und Bekenntnisfreiheit“ nur eingeschränkt werden können, wenn ihre Wahrnehmung „die Rechte anderer verletzt“. In der Novellierung würden nun sechs mögliche Gründe für eine Einschränkung aufgeführt.
Peter-Andreas Bochmann ist Projektleiter der Stiftung für die Freiheit für den Südkaukasus.